Enfant Terrible

Porträt eines superkreativen Berserkers

Er gehört zu den größten Regisseuren der Nachkriegszeit, machte den deutschen Film im Ausland wieder salonfähig. Noch heute schwärmen die Franzosen von ihm, dem »enfant terrible«, dem einzigartigen Rainer Werner Fassbinder. Sich an so eine Ikone zu wagen, dazu braucht es Selbstbewusstsein, Chuzpe und Mut. Über die verfügt Oskar Roehler, der ebenfalls in kein Raster passt. Kein Biopic, sondern ein rohes und raues Fassbinder-Porträt von Bewunderung und ein bisschen Verehrung, geprägt für ein Genie, das sein intensives Leben wie eine Kerze an beiden Enden abbrannte.

Der größte Teil spielt in einem fast klaustrophobischen Ambiente mit ausgefallener Licht- und Farbdramaturgie. Als der 22-Jährige im Handstreich die Bühne des Anti­teaters in München kapert, ist das der Beginn eines kometenhaften Aufstiegs. Im Wahnsinnstempo dreht er einen Film nach dem anderen, schart eine Truppe von Schauspielern und Schauspielerinnen, Selbstdarstellern und Lovern um sich. Kein netter Typ, sondern einer, der wie eine Dampfwalze über andere rollt. Nicht zufällig nahmen sich zwei Männer aus einem engen Umfeld das Leben. Als Fassbinder, der immer mehr in einem Sumpf von Drogen versank, 1982 starb, war es auch das Ende einer Ära.

Roehler hängt Situationen aneinander, zeigt die düsteren Seiten eines Superkreativen, der emotional eine Schneise der Verwüstung hinterlässt, aber schon mal nachmittags Dreharbeiten abbrach, um ein Fußballspiel zu gucken. Oliver Masucci verkörpert diesen Berserker, der in seiner kurzen Existenz circa 40 Kino- und Fernsehfilme schuf, darunter die berühmte Serie »Berlin Alexanderplatz«, »Martha«, »Die Ehe der Maria Braun« oder »Die Sehnsucht der Veronika Voss«, mit fiebrigem Habitus und am Schluss mit körperlichem Verfall. Einer, der verzweifelt nach Liebe und Zärtlichkeit suchte, aber keine Nähe duldete und ertrug.
Margret Köhler

Enfant Terrible
Deutschland 2020, Regie: Oskar Roehler
Mit Oliver Masucci, Hary Prinz, Katja Riemann, Alexander Scheer, Eva Mattes, Jochen Schropp, Désirée Nick, André Hennicke
Programmkino Ost, Schauburg, Zentralkino
www.weltkino.de