Der Greis ist heiß

Review: Klaus Doldinger bei den Dresdner Jazztagen

Demnächst zieht Donald Trump als fünfundvierzigster Präsident der Vereinigten Staaten ins Weiße Haus ein, und Leonard Cohen ist gestorben. Schwer zu sagen, ob die Nachwelt jemals irgendeinen Zusammenhang wird herstellen können. Beide Ereignisse jedenfalls sollten ein unwohles Grundrauschen erzeugen, das den Dresdner Klaus Doldinger-Auftritt begleitet hat. An die Elbe kam der westdeutsche Jazzpionier nicht das erste Mal. Bereits in Vorwendezeiten ist er hier gewesen und war sogar noch davor als Teenager häufiger privat in Ostdeutschland zu Besuch. Mütterlicherseits bestanden familiäre Verflechtungen mit Thüringen. Die Großmutter verbrachte ihren Lebensabend in Eisenach. Der Großvater war Oberbürgermeister von Erfurt, bis er 1933 aus dem Amt gemobbt wurde, weil er sich den Nazis verweigerte. Gelegentlich erzählt Klaus Doldinger bei Interviewterminen davon, diesmal auch im Konzert.

Überhaupt nahm das Erzählen sehr viel Raum ein. Besonders am Anfang, so dass im Saal kurz der Verdacht aufkam, nach dem Eröffnungsstück hätte sich das mit dem Musikmachen erledigt. Aber egal ob als Solist oder mit einer seiner Passport-Besetzungen wie in Dresden, Klaus Doldingers Jazzrock ist reine Instrumentalmusik. Kein Sänger weit und breit, der verbal Kontakt zum Publikum herstellen könnte. Zwangsläufig muss er sich etwas anderes überlegen, und er erzählt ja gern, lässt teilhaben an seinem Leben, seiner bemerkenswerten Karriere. Offenbar liegt ihm sehr daran, dass nicht einfach routiniert abgeliefert, abkassiert und sich im Anschluss möglichst schnell ins Hotel verdrückt wird. Fast wollte die Konzertatmosphäre familiär erscheinen.

Und die Musik, von der es schließlich doch noch reichlich gab? War allererste Sahne, der beste Jazzrock der Welt! Und das hat wirklich gerockt, dass die Hütte brannte. Kein Wunder allerdings eben auch bei dieser superben Rhythmussektion aus Bass, Schlagzeug sowie zwei Perkussionisten und überragenden Begleitern an Gitarre beziehungsweise Keyboards. Wenn Klaus Doldinger an die Seite trat, dann nicht, weil er dringend eine Verschnaufpause brauchte. Sondern um seiner Begleitformation für eine Weile die Bühne ganz zu überlassen. Manchmal ist er selbst baff gewesen, welche ungeahnten Facetten sie gemeinsam dem oft schon recht betagten Material abgewinnen konnten. Was sich dem Publikum sicher nicht im Detail erschlossen haben dürfte, aber jedes Mal zu dessen Vergnügen geschah.

Wer schon im ersten Konzertteil bei „Inner Blue“, „7 To 4“ oder „Iguacu“ hellauf begeistert war, geriet im zweiten Teil bei „Fusion Rap“, „Happy Landing“ oder „Ovation“ vollends aus dem Häuschen. Der absolute Höhepunkt war „Sahara“, das Klaus Doldinger nicht auf dem Tenorsaxophon, nicht auf dem Sopransaxophon, stattdessen auf einer Flöteninstrument begann (ein Souvenir aus Afghanistan, verriet der Mann am Bühnenmixer im Nachhinein) und in einen wahren Improvisationsrausch gemündet ist. Diese Präzision! Diese Spielfreude! Wie hieß noch Udo Lindenbergs von ihm selbst getexteter und eingesungener Beitrag zu Klaus Doldingers Jubiläumsalbum anlässlich seines achtzigsten Geburtstags im Mai dieses Jahres? Genau, „Der Greis ist heiß“, das bringt es auf den Punkt.

Als Zugabe gab es mit der Titelmelodie zum „Tatort“-Krimi der ARD nach „Die unendliche Geschichte“ sowie „Das Boot“ die dritte Soundtrackmusik des Abends. Als das Publikum immer noch keine Ruhe geben wollte, kamen Klaus Doldinger und sein Keyboarder mit „Over The Rainbow“ erneut auf die Bühne, gedacht als Hommage an den ebenfalls kürzlich verstorbenen Manfred Krug. Ein wenig fühlte man sich erinnert an Leonard Cohens Brief an seine Muse Marianne Ihlen, als er davon erfuhr, dass die Frau, die ihm Inspiration für „Bird On A Wire“ und „So Long Marianne“ gewesen ist, an Leukämie erkrankt im Sterben liegt. „Well Marianne”, schrieb der kanadische Songpoet, “it’s come to this time when we are really so old and our bodies are falling apart and I think I will follow you very soon. Know that I am so close behind you that if you stretch out your hand, I think you can reach mine”.

Bliebe noch die Frage, ob das Publikum eine ostdeutsche Zivilgesellschaft repräsentiert, die wehrhaft und willens genug ist, sich den deutschen Donald Tramps entgegenzustellen, heute, wo Populärmusikvorlieben weniger eine Sache der Überzeugungen als des Geldbeutels sind? Seit sich die Welt in einer Art verändert, wie man es bis vor kurzem kaum für möglich gehalten hätte, begleiten einen solche Überlegungen auf Schritt und Tritt. Man wird sehen müssen, ganz hoffnungslos ist die Lage sicher nicht.
Bernd Gürtler

Klaus Doldingers Passport 12. November,Jazztage Dresden