Der größte Popstar des Balkans
Goran Bregovic bittet samt Band am 21. Juni in Dresden zum Tanz
Ohne Goran Bregovic hätte es wohl keinen Balkan-Boom gegeben. Seit dem Soundtrack zu Emir Kusturicas Film »Time Of The Gypsies« ist der bosnische Altmeister die Gallionsfigur der überschäumend-schmerzreichen Musik des europäischen Südostens. Als Zeremonienmeister seiner Wedding and Funeral Band eroberte er die Welt und wurde zur Schablone für viele Balkanorchester. Nun kehrt das Original ein weiteres Mal nach Dresden zurück: Mit dem aktuellen Programm wird er am 21. Juni wieder in Dresden zu Gast sein – diesmal hier erstmals unter freiem Himmel auf dem Open-Air-Areal am Club Tante Ju im Industriegelände.
Denn auch nach weit mehr als zwanzig Jahren ist Bregovics »Hochzeits- und Begräbnis-Kapelle« in alter, mitreißender Frische unterwegs: Die Musik der neunköpfigen Formation wird angetrieben von einer erdigen Perkussionsriege; Saxofone, Trompeten und Hörner bilden das herzblutende Zentrum. Darüber entfaltet sich seelenvoller Gesang mit Hymnen voller Pathos, aber auch mit vorwärtstobenden, augenzwinkernden Partykrachern. Dabei hat sich der Tausendsassa aus Ex-Jugoslawien in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder neu erfunden und ist bis heute der größte Popstar des Balkans. Doch seine eigentliche Erfüllung scheint er als Komponist und Impressario seiner legendären Wedding & Funeral Band gefunden zu haben.
Doch will man den Künstler Goran Bregovic beschreiben, ist es wichtig, bei seinen Wurzeln anzufangen. Geboren wird er 1950 in Sarajewo. Als Sohn einer serbisch-kroatischen Ehe, steht seine Herkunft stellvertretend für die Widersprüchlichkeit und Zerrissenheit dieses Teils des Balkans. Von seinen Eltern bekommt Goran eine Gitarre geschenkt und damit war es um ihn geschehen. 1966, mit sechzehn Jahren, schließt er sich der Formation Bestije an, die er jedoch bereits zwei Jahre später wieder verlässt, um erst bei Kodeks und dann beim Trio Mica, Goran und Zoran weiterzuspielen.
Am Konservatorium studiert er mehrere Jahre Violine, fliegt dort jedoch wegen dauernden Fehlens wieder raus. Nach einem kurzen Intermezzo als Philosophiestudent gründet er seine erste eigene Band Jutro (deutsch: Morgen). Die Namensänderung in Bijelo Dugme (deutsch: Weißer Knopf) erfolgt dann, als Fans bei Konzerten den größten Hit der Band »Kad bih bio Bijelo Dugme« skandieren. Damals war noch nicht abzusehen, dass diese Band zu einer der einflussreichsten und bekanntesten Formationen im gesamten Ostblock avancieren sollte. In ihren Rock-Sound integrieren die Musiker von Bijelo Dugme auch folkloristische Elemente der Heimat. Bregovic gilt als Kopf und Star der Gruppe und ist somit auch für diese Experimente verantwortlich.
Dass die Integration von traditionellen Klängen des Balkans nicht nur Effekthascherei ist, offenbart sich in Bregovics späterem Schaffen. Die Formation feiert einen Erfolg nach dem anderen und zieht die Fans in ihren Bann wie keine andere Rockband aus Jugoslawien zuvor. Es hagelt Gold- und Platinplatten, bis Bregovic 1985 die Schnauze von Rockmusik gestrichen voll hat und aussteigt. 1988 lösen sich auch Bijelo Dugme auf. Der Kosmopolit zieht sich erst einmal in sein Haus auf einer kleinen Adriainsel zum Fischen zurück, bis ihn der Krieg aus seiner Isolation wieder herausholt. Ein Großteil seines Privatvermögens, das aufgrund der Bijelo-Dugme-Karriere stattlich ist, wird gesperrt. Somit muss sich der Star Bregovic dieser neuen Situation stellen und sich überlegen, womit er jetzt seine Brötchen verdienen möchte.
