Heiliger Schreiner

Das Stadtmuseum zeigt Architektur und Möbel von Heinrich Tessenow

Harald Dohrn, Wolf Dohrn, Alexander von Salzmann, Heinrich Tessenow (v. l. n. r.) auf den Stufen des Festspielhauses , crica 1913

Während die Bewerbung Helleraus um einen Welterbetitel gerade den langen Gang durch die Instanzen geht, widmet sich eine Ausstellung im Stadtmuseum einem Architekten, der neben Richard Riemerschmid, Hermann Muthesius und Kurt Frick das Bild der Gartenstadt im Dresdner Norden entscheidend geprägt hat: Heinrich Tessenow (1876–1950). Beworben wird die Schau mit einer Abbildung des Festspielhauses, mit dem Tessenow sein Durchbruch zu den wichtigsten Vertretern der Reformarchitektur gelang, doch Hellerau, wo er von 1909 bis 1913 als freier Architekt arbeitete, und Dresden, wo er von 1920 bis 1926 Leiter der Architekturabteilung der Kunstakademie war, bilden nur einen Teil der Ausstellung, die anhand von Zeichnungen, Fotos, Dokumenten, Modellen und verschiedenen Exponaten dem Gesamtwerk Tessenows auf der Spur ist. Der aus Rostock stammende Zimmermannssohn hatte vor dem Studium im Betrieb seines Vaters dessen Handwerk gelernt, war Geselle und Polier, was ihm viele Jahre später als Professor an der Technischen Hochschule Berlin den Spitznamen »heiliger Schreiner« eintrug.

Für alle, die Tessenow vor allem als einen Architekten der puritanischen Strenge und herben Sachlichkeit kennen, wie sie zum Beispiel an den Reihenhäusern am Moritzburger Weg in Hellerau zutage tritt, beginnt die Ausstellung mit einer Überraschung. Die Villa, die Tessenow 1916–18 für den österreichischen Maler, Fotografen und Kunstsammler Heinrich Böhler in St. Moritz baute, mutet auf den ersten Blick wie ein typisches Schweizer Berghaus an. Doch dann bemerkt man auch an diesem inzwischen abgerissenen Bau die Einfachheit und Schnörkellosigkeit, die Tessenows Bauten auszeichnet, und vor allem sein Bemühen, sie in die jeweilige Landschaft einzubetten, seien es die Schweizer Berge, der Wald von Klotzsche oder der Strand der Ostsee.

In Modellen und Zeichnungen werden einige der Großprojekte Tessenows vorgestellt, riesige Siedlungen und Stadtanlagen in Diedrichshagen, Friedland oder Potsdam-Drewitz, seine Entwürfe zum Seebad der Organisation »Kraft durch Freude« in Prora, oder das wunderbare Stadtbad Mitte in Berlin, das durch eine großformatige Fotoinstallation seine schlichte Eleganz offenbart. Neben Hellerau, das neben Tessenows Arbeiten für die Jahresschauen Deutscher Arbeit im Großen Garten und der Internationalen Kunstausstellung den zweiten Raum einnimmt, ist Dresden durch einen nicht realisierten Entwurf für ein Hochhaus des Dresdner Anzeigers von 1925 und die Landesschule Klotzsche präsent. In einer großen Waldlichtung war hier ein streng symmetrisches Ensemble entstanden, dessen um einen zentralen Gartenhof gruppierte Einzelbauten durch eine Pergola verbunden sind.

Das Erscheinungsbild der Gartenstadt hat Tessenow nicht nur mit dem als musikalisch-rhythmische Unterrichtsanstalt für den Tanzpädagogen Emile Jaques-Dalcroze ebenso schlicht wie monumental gebauten Festspielhaus, der »Ikone« Helleraus, geprägt. Es entstanden zahlreiche Einzelhäuser oder Häuserreihen am Moritzburger Weg, Am Schänkenberg, Am Pfarrlehn oder am Tännichtweg, Bauten, die sich wegen ihrer spartanischen Einrichtung auch den Spott von Zeitgenossen gefallen lassen mussten. Als Musterbeispiele seines soliden, einfachen, vom ländlichen Bauen beeinflussten Stils gelten sein eigenes Wohnhaus am Tännichtweg oder ein nach dem Vorbild von Goethes Gartenhaus in Weimar erbautes Doppelhaus am Heideweg.

Tessenow war aber auch Initiator der von 1919 bis 1926 existierenden Handwerker-Gemeinde, dieser als stadtutopische Idee erfolgte Zusammenschluss selbstständiger Handwerksmeister wird in der Ausstellung am Beispiel des Verlegers Jakob Hegner oder des Goldschmieds und Metallhandwerkers Georg von Mendelssohn illustriert. Außerdem werden einige Möbelentwürfe Tessenows gezeigt, sehr schlichte, serienmäßig gefertigte Stühle ebenso, wie aus hochwertigen Materialien handwerklich gefertigte Stücke, von denen vor allem eine nach seinen Entwürfen gefertigte Wanduhr noch Jahrzehnte später verkauft wurde.

Tessenow hat auch nach 1933 seine Arbeit als Architekt und Lehrer fortsetzen können. In der Ausstellung heißt es, er habe die politischen Ereignisse mit Distanz beobachtet, sei als »Kommunistenfreund« und »Judenknecht« angefeindet worden. Der Jude Camill Hoffmann, einige Jahre Feuilletonredakteur der Dresdner Neuesten Nachrichten, würde das vermutlich nicht bestätigen, denn als er vor seiner Deportation nach Theresienstadt seine Gedichtmanuskripte zur Aufbewahrung an Tessenow schickte, soll der die Annahme verweigert haben. Und das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda nahm den von seinem ehemaligen Assistenten Albert Speer protegierten Tessenow in die unter Joseph Goebbels zusammengestellte Gottbegnadeten-Liste auf.

Begleitet wird die Ausstellung von Fotografien über das Hellerauer Alltagsleben. Die auf der Emporengalerie gezeigten Aufnahmen stammen vom Kupferstecher und Militärkartografen Rudolf Stich (1879–1929) und sind Teil eines erst kürzlich entdeckten Konvoluts. Der Amateurfotograf Stich zog 1912 in die Gartenstadt und dokumentierte mit seiner Plattenkamera ihre Entwicklung.
wonne

Heinrich Tessenow: Architektur und Möbel.
Rudolf Stich Ein Hellerauer Leben. Stadtmuseum, bis 29. Mai