Was erlauben Dynamo? Flasche leer.

In Bochum kassiert Dynamo die wichtigste Niederlage der Saison

Uwe Neuhaus spricht nach dem Spiel von großer Enttäuschung, sein Gesicht sagt aber: Ich kotze ab. Und er hatte allen Grund dazu. Denn wenn man in der 88. Minute Slapstick statt Fußball spielt und auch noch verliert, kann einem das schon den allerletzten Nerv rauben. Zudem wurde vor dem Match Herbert Grönemeyers "Bochum"-Geknödel mit dem ganzen hier "tief im Westehehen" abgespielt - es hätte im Rückblick eher "Was soll das?" sein sollen.

Halbzeit eins: Heise mit Schmackes, Ballas köpft falsch, Müller grätscht spät

Was sofort auffällt: Bochum versucht, Sandhausen 2.0 zu spielen. War ja klar, wird wohl jetzt öfter kommen (Fürth trainiert das sicher auch schon). Marco Hartmann kehrte auf die defensive 6 zurück mit Aias Aosman vor sich, hatte also jede Menge zu tun, ebenso Jannik Müller, der für den angeschlagenen Sören Gonther neben Florian Ballas verteidigte. Eine zähe Angelegenheit – so fühlte sich das Spiel anfangs an.

Wenn der Trainer mehr Durchsatz im Eins-gegen-Eins gefordert hatte, so kam diese Botschaft bei der SGD vor allem auf den Außenbahnen an: Erich Berko und Patrick Möschl versuchten immer wieder, ihre Gegenspieler zu überlaufen und/oder – wie man früher sagte – auszunehmen. Und so war es auch Möschl, der Rico Benatelli in der fünften Minute freispielte, doch von der Sechzehner-Grenze geht der Ball deutlich drüber. Kurz darauf will Heise seinen Weitschuss-Coup aus dem Testspiel gegen Stuttgart wiederholen, weil er den VfL-Keeper Reimann weit vor dem Tor sieht, doch die Bogenlampe geht links am Tor vorbei. Trotzdem hat die Situation zur Folge, dass der Bochumer Coach Atalan seinen Torwart mehrfach um einige Meter zurückbeordert.

Nur eine Minute später setzt sich wieder Möschl durch, doch Hartmann hofft auf einen besser Postierten in seinem Rücken und lässt durch. Aber wie das so ist: Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber sie stirbt. Und so ist da keiner, Verpuffung of a Torchance. Dann versucht es auf der anderen Seite Ex-Dynamo Losilla mit dem Außenrist, geht aber knapp vorbei.

Aber dann, elfte Minute. Jetzt sieht man, was Uwe Neuhaus gemeint hat, wie man hohes Pressen zu seinen Gunsten nutzen kann. Balleroberung, Möschl geht rechtsaußen ab, spielt auf Berko (Was machen denn die beiden auf derselben Seite?), der tanzt mit einem Walzerschritt gleich zwei Bochumer aus, sieht Heise in der Mittelstümerposition und bedient diesen auch. Heise wiederum macht es dann mit Schmackes in die Mitte, in den Bereich des Tores, wo am meisten los ist, aber dank der Wucht, geht der Schuss rein. Sollte doch jetzt funzen, möchte man meinen. Funzt aber nicht.

Denn jetzt folgt ein böser Anfall von Ichweißauchnichtwas. Eine vollkommene Ideenlosigkeit befällt die Schwarzgelben, während es der VfL einfach mal mit langen Schlägen versucht. Nur fünf Minuten nach der Dresdner Führung schickt Riemann einen weiten Ball vor den SGD-Strafraum, wo Ballas zwar mit dem Kopf drankommt, das Runde aber falsch erwischt – so verkommt der Klärungsversuch zur Vorlage für den heranstürmenden Felix Bastians, der keine Mühe hat, zum Ausgleich zu versenken.

Bleibt die Frage: Wo war eigentlich Jannik Müller? Oder, um Loriot zu bemühen: Ja, wo läuft er denn, wo läuft er denn hin? Antwort: Hinterher. Dieselbe Fragen, die gleiche Anwort zehn Minuten später: Müller steht falsch zu Kruse, wird überlaufen und senst den Stürmer von hinten um: Elfmeter. Jaaaa, auch wenn man es nicht wahrhaben will, es ist einer. Und man muss der Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus zugute halten, dass sie insgesamt ordentlich gepfiffen hat, wenn auch mit einer etwas unklaren Linie bei den Zweikämpfen. Gerade bei körperintensiven Balleroberungen, wenn der Grat zwischen Geradenochsookay und Foul sehr eng ist, lag sie – auf beiden Seiten – hier und da mal richtig, mal falsch. Aber wie gesagt: Der Strafstoß geht in Ordnung. Bastians tritt an, Schwäbe hat die Ecke, aber drin. Den hätte nicht mal Markus Schubert gehalten.

Wer jetzt hoffte, ein Ruck würde durch das SGD-Team gehen, der sah sich bitter getäuscht. Rasenschach ohne Espirt und Verve, der Drang der ersten Minuten verpufft, eine Sportgemeinschaft nur noch Schall und Rauch. Bochum war’s zufrieden. Deckel zu über diese 20 Minuten, Pausentee.

Halbzeit zwei: Der Elfminuten-Punkt

Nach der Pause kommt Niklas Kreuzer für Fabian Müller. Hatte der bis dahin mitgespielt? Ist mir nicht aufgefallen. Das trifft übrigens auch auf Lucas Röser zu. Aber jetzt ist doch irgendwie mehr Zug drin. Womit Uwe Neuhaus auch immer in der Kabine gedroht hat – es zeigt Wirkung. Etwas.