Die Zusammenarbeit mit dem jugoslawischen Filmemacher Emir Kusturica macht ihn weit über die Grenzen seines Landes hinaus bekannt. Mit Filmmusik hatte er bereits Erfahrungen gesammelt, 1978 hat Bregovic für Mica Milosevics »Nije Nego« den Score geschrieben, seine Arbeit mit Kusturica sollte jedoch weitaus aufsehenerregender werden. Für »Time Of The Gypsies« komponiert er die kongeniale Begleitmusik, ohne die der Film nur halb so schön geworden wäre.
Hier zelebriert Bregovic das musikalische Vermächtnis des Balkans. Ethnische Barrieren existieren in diesem Kontext nicht mehr. Alles fließt ineinander, stets getragen von den emotionalen Extremen: himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt. Dazwischen existiert nichts. Neben den Soundtracks zu »Arizona Dream« (unter anderem mit Iggy Pop, Johnny Depp und Jerry Lewis) und »La Reine Margot« ist vor allem seine Arbeit für den preisgekrönten Film »Underground« hörenswert.
Nach »Underground« zieht sich Bregovic, was Filmmusik anbelangt, wieder etwas zurück. Aber 1995 zieht es ihn wieder auf die Bühne. Mit einer Mammut-Besetzung, die einen 50-köpfigen Chor und ein komplettes Symphonie-Orchester einschließt, geht er in Griechenland und Schweden auf Konzertreise. 1997 folgt eine Tour in abgespeckter Besetzung. Als absoluter Höhepunkt spielt er am 1. Mai in Rom mit seinem Orchester vor 500.000 Zuschauern.
Mit seinem 2002 erschienenen Album »Tales And Songs From Weddings And Funerals« zeigt Bregovic erneut, dass traditionelle Musik nicht altbacken klingen muss. Obwohl er sich jetzt vermehrt seinen eigenen Projekten widmet und viel mit seinem Orchester unterwegs ist, findet er immer wieder Zeit für Kollaborationen. Seine Zusammenarbeit mit den polnischen Künstlern Kris Krawczyk (2002) und Kayah (2000) machen ihn in unserem Nachbarland zum umjubelten Star. Was die Zuhörer an Bregovics Musik fasziniert, ist der Faktor, dass er versucht, scheinbar Gegensätzliches zusammenzuführen, eine Fähigkeit, die interessante Musik garantiert.
Dieser Maxime folgt er auch 2007 mit »Karmen (With A Happy End)« in Anlehnung an die Bizet-Oper. Das Stück feiert bereits 2004 seine Premiere, aber erst drei Jahre später veröffentlicht er ausgewählte Stücke aus der Melange aus »Jahrmarkttheater und Oper« auf einem Album.
Auf dem Album »Three Letters from Sarajevo« wiederum vereint Goran Bregović die Religionen von Sarajevo, denn er ließ sich von der Geschichte seiner Heimatstadt, ihrer besonderen Identität und ihren verschiedenen Glaubensgruppen sowie ihren Verschmelzungen und komplexen Paradoxen inspirieren. Und so sind vier unterschiedliche Vokalisten zu hören: Rachid Taha aus Algerien, Bebe aus Spanien sowie Riff Cohen und Asaf Avidan aus Israel.
Was Bregovic auch anpackt, er scheint ein Wandler zwischen den Welten zu sein. Nirgendwo dauerhaft zu Hause; heute hier, morgen dort. Vielleicht macht ihn das auch so interessant und unverwechselbar.
JH
Goran Bregovic 21. Juni, Open Air an der Schleife 1/ Tante Ju
www.goranbregovic.rs
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