Es sollen Rätsel bleiben

Albinobrothers am 17. Mai mit dem Debütalbum »Goliath Awakes« im Thalia

Der Goliath erwacht mit einer eisenbahngleichen Klangschleife, bevor sich ein dunkelbluesfarbener Gitarrensound darübersetzt, schleppende Beats erklingen und in einen Break hinein ein Flüstern, das auf Deutsch etwas Schreckliches offenbart. Alles andere in diesem Eröffnungssong bleibt ungesagt. Danach »Pandora«, ein sich fast zerreißendes Stück über einem distorted Organ. In »Whithered in Dignity« treiben die Drums schließlich eine Slidegitarre vor sich her, während »The Massacre« erst fast zum Stillstand führt, um im Noise zu enden. Es sind insgesamt zehn Stücke, mit denen Albinobrothers uns auf ihrem Debüt »Goliath Awakes« entführen auf einen Weg ins Herz der Finsternis, aber eben nicht bis zum bitteren Finale. Denn es gibt eben auch das absonderliche Instrumental »Double Tumbler« oder den Song »Refuse to Work« in leicht angeschrägter Folksong-Manier – und am Ende entlässt das Album uns mit dem banjogetränkten »Big City Girl« – nicht ganz ohne Augenzwinkern.

Sucht man im Netz den Begriff Albino Brothers, landet mal zunächst bei vielen Verweisen auf sogenannte »Freak Shows«, meist aus den frühen 1900er-Jahren, oder bei einem Rap-Duo aus Kamerun. Erst auf den zweiten oder dritten Blick finden sich die Albinobrothers Tobias Werner und Ronny Wunderwald. Seit 2019 spielen beide zusammen, wobei das Kleinstensemble quasi die Fortführung von Werners als Solist begonnenem Albinoblues-Projekt ist. Den Bandnamen wollen beide allerdings nicht überthematisieren: »Das mit den Freak Shows spielt sich eine Rolle, aber vor allem musste das Kind einen Namen bekommen«, meint Tobias Werner. Es rühre einfach aus dem Albino-Blues her, und dass man nun zu zweit spielt. Doch gerade als W & W so richtig ins Laufen kamen, gab es mit den Corona-Lockdowns die Vollbremsung. Trotzdem arbeitete man weiter, schrieb Songs und – im Gegensatz zu den frühen Werner-Solo-Tracks – auch Texte. Und die erweisen sich schnell als neue wichtige Komponente, »als zweiter und dritter Boden, der aber nicht alles klären soll«, wie es Tobias Werner beschreibt.

Getroffen haben sich Tobias Werner, der in Brandenburg lebt, und der in Dresden wohlbekannte Ronny Wunderwald 2013 in dem im besten Wortsinn eigenartigen Projekt Helga Blohm Dynastie. Vorher machte Gitarrist und Sänger Werner vor allem mit der Band Ambush von sich reden, Schlagwerker Wunderwald wirkt unter anderem bei Garda und The Gentle Lurch mit. Und nun »nur« zu zweit? Wie funktioniert man als Duo? »Es ist einfacher, man kommt schneller auf den Punkt, die Substanz herauszukratzen aus dem, was man will, es gibt weniger Kompromisse«, meint Werner. »Aber nur zu zweit auf der Bühne, da ist man auch etwas nackt, da kann sich niemand verstecken. Doch so wird das Fragile am Ende sogar stabiler.« Und Wunderwald ergänzt: »Zu zweit Musik zu machen, das geht über das Kumpels-in-Bands-Sein weit hinaus. Wenn du ständig auf Tour oder im Studio zusammen bist, da braucht es zwei Menschen, für die das richtig funktioniert. Und das ist nicht leicht zu finden.«

Am 16. Mai nun erscheint auf dem feinen Dresdner Label Krakenduft das Album »Goliath Awakes«, quasi der Erstling als Duo. Und wie beim Bandnamen wollen Werner/Wunderwald auch den Plattentitel nicht erklären. Diese »Forschungsarbeit« will man den Zuhörenden überlassen, denn es sollen am Ende »auch Rätsel bleiben. Manche Dinge sind selbsterklärend und andere brauchen einfach Platz«, meint Tobias Werner.

Albinobrothers kochen auf »Goliath Awakes« eine Jambalaya aus schwermütigem Blues, düsterer Americana und schwebenden Sounds, die – bei allen Einflüssen from over the ocean – einzigartig ist. Das klingt nie ausgetüftelt, obwohl es genau das ist. Eine Szene aus dem Video zu »Sortie Sentimental« von 2019 könnte all das beispielhaft bebildern: Werner steht da, stoisch, die Gitarre spielend, in einem Tümpel, um ihn herum nur Wald und Entengrütze. Und da ist es egal, ob das nun Louisiana oder Brandenburg ist – der fast bedrohliche, finstere Klang zieht einem die Seele ins Knochenmark. Dazu ist es interessant, wie zwei Musiker mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen und Musikhörgewohnheiten etwas erschaffen, das wie aus einem Granit geformt scheint, aber doch zerbrechlich wirkt. Und Ronny Wunderwald betont dabei, wie ein Aufeinanderzugehen und ein Aufeinanderhören zu solchen Ergebnissen führt.

Dabei sind Formatfragen den beiden vollkommen egal, ein Song bekommt, was der Song benötigt. Raum, Klang und Zeit. Das können mal drei oder acht Minuten sein, man gibt der Hörerschaft ein Kopfkino, das die einen in Tagträume bannt und andere in ferne Galaxien beamt.

Aufgenommen wurde übrigens 16-spurig auf Band in Werners Heimstudio in der Schorfheide. »Wenn man mit Bands in digitalen Studios war, und man merkt, wie man sich in der Fülle der Möglichkeiten verliert, dann ist das Analoge wieder eine interessante Erfahrung«, erzählt Wunderwald. »Hier spielt man seinen Take ein, und danach steht nur die Frage: Nehmen oder nicht nehmen? Das bringt einen erst an seine Grenzen und dann unendlich weiter.« Schließlich muss man immer wieder entscheiden, ob man es noch besser kann oder nicht – ein Prozess der Selbsterkenntnis.

Das Ergebnis gibt es schließlich live beim Dresdner Record-Release-Konzert im Kino Thalia, Tickets dafür gibt es nur dort und bei SaxTicket.
Uwe Stuhrberg

Albinobrothers »Goliath Awakes« 15. Mai, 20 Uhr, Kino Thalia, albinobrothers.bandcamp.com