In der 51. „gelingt“ den Westfalen fast ein Eigentor, als Heise einen Freistoß mit aller gebotenen Schärfe vor den Kasten drischt, aber knapp vorbei ist eben auch danaben. (Where is the Phrasen-pig?). Das Ganze wird jetzt auch robuster, wenn auch nicht überhart. Doch Bochum lässt jetzt mehr und mehr Schwäne sterben.

Nach genau einer Stunde hat Haris Duljevic seine Rasenpremiere für Dynamo, Möschl muss dafür weichen, was eigentlich bedauerlich ist, denn er gehörte zu den wenigen, die mit Drang und Überraschendem nach vorn gespielt haben.

Aber Dresden zeigt sich mehr und mehr, wenn es auch immer wieder an Effizienz, Genaugkeit und Coolness mangelt. Hartmann, Benatelli, Berko – sie alle versuchen was, aber immer ist Bochum im Wege. Duljevic wiederum kann in Ansätzen zeigen, was er kann, zu sehen ist aber vor allem, dass er wahnsinnig schnell ist.

Es rauscht nun auch im Gelbe-Karten-Wald, aber wie bereits weiter oben erwähnt, hat Bibiana Steinhaus das im Griff. Herzkasper dann in der 71. Minute: Ballas lässt als letzter Mann mit einem Körpertrick samt Dribbling zwei Gegner ins Leere laufen. Schon irgendwie schick, die Aktion. Nur eine Minute später zirkelt Heise eine Freistoß fast unter die Latte, Reimanns Handschuhe sind aber groß genug. Dresden will jetzt den Ausgleich, Bochum wartet auf Fehler. Beide sollten ihren Willen bekommen.

Zunächst Auftritt Aias Aosman. Nach einer Ecke in der 77. Minute, die von einem Ruhrpott-Defender mittig weggeköpft wird (das macht man doch nicht), fliegt der Ball in die Füße des Zehners. Und der hat die Ruhe weg. Er bleibt cool. Legt sich Gegenspieler und Ball zurecht und findet aus 17 Metern genau die Lücke im dicht bevölkerten Sechzehner. Ach wäre doch jetzt schon Schluss! Aber wie singt der olle Grönemeyer mit den Fanta 4: „Isses. Aber. Nicht.“

Uwe Neuhaus wechselt noch einmal. Man hätte meinen können, dass er Markkanen bringen wollte, aber wegen des Ausgleichs kommt Konrad für Hartmann. Konnte der Kapitän nicht mehr? Defensiv war es in Halbzeit zwei ja nicht schlecht. Da was zu ändern ist ... arrrgh .... covfefe. Warum nicht Röser runter? Aber was ist schon schlimmer als ein Presseheini wie ich, der gleubt, es besser als der Trainer zu wissen? Genau: fast nichts.

Dann kam diese unglückselige Minute 88, die das unausgesprochene gegenseitige Einverständnis beider Teams für ein Remis zunichte machte. Dresden wollte nicht zuviel riskieren, Bochum war am Ende der Kräfte. Aber dann: Zentral vor dem eigenen Strafraum machen Jannik Müller, Rico Benatelli und Manuel Konrad einen Dreier in Sachen Balleroberung. Das klappt auch. Aber wer ist denn da nun zuständig, das Runde irgendwohin zu dreschen? Erst niemand, dann versucht es Benatelli, aber er schießt nur einen Blauen an, von dem der Ball via Zufall zu Hinterseer abprallt. Leider ist das aber nicht der Hansi, sondern der Lukas. Ganz allein gelassen von Heise & Co. schießt er Bochum in die Glückseligkeit, weil Kreuzer kurz vor knapp aus spitzem Winkel verzieht. Was erlauben Dynamo? Flasche leer. Ende. Aus. Schnauze voll.

Fazit: Wer glaubte, das Sandhausen-Debakel wäre nur ein Ausrutscher gewesen, sieht sich nun eines Schlechteren belehrt. Sieben Gegentore in zwei Spielen sagen die Wahrheit über die defensiven Untugenden aus, die derzeit bei der Sportgemeinschaft zutage treten. Dass ein Großteil dieser Treffer der Marke „Pipifax“ zuzurechnen ist, macht es nicht besser. Aber: Nach vier Spieltagen muss niemand Panik bekommen und auch Neuverpflichtungen sind defensiv kein Muss. Dass es Florian Ballas und Jannik Müller besser können, ist bekannt, sie zu alter Form zu führen, ist jetzt die Aufgabe des Coaching Teams. Da das Jeder-schlägt-hier-jeden in der Liga schon wieder losgeht, ist noch etwas Zeit, an den Mängeln zu arbeiten, weshalb diese Niederlage die wichtigste der ganzen Saison sein könnte. Wenn man daraus die richtigen Schlüsse zieht.
Uwe Stuhrberg

VfL Bochum vs. Dynamo Dresden, Endstand 3:2

27. August 2017, Anstoß: 13.30 Uhr
Tore: 0:1 Heise (11.), 1:1 Bastians (16.), 2:1 Bastians (27., Elfmeter), 2:2 Aosman (77.), 3:2 Hinterseer (88.)
Dynamo Dresden: Schwäbe, F. Müller (46. Kreuzer), J. Müller, Ballas, Heise, Hartmann (79. Konrad), Berko, Aosman, Möschl (60. Duljevic), Benatelli, Röser
Ohne Einsatz: Schubert, Lumpi, Markkanen
Schiedsrichterin: Bibiana Steinhaus
Zuschauer: 14.808
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