After The Fire, Before The End

Postcards aus Beirut am 10. Juni in der GrooveStation

Eine Postkarte aus Beirut bekommt man nicht alle Tage, denn obwohl die Stadt lange als das Paris des Nahen Ostens galt, ist sie heute nicht unbedingt ein gängiges Touristenziel. Beirut ist eher als Thema der Abendnachrichten in unserem Bewusstsein, mehr Krisenherd denn Kulturzentrum. Kein Wunder also, dass eine Gruppe aus Beirut, Libanon, erstmal neugierig macht. Denn Postcards ist mit schon ihrem Debütalbum Dream-Pop in Vollendung gegluckt! Im Falle der aufstrebenden Band liegt es auf der Hand, den Reiz des Exotischen zu beschwören, doch würde man damit den Postcards keinesfalls gerecht. Der markante Dream-Pop der Band verrät seine Provenienz nie, tönt vielmehr so, als wäre er vom Campus eines US-College ausgebüxt. Genau daran muss man ihn messen. Würden Postcards auch aufhorchen lassen, wenn sie einem der musikalischen Hotspots der USA entsprungen waren? Aber ja! Denn in ihrer Musik trifft melodischer Feinklang auf den genretypischen Gitarrensound und einen Gesang, der im Ausdruck seinesgleichen sucht. Julia Sabra verfügt über einen Vortrag, der alle Verlorenheit und Sehnsucht fast beiläufig ins Mikro haucht. All das machte »I‘ll be here in the morning« zu einem Albumdebüt, dem der Zauber des Unvergesslichen nachschwingt.

Auf der Bühne weben rund um die sanfte und warme Stimme von Julia Sabra Gitarrist Marwahn Tohme und der Schlagzeuger Pascal Semerdjian einen sphärisch schwebenden Klangteppich, mit dem sie die lyrischen Texte der dreiundzwanzigjährigen Sängerin begleiten. Die drei sehen genauso aus, wie ihre Altersgenossen in Europa oder den USA und sie träumen die gleichen Träume. “Bei uns im Libanon mag das Leben manchmal chaotisch sein, weil vieles nicht funktioniert”, sagt Pascal, “aber uns erscheint das völlig normal. Jeder versucht sein Leben so gut wie möglich zu organisieren. Wichtig ist, dass Du einen guten Freundeskreis hast.”

Aber wie lebt man mit dem Bewusstsein, mitten in einer Krisenregion zu wohnen? “Wir reden schon miteinander über das, was um uns herum passiert, aber konzentrieren uns vor allem darauf, weiterzumachen. Wir haben den Krieg ja nicht mehr selbst erlebt.” Deswegen habe die junge Generation auch eine positivere Lebenseinstellung als viele Ältere im Land. Wieso sie so westlich klingende Musik machen? “Für uns ist es die Musik, die wir selbst mögen. Wir hören nicht viel arabische Musik, das ist auch kein Wunder denn wir sind schon auf der Schule vor allem auf Englisch oder Französisch unterrichtet worden”, erzählt Julia, “abgesehen davon singen auch viele deutsche Bands wie wir auf Englisch. Unsere Texte handeln dennoch von unserem Alltag in Beirut.”

Nach Dresden kommen Postcards am 10. Juni mit ihrem vierten Album „After The Fire, Before The End“, das nicht nur während einer, sondern gleich mehreren Krisen entstand, in denen Existenzen zerstört werden, der Tod einem mitunter näher als das Leben ist, die Trauer das Dasein bestimmt und das Glück sich während der Isolation aus dem Staube gemacht zu haben scheint. Der Titel bezieht sich ganz offenbar auf die erschütternde Explosion, welche sich im August 2020 im Hafen von Beirut ereignete und mehr als 200 Menschenleben forderte, da auch die Rauchschwaden auf dem Cover wohl Aufnahmen von der Katastrophe sind.

Das gesamte Album behält fast durchgängig seine kritische Perspektive, bleibt politisch zum Glück nicht neutral und zeigt, wie schwierig es ist, im Libanon ein normales, friedliches Leben zu führen, sodass sogar ein Song mit dem Titel „Summer“ nicht nur von der Schönheit dieser Jahreszeit erzählt, sondern auch davon, wie Soldaten sich auf Dächern platzieren, um die Menschen in den Häusern und auf der Straße zu beobachten.

Auch „January“ hat nicht den ersten Monat des neuen Jahres im Visier, sondern vielmehr die Trauer, die einem im neuen genauso wie im vergangenen Jahr überall begegnet: „Trauer beim Älterwerden, Trauer am Ende, Trauer als dein Nachbar, Trauer als dein Freund ...“

Ganz offensichtlich ist die Musik der Postcards von den Ereignissen ihres Heimatlandes dermaßen geprägt, dass die Schrecken dort in keiner Weise beschönigt, sondern von dem Beiruter Trio kunstvoll und musikalisch umgesetzt und mit genau den Stimmungen und der Lyrik verwirklicht werden, die dieser realen Welt ihre eigene Gefühlswelt gegenüberstellt, welche sich dann am Ende des Albums mit der infernalischen Hymne „If I Die“ vervollkommnet: „Es ist nichts mehr übrig außer der Sonne. Begrabt mich im Licht.“
„After The Fire, Before The End“ wird so das bisherige Opus Magnum der Postcards, in dem sie ihre Ängste und den Wehmut, die mit ganz konkreten Ereignissen ihrer Heimat verbunden sind, mit ihren persönlichen Sehnsüchten und Träumen sowie ihrer unerschütterlichen Liebe vereinen, wobei Shoegaze auf Dreampop trifft und einen Tanz durch den finsteren Tunnel dem Licht entgegen aufführt. Egal, wie traurig einen auch die eigene Heimat machen kann.

Postcards 10. Juni, 20 Uhr, GrooveStation
Tickets: www.saxticket.de
www.postcardsmusic.com