Zwischen Datenberg und Zebrafisch

Johanna Bruckner, Carolyn Kirschner und Theda Nilsson-Eicke in der Galerie der Kustodie im Görges-Bau

Das ›Erntefest des Schlachtfelds‹ tönt aus dem Lautsprecher zu Theda Nilsson-Eickes Walküren-Skulpturen, die über dem Treppenaufgang des Görges-Baus schweben, dem Eingang zur Sonderausstellung »S+T+ARTS Ec(ho) Showing« der drei Gegenwartskünstlerinnen Johanna Bruckner, Carolyn Kirschner und Nilsson-Eicke. Im Rahmen des EU-Programms S+T+ARTS Ec(ho) Residency absolvieren sie einen Forschungsaufenthalt von 13 Monaten an der TU Dresden. Die Kustodie ist seit 2024 Kooperationspartnerin von S+T+ARTS, daneben sind auch die österreichische Ars Electronica und das Salzburg Festival, die polnische INOVA+, die italienischen T6 Ecosystems u. a. beteiligt.
Mit den S+T+ARTS Ec(h)o Residencies möchte die Europäische Kommission transdisziplinäre Knotenpunkte von Wissenschaft, digitaler Technologie und Kunst (Science + Technology + Arts) fördern. Das »Eco«/»Echo« im Programmnamen steht für ökologisch bewusste und dabei auf menschliche Bedürfnisse und ein gutes soziales Zusammenleben ausgerichtete digitale Lösungen. Wie schwer das zu realisieren ist, sehen wir jeden Tag, schon deshalb würde der Welt mehr von der Innovation, Kreativität, Reflexionstiefe und Unerschrockenheit vieler Künstlerinnen und Künstler guttun. Drei davon bringt das kuratorische Team der Kustodie bestehend aus Gwendolin Kremer, Pauline Hohn und Andreas Kempe nun zusammen.

Beim Betreten des Görges-Baus ziehen zunächst die großformatigen Skulpturen der 1984 geborenen österreichischen Künstlerin Johanna Bruckner die Blicke auf sich, die ihrer rot-lila Farbigkeit, schwellenden Form und fleischig-anthropomorphen Oberflächenstruktur nach an menschliche Körperteile oder -flüssigkeiten erinnern. Doch ihre Über-Dimension und Un-Gestalt wendet die Assoziation zugleich ins Absurde oder Schambehaftete: »Body Obfuscations« eben, Körper-Verschleierungen, die mit alten Körperbildern ebenso aufräumen wie mit medizinischer Hybris. 
Bruckners Zeit in Dresden, während der sie unter anderem mit der Professur für Nanotechnologie der Medizinischen Fakultät zusammenarbeitet, mit der Onkologie und der Professur für Datenwissenschaften, ist mit »Exploring Human-AI Relationships« überschrieben und wird sich in künstlerischer Form Konflikten zuwenden wie dem zwischen medizinischem Fortschritt und genauester Abbildbarkeit des Körpers auf der einen und schwer aufzubrechenden (westlichen) medizinischen Annahmen, beispielsweise die vom männlichen Körper als Maß für alle.

Die 1981 in Schweden geborene Künstlerin Theda Nilsson-Eicke, seit 2020 Professorin für Bühnen- und Kostümbild an der HfBK Dresden, forscht im Rahmen ihrer Residenz u. a. zusammen mit den Professuren für Klinische Psychologie und Neurowissenschaften, mit Informatikern und Religionspädagoginnen zum Thema »Modelling the Mind«. Ganz in diesem Sinne hat die Künstlerin im hohen Treppenhaus fünf Schaufensterpuppen mit weiten Kostümen installiert, die Gerhilde, Schwertleite, Siegrune, Grimgerde und Rossweisse heißen. Sie gehen auf Nilsson-Eickes Stück »Die Walküre« zurück, das sie 2020 für das Schauspiel Köln frei nach Richard Wagners gleichnamiger Oper aus dem »Ring des Nibelungen« konzipierte. Wie ein apokalyptisches Empfangskommando schweben die Walküren herab, allerdings in Regency-Kleid und BVB-Dortmund-Fanmontur.

Noch deutlicher wird die hier intendierte Überlagerung von analoger und digitaler Welt im Projekt »Cellar Door«, eine Art Director’s Cut eines Internet-Schauspiels, das unter Beteiligung von jeweils 42 Mitspielenden über einen Zeitraum von 504 Stunden nach den Anweisungen Nilsson-Eickes und wiederum mit entsprechenden Kostümen auf- und ausgeführt wurde. Teil der Ausstellung ist nicht nur der Film selbst, sondern kostümierte Puppen, die, sich selbst die Handy-Kamera vors maskierte Antlitz haltend, den Film anschauen. Publikum und Aufführung verdoppeln einander und gehen ineinander, das omnipräsente Selfie lässt grüßen.

Den konzeptuellsten Ansatz verfolgt die 1993 geborene, in London ansässige Designerin und Künstler-Forscherin Carolyn Kirschner. Unter der Überschrift »Exploring the Physics of Life« wird sie sich dem Zebrafisch widmen, jenem dekorativen asiatischen Zierfisch, der aufgrund seiner Eigenschaften (er ist pflegeleichter und reproduktionsfreudiger als Maus und Ratte) in den 1990er-Jahren zum Modellorganismus avancierte. Als begehrtes Versuchsobjekt für entwicklungsbiologische und genetische Experimente wird er seither in riesiger Zahl gezüchtet und gehandelt. Diese Fakten um den ›Fisch in uns allen‹ – rund 70 Prozent der Zebrafisch-Gene tragen auch wir in ähnlicher Form in uns – dienen Kirschner als Ausgangspunkt für Fragen nach möglichen Zukünften von Mensch und Kreatur gleichermaßen, denen sie in Kooperation mit dem Zentrum für Regenerative Therapien Dresden nachgeht.

Es ist erstaunlich, wie sich diese drei doch sehr heterogenen künstlerischen Positionen im Görges-Bau scheinbar mühelos zur Gruppenschau formen und wie sie mit den hier ausgestellten historischen Maschinen einen spannenden konstruktiven Diskurs anstoßen. So verblüfft das Zusammenspiel von Nilsson-Eickes martialischen dunklen Fantasierüstungen, deren dunkle Drähte die Bewegung ihrer unsichtbaren Träger evozieren, und den Geräten aus der Sammlung Historischer Elektromaschinen. Oder die leuchtend roten und gelben Isolationswicklungen der alten Maschinen, die vor dem Hintergrund von Bruckners überdimensionierten Körper-Fantasmen auf einmal Faszien und andere Gewebestrukturen aufrufen.

So entsteht beim Gang durch die Ausstellung ein höchst anregendes Beziehungsgeflecht, intelligent gemacht und voller Anspielungen. Kunst beflügelt hier unser Denken und (Alb-)Träumen von Technik, deren Auswirkungen auf Körper und Geist, Gefahren und schwindelerregende Möglichkeiten. Da kann man uns allen nur »Guten Flug und sichere Landung« wünschen. 
Teresa Ende

»S+T+ARTS Ec(ho) Showing: Johanna Bruckner, Carolyn Kirschner, Theda Nilsson-Eicke« Galerie der Kustodie im Görges-Bau, bis 4.Juli
www.tu-dresden.de/kustodie/