Elder statesman

Review: Ebo Taylor im Jazzclub Tonne

Na gut, fünfhundert zahlende Gäste wie vergangene Woche in Paris sind nicht zusammengekommen. Ein Besucheransturm wie in Berlin war ebenso wenig zu verzeichnen. Aber immerhin, sehr schön voll ist der Jazzclub Tonne doch gewesen. Erstaunlich voll sogar für einen Mittwochabend im behäbigen Dresden, bei frostigen Außentemperaturen und Musik, die eher ein gepflegtes Desinteresse vermuten lässt, wenn man bedenkt, welches Bild die Stadt wegen Pegida & Co. überregional von sich vermittelt. Erst dieser Tage geriet Dresden erneut in die Schlagzeilen. Bei der Eröffnung der Kunstinstallation „Monument“ auf dem Neumarkt vor der Frauenkirche, war es zu lautstarken Protesten und „Volksverräter“-Rufen gekommen. Einschlägige Internetforen wollten dann sogleich wissen, dass die drei vertikal aufgerichteten Autobuswracks gar keine Mahnung an die Leiden der Zivilbevölkerung von Aleppo sein sollen, sondern eine heimliche Huldigung der dschihadistischen Terrormiliz Ahrar al-Scham darstellen. Mein Gott Leute, schaltet euren Verstand ein und denkt nach! Und warum habt ihr euch nicht empört, als Aleppo Ende vergangenen Jahres vollends in Schutt und Asche gelegt wurde? Das wäre eine sinnvolle Gelegenheit gewesen! Ganz nebenbei, worum geht es in dem Syrien-Krieg überhaupt? Weiß das noch jemand?

Ebo Taylor jedenfalls war bestens informiert, was die aktuelle Lage in Dresden angeht, ist auch ein bisschen besorgt gewesen, war aber sehr angetan von der sächsischen Elbmetropole. Die geradezu euphorische Reaktion des Publikums dürfte zusätzlich zur Entkrampfung beigetragen haben, wobei der Auftritt aber eben auch allererste Sahne war. Die Stücke sehr lang, eher wie ein Fluss als dass sie der Erhabenheit einer Kathedrale entsprechen. Und Polyphonie, dieser staubtrockene Begriff der Musiktheorie, bekam durch Ebo Taylor und seine sechsköpfige Begleitformation pulsierendes Leben eingehaucht. Wenn man den Musikern vorn vom Bühnenrand zusah, entstand zu keiner Zeit der Eindruck, dass sich jemand in einem rhythmischen Geflecht, das uns Europäern schon beim Zuhören Schwindelgefühle verursacht, auch nur ansatzweise verhaspelt hätte. Jedes Bläserriff, jeder Keyboardakkord, jede Basslinie saß perfekt. Der Perkussionist links neben Ebo Taylor, der zwei Handtrommeln spielte und mit dem Fuß auf einer Kuhglocke wieder ganz andere Rhythmusakzente setzte, geriet nicht mal aus dem Takt, als sich einer seiner Trommelriemen im Mikrofonständer verfing. War das jetzt westafrikanische High-Life-Musik? Oder irgendeine zeitgenössische Variante davon? Keine Ahnung, wirklich nicht. Klasse war’s auf jeden Fall, nicht mehr, nicht weniger.

Der einundachtzigjährige Ebo Taylor gab das gesamte Konzert über den elder statesman. Wenn nötig, sang er, streute ansonsten sparsame, aber wirkungsvolle Gitarrenriffs ein, nahm zwischendurch auf einem Stuhl Platz, um der Band die Bühne zu überlassen. Falls sich in sein Spiel Anklänge an Beethoven oder Mozart gemischt haben sollten, kein Wunder. Anfang der sechziger Jahre hat er klassische Musik in London studiert, wo er auf Fela Kuti traf, seinen nigerianischen Mitbewerber, der zum engagierten Kämpfer gegen das politische System wurde. Dass Ebo Taylor eine etwas andere Lebensphilosophie entwickelt, liegt am kulturellen Background seiner Heimat Ghana, verrät er bei einem kurzen Interview vor dem Konzert. Wie die meisten afrikanischen Staaten leidet das Land unter Korruption und Misswirtschaft. Aber die Menschen seien mehr auf ein Miteinander als auf ein Gegeneinander aus. Heiraten beispielsweise Männer und Frauen aus verschiedenen Volksgruppen, sind sie angehalten, die Lebensgewohnheiten des jeweils anderen zu achten. Respekt, wenn das Land wirklich so funktioniert.
Bernd Gürtler

Ebo Taylor
8. Februar, Jazzclub Tonne