Boing! Boom! Tschack!

Dynamo überrennt Düsseldorf und fightet dann furios

Zugegeben: Nach dem Kaiserlauternspiel saß ich zwei Tage immer wieder vor der Tastatur, wusste um die zu schreibenden Worte – allein der Kopf war so betäubt, dass die Finger nicht wollten. Gottseidank kann mich keiner zwingen, diese Kolumne zu verfassen, sodass ich es auch bleiben lassen konnte. Ein Hirnrausch ganz anderer Art sollte sich dann gestern um 20.40 Uhr einstellen.

Doch bevor wir zum eigentlichen Spiel kommen, eine Anmerkung zum Publikum: Es sollte zwingend bei DFL und DFB darüber nachgedacht werden, wie man Auswärtsfahrten der Fans „fördert“. Wenn ich mir den SGD-Support bei Auswärtsspielen ansehe und dann die Häuflein, die aus anderen Städten nach Dresden kommen, dann herrscht hier ein grobes Ungleichgewicht, wer hier wem die Kassen füllt. Die teils weiten Wege und Kosten sind schließlich für alle geich. Nur mal so am Rande.

Erste Halbzeit: Flotter Dreier und Seguins Kopf

Wo zum Geier ist eigentlich Niklas Kreuzer? Nicht im Kader! Ach, verletzt. Na toll, das kann ja was werden. Immerhin kehrte Philip Heise hinten wieder zurück, nachdem Fabian Müller vor einer Woche seine Zweitligatauglichkeit infrage gestellt hatte. Zudem stehen Erich Berko, Niklas Hauptmann sowie der FCK-Zwei-Tore-Pechvogel Marco Hartmann in der Beginner-Elf.

Die eigentlich Frage aber war ja: Wie wird die Sportgemeinschaft nach den Gruselwochen die Aufgabe angehen? Die Fortunen waren offensichtlich der Meinung, dass es Dresden etwas defensiver probieren wird, darauf bedacht, vor allem kein schnelles Tor zu fangen. Doch vom Anpfiff an wurde deutlich, dass das nicht der Matchplan von Uwe Neuhaus war. Dynamo ging jeden ballführenden Gegner hoch und robust an, schon nach knapp 60 Sekunden hätte der hochmotivierte SGD-Kapitän eigentlich Gelb sehen müssen wegen eines taktischen Fouls. Klare Ansage: The boss is back!

Wir befinden uns in der dritten Minute, da wackelt Düsseldorf erstmals richtig, als Keeper Raphael Wolf einen ganz simplen, leicht getretenen Rückpass von der Seite zu weit vom Fuß springen lässt und in Nanosekunden von Lucas Röser attackiert wird. Der Ball spingt zu Enrico Benatelli, der sofort auf Hauptmann köpft, doch dieser zieht nicht gleich ab, legt dann zu weit vor. Ecke. Arrrg! Geht das Chancenversemmeln schon wieder los? Von Heises Fuß segelt der Ball nun von der Eckfahne mit elegantem Schnitt vom Tor weg ins Zentrum des Sechzehners, man darf es gern einen klassischen Eckstoß nennen. Und nun bildet sich eine Gasse im Düsseldorfer Personalstamm, eine hohle Gasse, durch die er kommen wird. Er, der Kapitän, der Leader, der Fels. Kniet nieder und seht ihm beim Tagwerk zu. Und so geschieht es: Mit langen Schritten zieht Marco Hartmann eine Furche durch den Strafraum und wuchtet mit seinem Quadratschädel den Ball ins Tor. Boing!

