Die Rockband als Gegenentwurf

Matt Sweeney und Jim White von The Hard Quartet im Interview

Angeblich sind Rockbands ein Auslaufmodell. Wirklich? Eher scheint das Gegenteil der Fall. Zusammenschlüsse einzelner Musiker zur Gruppe sind heutzutage sogar mehr denn je von gesamtgesellschaftlicher Relevanz, wollten Matt Sweeney und Jim White am Rande des Konzertauftritts von The Hard Quartet im Dresdner Beatpol gern bestätigen. Ein cybersax-Gespräch von Bernd Gürtler.

SAX: Seine Existenz verdankt The Hard Quartet Stephen Malkmus und seinem zweiten Soloalbum "Traditional Techniques", heißt es. 
Matt Sweeney: Korrekt. 

SAX: Matt, du bist an der Albumeinspielung beteiligt gewesen. Wie ist Stephen auf dich gekommen?
Matt Sweeney: Wir kennen uns seit den frühen neunziger Jahren aus verschiedenen Bands, namentlich Endless Boogie, eine New Yorker Formation, die es auf eine beachtliche Anzahl von Tonträgerveröffentlichungen brachte. "Traditional Techniques" sollte ein Akustikalbum werden, eingespielt direkt auf Magnettonband. Stephen fragte mich, weil er ansonsten Mitstreiter versammeln wollte, mit denen er noch nie gearbeitet hatte. Der Aufnahmeprozess verlief reibungslos, und am zweiten oder dritten Tag schlug ich ihm eine Band mit Jim White und Emmett Kelly vor. Er meinte, gute Idee! Dann kam die Coronapandemie und wir mussten erst das Weltenende nebst seiner Begleitdilemmas hinter uns bringen, bis wir zur Tat schreiten konnten. Jim White und ich sind auch seit den Neunzigern befreundet, Jim und Emmett Kelly ebenso. Wenig überraschend, dass wir uns früher oder später in einer gemeinsamen Band zusammenfinden.
Jim White: Emmett und ich kennen uns seit einer Albumeinspielung für Bonnie Prince Billy. Ich bin mit meiner Band, den Dirty Three, im Vorprogramm von Stephens Formation Pavement unterwegs gewesen. Ich denke auch, eine Band von uns vieren lag in der Luft. 

SAX: Ganz nebenbei bemerkt, "Traditional Techniques" ist ziemlich psychedelisch geraten, oder?
Matt Sweeney: Finde ich auch, aber mir gefällt das Album. Die Rhythmussektion war interessant. Bill Athens, der Bassist, kam vom Jazz und hatte etwas in der Art wie damals noch nie gemacht. Schlagzeuger Dan Hunt ist im Hauptberuf Kartograph, er zeichnet Landkarten, ich mochte sein Spiel. Mit Qais Essar und Eric Zang sind zwei asiatische Musiker dabei gewesen. Bis auf wenige Overdubs wurde grundsätzlich live eingespielt. Das Halfling Studio in Portland, Oregon, wo das Album entstand, geht zurück auf Sandy Bodecker, der das Skateboard Department bei Nike gestartet hat. Er spendierte dem Viertel, aus dem er stammt, einen Gebäudekomplex, der Räumlichkeiten für sportliche und künstlerische Aktivitäten kostenlos zur Verfügung stellt. Das Studio war nicht besonders geräumig, aber gut, eine Wand war mit diversen legendären Bassgitarren dekoriert. Ich höre "Traditional Techniques" selbst sehr gern. Das Album war der perfekte Soundtrack, als ich vor zwei Jahren mit Emmett durch die Wüste von New Mexico gefahren bin. Die Singleauskopplung "Xian Man" ist einer meiner Favoriten. 

SAX: Jim, wie erinnerst du deine Zusammenarbeit mit Bonnie Prince Billy?
Jim White: Ich gestehe, ich bin ein Fan, seine Songs sind jedes Mal anders. Wegen Bonnie Prince Billys "The Letting Go" sind Emmett und ich nach Island gereist. Meistens war es sehr dunkel und auffällig still. Schallplatteneinspielungen haben ihre Stressmomente, was im Nachhinein schnell vergessen ist. Neben Schlagzeug steuere ich zu dem Album winzige Keyboardpassagen bei. Das Studio hatte ein Blechdach, wenn es regnete, hörte man das auf der Aufnahme. An einer Stelle ließ sich das Geräusch nicht mehr wegretuschieren. Zum Abschluss sind wir über Land gefahren. Die Isländer haben Häuser im Hinterland von Reykjavik, Holzhäuser, direkt auf den Felsen gebaut, mit einem Hot Tub dahinter. Es war sehr schön. 

