Auch so geht Mahler

Kent Nagano kehrte mit Mahlers tragischer 6. Sinfonie zurück

Zu seinem ehemaligen Orchester, dem Deutschen Sinfonie Orchester (2000 – 2006, heute Ehrendirigent) kehrt der heutige Hamburgische Generalmusikdirektor in schöner Regelmäßigkeit und vom Publikum freudig erwartet zurück. Kurz vor dem Johannistag war es diesmal Mahlers 6. Sinfonie mit dem inoffiziellen Programmnamen „Die Tragische“, die Kent Nagano im Gepäck hatte. Ohnehin ist dies offenbar die Zeit, in der viele Orchester und Dirigenten zum Mahlerjahr – der Komponist starb 1919 – einstudierte, aber coronabedingt nicht mehr zur Aufführung gebrachte Werke nachholen.

So kam dann die Berliner Philharmonie im Jahr 2023 zu einer Sinfonie, in der Mahler unter all seinen Sinfonien wohl am strengsten den klassischen Sinfoniesatz einhielt. Überraschend ist aber die eher düstere Färbung einer Sinfonie, die der Komponist – wie so gerne in einem an einem See (hier: Attersee)  gelegenen kleinen Komponierhäuschen erschaffen – seiner 1906 in Essen uraufgeführten 6. Sinfonie verleiht. Denn in der Entstehungszeit hatte der Komponist die glücklichste Phase seines Lebens: Er war Wiener Hofoperndirektor und hatte mit Alma Schindler, die er nach deren Aussage in dem Werk porträtiert haben soll (ähnlich wie Richard Strauß seine Frau mit „Ein Heldenleben“) die damals wohl begehrteste Frau des Wiener Kulturlebens zur Ehefrau gewonnen. Außerdem setzt der Komponist die Verknüpfung von sinfonischer und Marschmusik aus der 5. Sinfonie fort, in dieser Sinfonie sich aber über das gesamte Werk wiederholend. Dem schwungvollen ersten Satz folgt ein sehr getragener Zweiter (ursprünglich dritter Satz, später dem Scherzo vorangestellt), den dann wieder ein Scherzo im nun dritten Satz kontrastiert, ehe der vierte Satz eine beinahe spiralartige Hinbewegung auf ein Finale andeutet, ohne dass es dann zwingend abschließend zustandekommt. Ansonsten ist Formstrenge, für Mahler untypisch, ein Charakteristikum dieses Werkes.

Lediglich im dritten Satz gelingt ihm der Weg von dem beherrschenden a-moll hin zu einem möglichst weit entfernten Es-Dur.  Eine Besonderheit sind auch die perkussiven Einfälle, die neben einer Batterie von Kesselpauken auch ein ganzes Arsenal weiterer Klanggeneratoren zum Einsatz bringt über Kuhglocken und Reisigbündel bis zu einem riesigen Holzhammer, dessen Effekt mehr ein optischer, als ein klanglicher ist, aber seine Wirkung auf das Publikum regemäßig nicht verfehlt.. Manches dieser Geräte dürfte über das Konzertjahr ein sehr erholsames Asservatendasein ohne operativen Einsatz gewärtigen.

Nagano ging mit dem DSO das Werk sauber und detailgenau an, opferte aber dem Streben nach dem großen harmonischen Bogen die Akzentuierung mancher Besonderheit. Das Orchester folgte ihm als sei es nie von einem Anderen geleitet worden. Hier hätte Thielemann sich wahrscheinlich in der Auffächerung der Details ausgetobt. Es ist immer wieder interessant, wie sehr doch Dirigenten die Möglichkeit nutzen, einem Werk ihren höchstpersönlichen Stempel aufzudrücken. Das Publikum an jenem Sommerabend verlieh deutlich seiner Genugtuung Ausdruck. Auch so geht Mahler. Und das ist auch legitim.
Ra.