Die Freude des Uwe Neuhaus an seinem Nachgeburtstagstag bleibt noch verhalten. Aus guten Gründen. Abregen, beruhigen. Halt aus, hallo, noch 86 Minuten bis Buffalo – frei nach Theodor Fontane. Aber kaum ist nach einer Minute das Adrenalin halbwegs runter, da spitzelt Paul Seguin das Runde vom Fuß des Oliver Fink Richtung Hauptmann. Der bedient Röser, der weiter raus auf Duljevic ... ähm, doch nicht, zwei, drei Trippelschrittchen nach innen und ab dafür, weil die Vertediger eine so schöne Lücke bilden, dass ein wohltemperierter Schuss aus 16 Metern mit Linksdrall-Flugbahn da herrlich reinpasst. Boom! Schaut man sich die zwei Sekunden vor Rösers Tor an, kann man sehen, wie tiefenentspannt, ja fast medidativ der Stürmer vor dem Abschluss ist. Auf der Düsseldorfer Bank funkelt es nicht mehr.

Die Heimelf ist nun um eine schnelle Reaktion bemüht, aber es geht kaum etwas, da Dresden mit allen Spielern verteidigt. Ballas gewinnt praktisch jedes Kopfballduell und ist auch mit dem Fuß zur Stelle, wenn es die Situation verlangt. Jannik Müller behält in gewohntem Maße die Ruhe und die Stellung, Heise powert wie gewohnt die Linie hoch und runter, Seguin arbeitet routiniert und konzentriert. Davor ordnet Hartmann mustergültig das Team zwischen Defensive und Angriffsmodus, was zur Folge hat, dass die Fortuna oftmals ratlos hintenrum spielt, während lange Bälle fruchtlos bleiben.

Es läuft die zehnte Minute, da hält Berko per Stirneinsatz das SGD-Spiel im Vorwärtsgang, getragen nun von einem aufblühenden Benatelli, der auf Linksaußen Haris Duljevic sieht und anspielt. Und dieser nun läuft und läuft und läuft. Währenddessen fragt er sich so „Wie macht das der Robben immer?“. Ah ja, nach innen ziehen und das Ding in den Winkel dreschen. Gedacht, getan. Aus 19 Metern. Ein  Strich in der Landschaft. Ohrensausen hier und da. Drittes Tor. In zehn Minuten. Tschak! Und dazu endlich die Torpremiere des Bosniers.

Im Normalfall wäre das Spiel hier gelaufen. Aber da sind so viele Abers. Da muss man nicht nach Dortmund schauen. Ich sage nur Stuttgart: 3:0 geführt, am Ende 3:3. Ich sage nur Darmstadt: 3:1 geführt, am Ende 3:3. Ich sage nur ... Und da wäre es nur zwei Minuten nach dem dritten Tor auch fast schon passiert. Per Doppelpass taucht Usami halbrechts nur wenige Meter vor dem Dynamo-Tor auf und trifft dann doch nur die Lattenunterkante. Kommt heute auch noch Glück hinzu?

Nur wenig später ist dann Marvin Schwäbe zur Stelle bei einem Fink-Schuss. Überhaupt, das sei vorweggenommen, ist der SGD-Torhüter heute eine Bank. Alle hohen Bälle sicher weggefischt, die wenigen Schüsse auf seinen Kasten pariert, dazu eine gute Ballance zwischen Passspiel und Langholz.
Nach einer Viertelstunde geht Duljevic mit Wucht über den gesamten Platz, kann sich vor dem gegnerischen Sechzehner nicht entscheiden: links zu Berko, rechts zu Röser? Lieber das andere Rechts? Lechts, Rinks? Am Ende: Foul und Freistoß zentral 19 Meter vor dem Wolf-Kasten. Aber Heise trifft nur die Mauer.

Nach zwanzig Minuten beruhigt sich das Spiel und es ergibt sich ein Bild, dass sich manifestiert: Dresden hält Düsseldorf vom eigenen Tor möglichst fern und verteidigt von Röser bis Ballas vielbeinig, leidenschaftlich und mannschaftsdienlich. Doch dann kommt die Minute 31. Ein langer Ball, gefühlt minutenlang in der Luft, fliegt an die Dresdner Strafraumgrenze, wo Seguin eigentlich entspannt klären kann. Aber wie?! Ein zu kurz geratener Kopfball zu Schwäbe wird von Raman erlaufen, der nur noch einschieben muss. Wer nicht hüpft ist Magdeburger, und der heißt Paule.