SAX: Einschlägige Diskographien liefern zwar keinerlei Hinweis, trotzdem nachgefragt, ob ihr euch erinnern könnt, jemals gemeinsam für Bonnie Prince Billy tätig gewesen zu sein?
Matt Sweeney: Nicht, dass ich wüsste. 
Jim White: Doch, bei einem Fernsehauftritt. Matt Sweeney: Ja, richtig, Mitte der Nullerjahre in der Conan O' Brian Show. Ich und Jim an Gitarre und Schlagzeug, Andrew W. K. und Paul Oldham an Piano und Bass. Der Song hieß "A Strange Form Of Life", eine echt schräge Nummer. Wir mussten Ewigkeiten warten und Zeit totschlagen. Ich war reichlich betrunken, denke aber, wir gaben eine ganz gute Figur ab. Der Auftritt ging halbwegs über die Bühne. 

SAX: Bei dir, Matt, schlagen zwei Duoalben mit Bonnie Prince Billy zu Buche. Welches ist dein Songfavorit?
Matt Sweeney: Ich würde sagen "What Are You?" von "Superwolf", ich singe dort.

SAX: The Hard Quartet bestand zunächst aus dir, Matt, sowie Jim White und Emmett Kelly. Stephen Malkmus stieß später dazu, wird zumindest kolportiert?!
Matt Sweeney: Nein, überhaupt nicht. Ich habe die anderen zur selben Zeit angetextet und geschrieben, lasst uns eine Platte machen. Wir sind schon zu viert das erste Mal ins Studio gegangen, in New York, dort ist die erste Hälfte unseres Debütalbums "The Hard Quartet" entstanden, weil jeder von uns Absteigemöglichkeiten in der Stadt hat. Für die zweite Hälfte zogen wir nach Kalifornien um, ins Shangri-La-Studio direkt am Pazifischen Ozean.

SAX: Das Album eröffnet ziemlich großartig mit "Chrome Mass".
Matt Sweeney: Das war als erstes fertig, nach einer Idee von Stephen, und kam als letztes aufs Album. Es erschien uns grundverschieden von den übrigen Songs. Eigentlich wollten wir es bloß bei einem befreundeten Hobbylabel als Vinylsingle im 7"-Format veröffentlichen. Aber Matador, unsere Schallplattenfirma, bekam Wind davon und meinte, genau das sei ihr Lieblingssong. Also dachten wir, tun wir ihnen den Gefallen. Die meisten Songs lagen als grobe Skizzen vor und wurden im Studio ausgearbeitet. Das Großartige an The Hard Quartet ist, dass wir keine clevere Marktkonformität herstellen wollen, keine ausgetüftelten Schnittmengen zwischen Slayer, Fairport Convention und Desmond Dekker oder so. Wir schauen, was die Songs aus sich heraus an Gestaltungspotential hergeben. 

SAX: Das fast schon epische "Six Deaf Rats" hat einen interessanten Text. Der Icherzähler teilt seine Verwunderung mit, dass seine Liebste "those high heel shoes" im Bett anbehält. Was ist die Geschichte dahinter?
Matt Sweeney: Das müsstest du Stephen fragen, der Text stammt von ihm. Aber ich kannte einen Typen, der seine High Heels bestimmt auch im Bett anbehielt. 

SAX: Das Video zu "Rio's Song" ist dem Clip zum "Waiting On A Fried" der Rolling Stones von Anfang bis Ende komplett nachgestellt. Wie kam das?
Matt Sweeney: Ich dachte, es wäre eine pfiffige Idee. Ein Freund schnitt das Videooriginal auf unseren Song zu und es passte perfekt. Wir drehten in der Nähe meiner New Yorker Wohnung, einen Block entfernt vom Originalschauplatz. Unser Video entstand auf den Stufen vor dem Haus, wo ich wohne. 

SAX: "Rio's Song" ist einer deiner Songs zu "The Hard Quartet". 
Matt Sweeney: Richtig. 

SAX: Und der Rio, um den es geht, ist einer deiner Freunde?
Matt Sweeney: Genau, jemand, der verlorenging und in Los Angeles einen Nachtklub namens Eldorado betrieb. Passagen des Songtextes sind ausgeliehen bei Edgar Allan Poe und seinem gleichnamigen Gedicht über einen ritterlichen Edelmann, der auf seiner lebenslangen Suche nach dem legendären Eldorado im hohen Alter auf einen wandelnden Schatten trifft. Dass der Schatten ihm antwortet, das ist bei dem Gedicht stibitzt. 

