Barbaren

Deutsche Geschichte in Serie hadert ausgerechnet mit der Sprache

Das ist so eine Sache mit diesem brutalen clash of cultures aus dem Jahr 9 nach Jesus. Schon der Name. Varusschlacht sagen die einen. Aber das Ganze nach dem Loser benennen? Schlacht im Teutoburger Wald sagen die anderen. Aber wo genau das Gemetzel vonstattenging, darüber streiten noch die Historiker und Tourismusbehörden. Und dann ist da die Deutung in Deutschland: Rebellion auf der einen Seite, nationalistische Überhöhung auf der anderen. Verbürgt ist jedoch: Ein wild zusammengetrommelter Haufen germanischer Stämme haut drei hochgerüstete Legionen römischer Soldateska zu Brei – mithilfe lokaler Landschaftskenntnis, aber vor allem durch Verrat.

Nach drei sehr unterschiedlichen Spielfilmen aus den Jahren 1924 (stumm), 1977 und 1995, bietet nun Netflix eine sechsgeteilte Geschichtsstunde zum Thema. »Barbaren«. Unter dem namensgebenden Begriff versammelten die Römer seinerzeit alle Völker, die sie ihrer unwürdig befanden, also so ziemlich alle (bis auf die Griechen). Heute ist das Wort natürlich spektakelheischend und so auch marketingtechnisch ein Glücksfall. Ein Fakt am Rande: Die produzierende Gaumont GmbH gehört als Tochter des gleichnamigen französischen Mutterkonzerns zum ältesten noch tätigen Filmproduktionsunternehmen der Welt.

Im Zentrum der ersten fünf »Barbaren«-Folgen steht der Weg zum blutigen Finale, das sich in der letzten Episode entfaltet. Arminius (Laurence Rupp), als Kind seinem cheruskischen Clanchefvater durch den römischen Statthalter Varus entrissen, kehrt in der Rüstung der Feinde in seine Heimat zurück. Hier trifft er nicht nur auf familiäre Konflikte, Hass und speichelleckende Anbiederungen, sondern auch auf seine Jugendfreunde Thusnelda (Jeanne Goursaud) und Folkwin (David Schütter). Ein kurzer Moment der gemeinsamen Erinnerung, mehr bleibt den dreien nicht: Thusnelda und Folkwin wollen ein Paar sein gegen den Willen des Vaters der Braut, Arminius, eigentlich Ari, fühlt sich Rom verpflichtet, das ihn aufgezogen hat. Mit langem Anlauf wird nun die Geschichte um das Trio gestrickt, im Zentrum Arminius, der sich mehr und mehr vom arroganten Ziehvater Varus entfremdet sieht und ihn – samt seines Heeres – wortwörtlich hinter die Fichte lockt.

Das alles ist mit enormem Aufwand und voller Farbenpracht inszeniert und auch Fachleute loben die Genauigkeit von Kleidung, Gebäuden und sonstiger Ausstattung. Das Storytelling hingegen kommt etwas zu schlicht daher. Während etwa »Vikings« dem Publikum auch einiges zu Kultur, Religion oder Ritualen zu erzählen weiß, wird in »Barbaren« nur ab und zu Wodan erwähnt, oder man ruft allgemein die Götter an. Gerade hier wäre es wichtig gewesen, auf unterhaltsame Weise ein wenig Bildungsauftrag einzupflegen.

Richtig schlimm ist aber etwas anderes, für das Medium Substanzielles: die Sprache. Solange Latein geredet wird oder geritten oder gefochten, ist alles gut. Doch mit dem ersten Deutsch gesprochenen Satz möchte man abschalten. Hier wird theatermäßig deklamiert, gelernter Text steril dargeboten, Zeilen ohne emotionale Einpassung in das Geschehen. Um es mit einem Filmzitat auszudrücken: Das Grauen! Das Grauen! Mit einem simplen Trick lässt sich das Ganze jedoch lösen: Man schalte auf deutsche Untertitel und sehe sich die Serie in Englisch, Türkisch oder Italienisch an – all das ist besser als der Originalklang.

Apropos »Vikings«: Die letzten beiden Folgen inklusive Schlachteplatte wurden von Steve St. Leger inzseniert, der auch an der kanadisch-irischen Saga beteiligt war. Die vier Chapter davor stammen von der Österreicherin Barbara Eder. Der Unterschied ist deutlich zu sehen, nicht nur daran, wie Thusnelda am Ende zur Lagertha wird; auch die ganze Krieger-Choreo kann dem Nordmann-Vergleich standhalten.

Am Ende ist man zwiegespalten, weil hier Chancen vergeben wurden, aber noch lange nicht alles schlecht ist. Der ausstrahlende Streamingdienst jedenfalls hat nach »Dark« und »How to Sell Drugs Online (Fast)« auf jeden Fall schon jetzt einen dritten deutschen Serienhit gelandet. Dass mit Sophie Rois (Seherin), Matthias Weidenhöfer (Golmad) und Nikolai Kinski (Pelagios) auch Prominenz in Nebenrollen zu sehen ist, bleibt dabei fast unbemerkt.

Inzwischen hat Netflix eine zweite Staffel angekündigt. Liest man nach, was es an Fakten zu Thusnelda, ihrem Vater und Arminius gibt, wartet da einiges an Verwicklungen, wenn auch keine Weltgeschichte mehr. Was man aber schon wissen darf: Auf jene historisch verbürgte Thusnelda geht der heutige Begriff der Tussi zurück. Eine schlimme Ungerechtigkeit.
Uwe Stuhrberg

Barbaren
Deutschland 2020, Regie: Barbara Eder, Steve St. Leger
Mit Jeanne Goursaud, Laurence Rupp, David Schütter, Gaetano Aronica, Urs Rechn
Eine Staffel mit 6 Folgen auf Netflix.