Da sind sie wieder, all die schlechten Gefühle und bösen Gedanken über Patzer, Gegentore, Pleiten, Pech und Pannen. Aber: Sofort ist zu sehen, dass Dynamo an diesem Abend nicht den Panikknopf drücken wird. Die Elf steht und hat bis zur Pause sogar noch besseren Zug nach vorn als Düsseldorf. Und wie Ballas im Strafraum gegen Raman mit vollkommener Überlegung und Überlegenheit klärt, das macht Mut für die zweite Häfte.

Erste Halbzeit: Zitterfrei mit klarem Kopf

Es sind nur drei Minuten gespielt, da muss die Partie entschieden sein. Seguin bricht von rechts in den Düsseldorfer Strafraum ein, in der Mitte singt Röser lautstark „Freheit“ von Westernhagen, aber der Paule will seinen Patzer wettmachen und vergibt aus spitzem Winkel.

Jetzt entwickelt  sich ein heftiger Abnutzungskampf. Der Fortuna fehlen die Ideen, Dynamo verteidigt konzentriert, es wird gelaufen, gegrätscht, geköpft (also nicht wir bei „Game of Thrones“) und gekämpft. So geht das fast 20 Minuten hin und her zwischen den Sechzehnern bis auf einmal Röser eine Heise-Hereingabe fast zum 4:1 spitzelt. Fast. Trotzdem fühlt sich diese Spiel anders an als die vorangegangenen. Mit fortlaufender Spieldauer nimmt die Nervosität diesmal nicht zu, sondern ab, weil hier nie zu sehen ist, dass es ein Nachlassen bei der SGD gibt, kein Zittern oder Zaudern. Natürlich kann man bei den Außen Berko und Duljevic bemängeln, dass sie zu oft mit dem Kopf durch die Wand wollen, gern auch durch zwei, drei Gegenspieler hindurch wollen, aber diese Ballverluste fängt die Mannschaft diesmal auf.

Zwischen der 70. und 80. kommen Möschl für Duljevic und Konrad für Hauptmann, all das ändert nichts am Gesamtbild. Dresden ist näher dran am vierten Tor (Heise, Röser) als die Rheinländer am Anschlusstreffer. Als Heise mit blutender Nase kurz vor Schluss runter muss, kommt Fabian Müller. Den Schlusspunkt aber setzt wieder Marco Hartmann: In der Nachspielzeit geht der Ball auf Hennings, der direkt vor Schwäbe steht, doch mit dem Kopf voran klärt der Dresdner Käptn und wird dabei noch vom Fuß des Gegenspielers im Gesicht getroffen. Aus, das Spiel ist aus!

Tabellarisch hat das zwar fast nichts gebracht, aber zwischen dem 16. und dem 8. Platz liegen nun gerademal drei (!) Punkte. Werden am Sonntag die Lilahemden in den Schacht geschickt, ist die SGD wieder drin im Mittelfeld, hätte Aue überholt und mit 20 Punkten wäre die Hälfte der erforderlichen Ausbeute vor Weihnachten im Sack. Viel Druck? Scheint Schwarzgelb gut zu tun.
Uwe Stuhrberg

Fortuna Düsseldorf vs. SG Dynamo Dresden

27. November 2017, Anstoß: 20.30 Uhr
Tore: 0:1 Hartmann (4.), 0:2 Röser (5.), 0:3 Duljevic (10.), 1:3 Ramen (31.)
Dynamo Dresden: Schwäbe, Seguin, J. Müller, Ballas (88. F. Müller), Heise, Hartmann, Hauptmann (80. Konrad), Benatelli, Berko, Duljevic (71. Möschl), Röser
Ohne Einsatz: Schubert, Horvath, Lumpi, Mlapa
Schiedsrichter: Benjamin Brand
Zuschauer: 22.602
www.dynamo-dresden.de