»LIEBE«
Die Dresdner Musikfestspiele widmen sich im 47. Jahr ihres Bestehens dem wohl schönsten Thema der Welt. Vom 17. Mai bis zum 14. Juni dreht sich (fast) alles um die liebe Liebe.
Der Auftakt ist längst schon gesetzt. Gut eine Woche vorm Vorabend zu den diesjährigen Dresdner Musikfestspielen ist erst in der Kreuz- und dann in der Frauenkirche ein doppelter Konzertabend zelebriert worden, der - aus gegebenem Anlass - ganz im Zeichen des Friedens stand. 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein hoffnungsvolles Zeichen, auch wenn die Lehren aus dieser schlimmen Vergangenheit scheinbar vergessen worden sind. Ob Russland und Ukraine, ob Israel und Palästina oder Indien und Pakistan - die Zahl globaler Brandherde ist groß. Doch nirgendwo treten die das Morden verursachenden Streithähne persönlich gegeneinander an. Überall schicken sie massenhaft armselige Opfer in die Schlachten zum Schlachten.
In diesen Zeiten (noch immer kursiert ja die idiotische Formulierung der »Zeitenwende« selbst in den Medien) ein Musikfest unter den Titel »LIEBE« zu stellen, erfordert schon eine gesunde Portion Optimismus. Was aber sonst sollten Kunst und Kultur, sollte Musik transportieren, wenn nicht die Zuversicht auf ein besseres Miteinander der Menschheit? Auch: der Menschheit mit der Natur?
So war schon das Vorspiel zum Auftakt der diesjährigen Dresdner Musikfestspiele von einem besonderen Gemeinsinn geprägt. Just zu den Gedenkfeierlichkeiten zum Kriegsende - und zeitgleich mit den furchtbaren Kriegen und Völkermorden von heute - zelebrierte der israelische Dirigent Lahav Shani einen klangvollen Abend der Versöhnung. Musikerinnen und Musiker des Israel Philharmonic Orchestra und der Münchner Philharmoniker verbanden Musik des 1927 in Saarbrücken geborenen und keine zehn Jahre später mit seinen Eltern nach Palästina ausgewanderten Komponisten Tzvi Avni mit einem Großwerk des vom jüdischen zum katholischen Glauben übergetretenen Gustav Mahler. Avnis für Streichorchester verfasstes Stück »Prayer« geriet - im Beisein des gefeierten Komponisten - innig und durchsichtig, während Mahlers 6. Sinfonie, die sogenannte »Tragische«, mit ihrer fehlverstandenen Bombastik im Kirchenraum stellenweise sehr mulmig verklebt wirkte. Eine gewisse Entschädigung bot am selben Abend ein Kammerkonzert im Unterraum der Frauenkirche, wo Lahav Shani als Pianist in Erscheinung trat und Dmitri Schostakowitschs Klavierquintett op. 57 sehr wuchtig interpretierte. Auch hier saßen wieder Mitglieder beider Orchester beisammen und verbanden drei nahezu zeitgleich, freilich unter sehr verschiedenen Umständen entstandene Werke. Denn vor Schostakowitschs Quintett erklangen die innige »Musica larga« der Komponistin Ilse Fromm-Michaels, die das Nazi-Regime nur knapp überlebte und nach 1950 nie wieder komponierte, sowie das 3. Streichquartett von Viktor Ullmann, den die Nazis 1944 in Auschwitz ermordeten.
So schwerlastig tragisch soll der Jahrgang 2025 der Dresdner Musikfestspiele nicht fortgesetzt werden, auch wenn im Zentrum des Konzertes am Vorabend (17. Mai) Alban Bergs »Dem Andenken eines Engels« (der mit nur 18 Jahren an Kinderlähmung verstorbenen Manon Gropius) gewidmetes Violinkonzert erklingen wird. Ein Wiedersehen mit Fabio Luisi, dem einstigen Generalmusikdirektor der Sächsischen Staatskapelle, der nun das japanische NHK Symphony Orchestra nach Dresden bringt, das tags drauf auch im Eröffnungskonzert mit Haydns Cellokonzert und Mahlers 4. Sinfonie zu erleben sein wird.
Den Reigen von Spitzenklangkörpern werden das Chicago Symphony Orchestra mit Mahlers 7. Sinfonie sowie die Sächsische Staatskapelle mit der 7. Sinfonie von Anton Bruckner fortsetzen, die Dresdner Philharmonie wird ebenso aufspielen wie die Göteborgs Symfoniker und The Ukulele Orchestra of Great Britain. Weitere sinfonische Höhepunkte steuern die Wiener Symphoniker, das London Symphony Orchestra, die Prague Philharmonia sowie das Dresdner Festspielorchester im Verbund mit Concerto Köln unter der musikalischen Leitung von Kent Nagano bei.Letztgenannte werden im Abschlusskonzert das musikwissenschaftliche Großprojekt »The Ring Cycles« fortsetzen, in dem Richard Wagners Tetralogie »Der Ring des Nibelungen« weitgehend im Originalklang der Uraufführungsepoche erklingen soll. Inzwischen ist dieses aufsehenerregende Vorhaben beim »Siegfried« angelangt. Im nächsten Festspieljahrgang steht dann das götterdämmernde Finale an.
Die Dresdner Musikfestspiele bieten aber bekanntlich nicht nur klassische Musik, sondern beinhalten und lieben auch Crossover, genreüberschreitende Veranstaltungen sowie die seit vielen Jahren schon beliebten Mitsingekonzerte. Traditionen, die selbstredend fortgesetzt werden. »Dresden singt und musiziert« ist quasi ein Muss im Festspielprogramm, ebenso die »Serenade im Grünen«; neu hinzu kommen in diesem Jahr aber sogenannte Mitsingkonzerte, in denen Mozarts »Requiem« sowie die »Messa da Requiem« von Giuseppe Verdi erklingen sollen. Da dürfen die Dresdner und ihre Festspielgäste ihre Liebe zum Gesang unter Beweis stellen.
Als überaus populäre Gäste sind die Fado-Sängerin Mariza, der Schauspieler Lars Eidinger sowie die junge Jazzmusikerin Alma Naidu mit ihrer Band eingeladen. Fans großer Namen der Klassik kommen gewiss bei den Auftritten der Geigerin Lisa Batiashvili, der Cellistin Sol Gabetta oder des Allrounders Rolando Villazón auf ihre Kosten. Dass Musikfestspiel-Intendant Jan Vogler wiederum solistisch mit seinem Cello Bestandteil der Konzertprogramms sein wird, versteht sich von selbst. Er wird unter anderem im berühmten »Quatuor pour la fin du temps« von Olivier Messiaen sowie als Solist im Konzert für Violoncello und Blasorchester von Friedrich Gulda mitwirken.
Um die Zukunft der Dresdner Musikfestspiele muss man sich dank seiner Inspirationskraft und der Ideenfülle dieses kreativen Menschen wohl keine Sorgen machen. Vorausgesetzt, die politischen Träger verstehen ihre Aufgabe hinsichtlich der mit Steuern finanzierten Kulturpolitik richtig. Auch das wäre ein Beitrag zur Liebe.
Dann könnten Musikfreunde schon jetzt dem September-Konzert der Berliner Philharmoniker unter ihrem Chefdirigenten Kirill Petrenko entgegenfiebern, das für den 20. September angesetzt ist. Liebe geht eben nicht nur durch den Magen, sondern ebenso durch die Ohren.
Michael Ernst
Dresdner Musikfestspiele 17. Mai bis 14. Juni
www.musikfestspiele.com