SAX: Dass sich einzelne Musiker zu einer Band zusammenschließen, geschieht in der Regel, um das Musikmachen gemeinsam zu erlernen und das Leben gemeinsam zu bewältigen. Die Beatles verkörpern das Konzept exemplarisch, sind aber bei Bandgründung junge Burschen gewesen. Ihr seid gestandene Männer, ihr beherrscht euer Handwerk, wisst einiges übers Leben. Weshalb die Band?
Jim White: Man lernt ständig dazu, auch wenn man in die Jahre kommt, das macht keinerlei Unterschied. Matt Sweeney: Stimmt, hinzufügen würde ich höchstens, dass, wenn man als Erwachsener eine Band gründet, hoffentlich klügere Entscheidungen trifft, mit wem man sich zusammentut. Man entwickelt ein besseres Gespür, mit wem es Spaß macht, mit wem eher nicht. Und was Jim schon sagte, jede Aktivität bringt einen weiter, man lernt ständig dazu. Ich denke, es passiert relativ selten, dass jemand eine Band gründet und die Mitglieder sind zuvor noch in gar keiner Band gewesen. Es sei denn, derjenige kommt aus einer Gegend, wo kaum ein Mensch lebt. Die Regel ist, würde ich sagen, dass jeder gewisse Erfahrungen mitbringt. Dass wir als gestandene Persönlichkeiten eine Band gründen, mag ungewöhnlich erscheinen. Wir finden es großartig. Wir wissen, was wir wollen. Wir kennen uns seit Ewigkeiten und wissen, wie wir miteinander klarkommen. 
Jim White: Was sich vielleicht geändert hat seit den neunziger Jahren, ist das Tourneeleben. Als ich heute den Beatpol betrat, ging mir auf, dass ich hier schon mit den Dirty Three aufgetreten bin. Der Beatpol hieß damals noch anders, auf den ersten Blick erkannte ich den Klub gar nicht wieder. Aber ich erinnere mich gern und bin gern wieder hier. 
Matt Sweeney: Würde ich vollumfänglich zustimmen. Wenn man in seinen Zwanzigern auf Tour geht, will man so viel wie möglich von der Welt mitbekommen. Ein Zuhause hast du nicht, du bist ständig unterwegs. Inzwischen habe ich ein Zuhause, und es fällt mir manchmal schwer, auf Tour zu gehen. Aber ich finde es interessant, über die Jahre immer wieder in denselben Klubs aufzutreten. Die Räumlichkeiten sind mehr oder weniger dieselben, aber du selbst bist eine andere Person. Das gefällt mir.
Jim White: Worauf es ankommt, ist, dass man den lieben langen Tag unterwegs ist, aber am Abend eine gute Show abliefern will. 

SAX: Ist eine Band nicht auch der ideale Gegenentwurf zur Alltagswelt, gerade heute? Im Studio, auf der Bühne, im Tourbus muss sich eine Band zusammenraufen, ständig Kompromisse aushandeln, um zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen. Im Unterschied dazu ist die Gesellschaft gespalten in feindliche Lager wie noch nie.
Matt Sweeney: Absolut, vollste Zustimmung! Dinge gemeinsam zu tun, gemeinsam in einem Raum, das hat etwas Essenzielles. Dass wir unsere Band The Hard Quartet nennen, war nicht, weil wir denken, jeder sollte das nachmachen. Aber Kultur ist, denke ich, dass Menschen im selben Raum miteinander reden, sich austauschen. Wenn das passiert, gelingen gute Dinge. Richtiger Scheißmist passiert, wenn jeder in seiner Echokammer verharrt, sich verbarrikadiert, dann erleben wir das, was wir gerade beobachten. Junge Leute um die Zwanzig, die ich kenne und die Musik machen, machen das bei sich zuhause für sich am Computer. Unser Ding ist das nicht, wir denken, dass Musik der Gemeinschaft entsteht. Sound wird in einem Raum erschaffen. Wir jedenfalls dachten, unsere Band sollte Quartett heißen mit irgendetwas dazu.

SAX: Habt ihr bei The Hard Quartet auch Material von Pavement im Programm?
Matt Sweeney: Nein, warum?

SAX: "No More Kings" wäre eine gute Wahl, passend zum landesweiten Protestsonntag in den USA gegen Donald Trump, der unter das Motto "No Kings Day" gestellt war.
Matt Sweeney: Wir sprachen über den Song. Gut für Stephen, dass er den Song hat. Wenn er mit Pavement im September ein Konzert gibt, wird das hoffentlich gespielt. Ich werde es empfehlen. 
Interview: Bernd Gürtler