Ein Sprungbrett!

Interview mit Christian Friedel von Woods of Birnam zum dritten Album "Grace"

Den Sänger bei Woods of Birnam, den spielt Christian Friedel nicht wie er den Dorfschullehrer in Michael Hanekes "Das weiße Band" oder den Andrej in "Russendisko" spielt. Der Sängerpart ist keine weitere Rolle des Schauspielers. Das ist er selbst, jemand, der eigene Geschichten erzählen kann und will. Längst hätte das die Runde gemacht, wäre nicht auf "Hamlet" sofort mit "Searching for William" ein weiteres, noch opulenteres Shakespeare-Projekt am Dresdner Schauspielhaus gefolgt, wiederum flankiert von einer gleichnamigen Schallplattenveröffentlichung. Zwischendrin war bereits jenes Album fertiggestellt, das seit Anfang Oktober 2018 unter dem Titel "Grace" vorliegt und laut Pressemitteilung der Plattenfirma nichts weniger als den frühen, unerwarteten Tod seiner Mutter verarbeitet. Dieses schwergewichtige Thema betrifft sogar so sehr vor allem Christian Friedel selbst, dass er den Interviewtermin nicht wie sonst in Bandbegleitung sondern allein absolviert.

Konnten die Shakespeare-Projekte eigentlich helfen, euch als Band zu etablieren? Neben den Woods of Birnam mit dir als Sänger und Songschreiber sind nicht viele einheimische Rockformationen derart mit dem Theater verknüpft. Das ist ein echtes Alleinstellungsmerkmal.
Das hat Türen geöffnet, auf jeden Fall. Und nicht nur das, wir konnten uns als Band von unserer Vergangenheit emanzipieren, die Jungs von Polarkreis 18 und ich von meiner. Über die Theaterprojekte fanden wir eine eigene Sprache. Ein Prozess, der sich fortsetzen wird.

Euch sind bestimmt auch Vorurteile begegnet wegen der Theaterverflechtungen. Von wegen, Theater, oh je, wie langweilig oder?
Natürlich, soziale Netzwerke, Kino, TV-Serien sind dabei, dem Theater den Rang abzulaufen. Trotzdem ist und bleibt das Theater ein besonderer Ort, der überleben wird. Das Theater muss sich seiner gesellschaftlichen Relevanz bewusst werden, besonders in Sachsen und in diesen turbulenten Zeiten. Selbst wenn ich Filme drehe, in Fernsehserien mitwirke, werde ich immer zum Theater zurückkehren. Dort liegen die Ursprünge der Ausdrucksform, nach der ich suche. Aber klar, sexy ist im Moment etwas anderes, nicht das Theater.

Was kann das Theater leisten in gesellschaftlich konfliktreichen Situationen wie gerade jetzt?
Das Theater ist immer ein politischer Ort gewesen und gleichzeitig ein Assoziationsort. Mancher fürchtet allzu intellektuelle Stoffe, aber fürs Theater ist keiner zu dumm, wie ich immer sage. Jeder, der als ureigene Persönlichkeit ein Theater besucht, wird es inspiriert verlassen. Also keine Scheu! Natürlich gibt es Stücke und Inszenierungen, die von und für Theaternerds gemacht sind. Die drehen sich um sich selbst, was ich immer schade finde, weil es am Publikum vorbei geht. Das Theater kann facettenreicher denken als die Medien, die sehr schnell wertend sind. Das Theater kann viel eher ein Denkanstoß sein.

Übertragen wir doch dein leidenschaftliches Plädoyer fürs Theater auf das neue Woods-of-Birnam-Album. Inwiefern ist "Grace" gesellschaftlich relevant, wo der thematische Schwerpunkt doch ein zutiefst privater ist.
Das Thema ist privat, richtig. Die gesellschaftliche Relevanz liegt darin, dass der Verlust eines Elternteils früher oder später jeden betrifft. Ich denke, Politik beginnt in der Familie. Erziehung, das ist bereits etwas Politisches, das jeder einbringt in den gesellschaftlichen Kontext. Bekommen wir zu Hause Offenheit und Toleranz vermittelt, wird es das sein, was wir einbringen. Leider beschäftigen wir uns mit solch grundlegenden Dingen viel zu selten. Lieber leben wir in virtuellen Welten, in Blasen, in gesellschaftlichen Vorgaben. "Grace" soll eine Anregung sein, sich mit seinen eigenen Schattenseiten, seinen Ängsten zu konfrontieren und trotzdem nach vorn zu schauen. Oft fassen wir vorschnell eine Meinung, lassen Frust an anderen aus, wir denken nicht weiter. Ich will das gar nicht überfrachten, letztlich ist "Grace" Unterhaltung. Ein Album, zu dem man tanzen kann. Gleichzeitig wäre es toll, wenn es Menschen ermutigen würde, aus Schicksalsschlägen gestärkt hervorzugehen.

