Nach Süden, nach Süden!

Jens-Uwe Sommerschuh erfindet "Mimi"

Was für ein gemeiner Roman. Immer wieder weckt er Lust. Fernweh und Sehnsucht nach Süden. Nach Abenteuer und Sonne. Und sowieso Lust auf die Titelfigur, mit der man beim Lesen gern etwas bangen mag. Ein Sommerroman? Von wegen. Wenn schon, dann tatsächlich ein Sommerschuh-Roman.
Nach »Carcassonne« und »Coyote« ist »Mimi« der dritte Belletristiktitel des in Dresden lebenden Kritikers und Kolumnisten, der sich gern und oft Auszeiten auf der italienischen Mittelmeerinsel Alicudi leistet. Die gut 400 Seiten von »Mimi« sind ein Ausdruck seiner Reiselust und seines Interesses für geografische und historische Gegebenheiten. Davon vermittelt er den Lesern manchmal ein klein wenig zu viel, stets aber in ausgeprägter Sprachkompetenz und mit dem Anreiz, die Entdeckungsreise bald einmal selbst fortzusetzen.
Doch Sommerschuh hat, obwohl Ich-Erzähler und Titelfigur ganz schön unterwegs sind, kein Road-Movie geschrieben. Eher das Drehbuch dazu. Also auch keinen Krimi. Trotzdem fliegt die erste Tote schon zu Beginn des Romans in hohem Bogen durch die Luft, angefahren von einem schwarzen SUV-Monster. Sie wird nicht die einzige bleiben, die auf diese Weise ums Leben kommt. Andere werden erschossen, im Durcheinander von Intrige und Rache wird auch heftig geprügelt. Mimi und der Ich-Erzähler aber überleben – bis zur letzten Seite. Und das ist kein Krimi?

Jens-Uwe Sommerschuh hat ein Gespür für unterhaltsamen Nervenkitzel voller Spannung und Doppelbödigkeit. Am liebsten möchte man mit diesem Roman, wenn schon nicht Mimi, dann doch sofort einen Zug Richtung Süden besteigen, an die französische Mittelmeerküste, wo das atemberaubende Spektakel seinen Lauf nimmt. Don Jones oder Donny, wie der Held  von seinen Freunden genannt wird, wenn er denn welche hätte, agiert vor filmreif prächtiger Kulisse. Weil er mächtige Spielschulden hat, die von einer obskuren »Firma« übernommen worden sind, soll er sich Marc Richards nennen, dann Noah Vian, und undurchschaubare Aufträge ausführen. So begegnet er Mimi, der es recht ähnlich geht. Eine faszinierende Frau, die nichts mit Puccinis »Bohème«-Figur gleichen Namens zu tun hat, auf ihre Art aber auch eine Tragödin ist.

Der geneigte Leser dürfte sich rasch in sie vergucken, denn sie ist wesentlich fleischiger als ihr Donny-Noah-Partner beschrieben. Sommerschuh sorgt für Dramatik, streut Poesie und Erotik ein, versieht seine ergreifenden Landschaftsbeschreibungen mit elementarer Geschichtsbildung.
Die Schauplätze wechseln von London nach Toulouse und Marseille die Riviera entlang sowie wieder ins Hinterland, wo Sommerschuhs Held eine Menge komischer Käuze und interessanter Frauen begegnet. Im Eiltempo meist und höchst abenteuerlich. Die wenige Tage dieses Romans haben es in sich, führen in eine einsame Villa mit raren Kunstwerken an sämtlichen Wänden. Da gibt’s eine Polin, die grandiose Zungenküsse verteilt, aber undurchschaubar bleibt, weil sie mal für das Finanzamt, dann für einen Geheimdienst und obendrein für die »Firma« zu arbeiten vorgibt. Also mitten im Gangstermilieu. Auch sie wird an einem schwarzen Van scheitern. Welcher ihrer Auftraggeber das wohl veranlasst hat?

Immerhin geht es in diesen wechselnden Abhängigkeiten um mafiöse Strukturen, auch in Regierungskreisen, Höhepunkte und Abgründe tun sich da auf, einer nach dem anderen. Als wäre es mit diesem Filz aus Politik und anderen Verbrechen nicht genug, hat Mimi aber auch noch eine Rechnung mit ihrem Ex-Mann offen. Die wird nachts in Rom beglichen, am Ufer des Tiber. Blöderweise wartet auch dort ein schwarzes Auto, das ganz plötzlich ...

An dieser Stelle bleibt unklar, ob man den Ich-Erzähler wirklich beneiden will. Fest steht jedoch, dass sich 400 Buchseiten selten so appetitlich verschlingen lassen.
Michael Ernst

Jens-Uwe Sommerschuh: Mimi Editia – Ein Imprint des Dresdner Buchverlages, 14,90 Euro
www.dresdnerbuchverlag.de