Vom irdischen Wandel der Dichter

Bodo Plachta über Dichterhäuser

Heinrich Heine, der ab 1831 in Paris zu leben gezwungen war, vermerkte in seiner ansonsten von sarkastischer Ironie geprägten polemischen Schrift »Die romantische Schule« geradezu verklärt: »Es war vor einem Jahr, kurz nach meiner Ankunft in der Hauptstadt. Ich ging eben das Haus zu sehen, worin Molière gewohnt hat; denn ich ehre große Dichter, und suche überall, mit religiöser Andacht, die Spuren ihres irdischen Wandels. Das ist ein Kultus.«

Der Osnabrücker Germanist Bodo Plachta stellt dieses Zitat programmatisch an den Beginn der kenntnisreichen Einleitung zu seiner jüngsten Publikation, die, opulent ausgestattet mit großformatigen Farbfotografien von Achim Bednorz, mehr als sechzig Dichterhäuser des deutschsprachigen Raumes vorstellt.

Am Beginn des faszinierenden Exkurses durch Zeit und Raum begegnen wir den in unseren Tagen konzipierten so genannten »Stellvertreterhäusern«, die – etwa in Eschenbach für den Minnesänger Wolfram von Eschenbach oder in Renchen für den Schöpfer des »Simplicisimus« Jakob Christoph von Grimmelshausen – kreiert wurden, um es (mangels authentischer Erinnerungsstücke) heutigen Literaturenthusiasten zu ermöglichen, einen fiktiven Dialog mit den Dichtern vergangener Jahrhunderte führen zu können, »der ihnen Biografie, Zeitgeschehen, Werk und dessen Aufnahme beim damaligen Publikum näher zu bringen« vermag. Mit der von Heine heraufbeschworenen »religiösen Andacht« dürfte diese musealen Gebilde wohl kaum ein Besucher betreten. Dem sei hingegen ans Herz gelegt, sich in Wilhelm Ludwig Gleims veritables Wohnhaus hinter dem Halberstädter Dom auf Spurensuche zu begeben und dabei Merkenswürdiges zu erfahren. Gleim nämlich, einer der rasantesten Briefeschreiber seiner Zeit, der bienenfleißig mit mehr als fünfhundert erlauchten Persönlichkeiten korrespondierte, ließ von den bedeutsamsten seiner zahlreichen Adressaten für die häusliche Galerie lebensnahe Brustbilder verfertigen und hängte diese so auf, dass er ihnen beim Schreiben hin und wieder in die Augen schauen konnte.
Jean Paul, Phantast und bitterernster Humorist in einem, den der eher humorlose Klassiker Goethe das »personifizierte Alpdrücken seiner Zeit« zu schimpfen pflegte, spazierte dereinst mit seinem Hund tagtäglich in die Rollwenzelei, eine Wirtschaft nicht weit vor der Stadt (da findet man sie noch heute) in deren Dichterstübchen er sich schließlich »zu Tode gearbeitet« und (mit Verlaub) getrunken hat, und er bescherte damit den Deutschen nicht nur das wahrscheinlich kleinste Museum des Landes, sondern seinen enthusiastischen Lesern dazu einen geschichts- und geschichtenträchtigen Erinnerungsort.

Zu beeindrucken verstehen so gut wie alle Beiträge des Bandes. Obschon aus recht unterschiedlichen Gründen. Einige feiern vehement den Dichter als gut situierten erfolgreichen und von aller Welt gefeierten Künstler, dem es Dank reichlich fließender Tantiemen zudem noch gelingt schön, schöner oder gar am schönsten zu wohnen. Zu den besonders berührenden und interessantesten Beiträgen des Bandes muss hingegen, neben den Wolfgang Koeppen und seiner späten Rückkehr nach Greifswald gewidmeten Ausführungen, zweifellos der Aufsatz »Das Frieren lernen. Marieluise Fleißer in Ingolstadt« gerechnet werden.

Marieluise Fleißer, galt als Nestbeschmutzerin, nachdem sie mit der Komödie »Pioniere in Ingolstadt«, die – nach intensiver künstlerischer Zusammenarbeit mit Bert Brecht 1928 auf die Berliner Bühne gebracht – einen formidablen Theaterskandal ausgelöst hatte. Im wahren Sinne des Wortes unbehaust, musste sie in ihrer Heimatstadt für Jahrzehnte »Ausgrenzungen und Anfeindungen« erfahren, bevor es ihr nach 1945 gelang,  zumindest zögerliche Anerkennung zu ernten. 2001 wurde das Geburtshaus der Dramatikerin, in der sich neben einer Eisenwarenhandlung die väterliche Schmiede befunden hatte, als Museum eröffnet. Sie selbst meinte am Ende des Lebens von den Ingolstädtern: »Die sind nicht feindlich gegen mich eingestellt. Aber ich habe doch immer das Gefühl, dass ich ihnen nicht ganz geheuer bin.«
C. David

Bodo Plachta: Dichterhäuser.
Mit Fotografien von Achim Bednorz
Theiss Verlag Darmstadt 2017, 49,95 Euro