»Dann lebt die Welt als sei sie für mich da.«

Dresden-Gedichte von Roland Müller

Weit über hundert Denkmale seiner Heimatstadt Dresden hat der Physiker und Lyriker Roland Müller fotografisch abgelichtet, bedichtet und in einem Buch versammelt. Wohlgemerkt, Denkmale im herkömmlichen Sinne interessieren den Poeten eher nicht, »sondern Dinge im öffentlichen Raum der Stadt, die uns zu einem der schönsten menschlichen Laster anregen, dem Denken.« Also neben den üblichen Skulpturen, Plastiken oder Reliefs durchaus auch Brücken, Brunnen, Monumentalvasen, Teiche, Postmeilensäulen, Portale, Wandbilder, Stelen, Uhren, ja sogar Fassadenornamente etc. Den chronologischen Anfang seiner Sammlung sowie deren Ende markiert zum einen die 1230 erstmals urkundlich erwähnte Augustusbrücke und zum anderen die 2016 (nach einer Spitzwegvorlage gefertigte) in Leubnitz-Ostrau aufgestellte Bronzefigur »Zeitungsleser im Hausgärtchen« des Lungkwitzer Bildhauers Hans Kazzer. Unberücksichtigt blieben, so der Autor, die Denkmale von »Königen, Militaristen, Heilsverkündern und ideologisch aufgepumpten Chimären«, bei deren Betrachtung ihm, zu unser aller Glück, nix einfallen wollte. Aus den über hundert lyrischen Texten ragen – inhaltlich und ebenso in ihrer ansprechenden formalen Bewältigung – drei Texte heraus. Einer aus der raren Garde der bewusst knapp Gehaltenen, wurde unter dem schönen Titel »Ich, der trunkene Vogel« einer auf den ersten Blick wenig spektakulär erscheinenden, auf der Cossebauder Hauptstraße installierten Brunnenanlage gewidmet. Schnörkellos frisch hebt er an: »Wo kommt das Wasser her, / aus welchen Gründen? / Ist bald mein Schnabel leer? / Dann will ichs finden, // Erst war der Durst so groß, / und ich war trocken. / Wo will das Wasser bloß / mich noch hinlocken? // Bin ganz betrunken jetzt, / les in der Zeitung: / Was meine Kehle netzt, /kommt aus ner Leitung.//«

Die 1938 von Otto Poetzel aus Kunstmuschelkalkstein gestemmte »Blumenpflückerin«, volkstümlich auch »Nacksche von Niedersedlitz« genannt, die zeitweilig auf dem Hepkeplatz campierte, lässt Roland Müller philosophieren: »Ists wichtig, dass ich diese Blumen pflücke? / Baut nicht die Zeit zur Zukunft eine Brücke? / Dann lebt die Welt, als sei sie für mich da. //«

Mit seinem »Tanz an der Fassade« (den man als Wandbild auf dem Kanzleigäßchen entdecken kann) ist dem Lyriker ein Solitär gelungen, den er Gret Palucca, der ungestüm sich verrenkenden, springenden und ungemein erfolgreich lehrenden Tanz-Ikone Dresdens zugeschrieben hat. Treffend und bündig heißt es da: »Ich will nicht hübsch und lieblich tanzen, / nein, lieber fröhlich, unbeschwert, / ich mag den Raum, den dichten, ganzen, / der gliedert sich in Lust und Wert. // Ich dehn ihn aus mit meinen Sprüngen, / seht, wie er sinkt und leise schwebt! / Mit tollen, rhythmisch starken Schwüngen / schaff ich, die Wahres lebt. //«

Allerdings eignet nicht allen in Müllers Band versammelten poetischen Gebilden dieser kräftige, ja urwüchsige Grundton. Oft gleiten die Verse ins schlicht beschreibende ab und offenbaren eben gerade nicht die in der den Texten und Bildern vorangestellten streitlustigen Eingangsbemerkung des Verfasser angemahnte »lyrische Durchdringung des bedichteten Gegenstandes«. Als unglücklich und überflüssig erweist sich zudem die gar zu häufige Nutzung des mittlerweile recht verschlissenen Kreuzreimes, wie auch der ungebremste Einsatz umgangssprachlicher den Text arg verstümmelnder Wortreduzierungen, von denen hier aus einer Vielzahl heraus »nur« 13 beispielhaft Erwähnung finden sollen: »warn, unsrer, wurd, andre, mans, ins, wolln, gabs, ewger, hiesge, ists, gäbs, fleißgen …«
Li Lien

Roland Müller: Denkmale in Dresden. Gedichte, radochla verlag Werben 2021, 17,99 Euro