Wurde dir durch dein Elternhaus Offenheit und Toleranz mitgegeben?
Absolut, ich hatte das Glück Eltern zu haben, die mir nichts in den Kopf setzen wollten. Mein Vater hätte sich sicher gewünscht, dass ich Arzt werde wie er. Insistiert hat er nie sondern stattdessen meine künstlerischen Ambitionen unterstützt. Meine Mutter genauso. Bis zu ihrem viel zu frühen Tod hat sie die Band unterstützt, kam zu Konzerten, hat den CD-Verkauf der ersten EP abgewickelt. Ich bin mit einer großen Liebe aufgewachsen, das versuche ich weiterzugeben.

Der Albumtitel "Grace" bedeutet Anmut, Grazie oder Schönheit, könnte aber auch als Frauenname gemeint sein. Wie hängt das inhaltlich zusammen.
Grace steht für die Schönheit des Lebens, weil es ein Lebensbejahendes Album ist, das nach vorn blickt, das versucht, eine Kraft im Leben zu finden, trotz aller Schicksalsschläge. Wenn jemand stirbt, verändert dies das Leben der Hinterbliebenen. Es kann aber auch sein, dass man inspiriert durch die Persönlichkeit desjenigen, der von einem gegangen ist, sein Leben weiterlebt.

Beim Hören schieben sich immer wieder einzelne Textpassagen ins Bewusstsein. Jede Zeile wäre eine eingehende Betrachtung wert, umso mehr, da es sich um englische Songtexte handelt. Aber vielleicht sollte man die Deutungshoheit ausnahmsweise jedem selbst überlassen. Was meinst du?
Denke ich auch. Nicht jeder Song bezieht sich auf den Verlust meiner Mutter. Es geht auch um die Zeit danach, um Hoffnungen, Wünsche, Weichenstellungen im Leben. Aber meine Geschichte muss gar nicht interessieren. Michael Haneke sagt immer, seine Filme sind ein Sprungbrett, springen muss der Zuschauer. Ein tolles Bild, finde ich. Das Album ist ein Sprungbrett. Was der Hörer damit anstellt, liegt bei ihm. Wenn eine Textzeile, eine Melodie beim Hörer eigene individuelle Geschichten wachruft, würde mich das freuen. Der Song gehört dann ihm.

Die Songtexte verwoben mit der Musik, ergeben einen echt weltmarktfähigen Elektropop. Eigentlich ein dummer Spruch, aber erstaunlich, dass sowas aus Deutschland kommt.
Das ist ein sehr schöner Spruch! Plattenfirmen raten uns ständig, deutsch zu singen, dann wäre das perfekt. Und natürlich haben wir es auf Deutsch versucht. Aber meine Stimme wirkt dann ganz anders. Die Musik, die wir machen wollen, ist im Sound der englischen Sprache verwurzelt. Auf Englisch kann man in kurzen, knappen, vokalreichen Worten sowohl offen bleiben als auch in die Tiefe gehen. Als Schauspieler liebe ich die deutsche Sprache, Schiller oder Kleist sind meine absoluten Favoriten. Aber es ist eben etwas anderes, in dieser Sprache Musik zu machen. Und es wird schon spannend zu sehen, ob sich nicht doch irgendwann Brücken über Deutschland hinaus schlagen lassen.
Bernd Gürtler

Woods of Birnam: "Grace"
Konzert am 13. Januar 2019 im Beatpol (bereits ausverkauft!) Schauspieltermine mit "Hamlet" sowie "Searching for William" siehe Website Schauspielhaus
„Come To The Woods Festival 2019“ am 22. Juni 2019 auf dem Konzertplatz Weißer Hirsch
www.woodsofbirnam.com