Mit speziellen Fähigkeiten

Orchester und Rockband des Farbwerk e.V. spielen am 8. und 9. Oktober im Zentralwerk

Zweifellos, Django Reinhardt war ein überragender Jazzgitarrist, und jeder noch so winzige Vermerk zu seiner Person erwähnt, wie es dazu kommen konnte. Achtzehnjährig, eine Karriere sollte sich soeben abzeichnen, erleidet der junge Mann schwere Brandverletzungen am Körper und an der linken Hand. Die Ärzte können Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger retten, Ringfinger und kleiner Finger ließen sich nur noch im beschränkten Maße nutzen. Eine Katastrophe für jeden Gitarristen, oder aber der Antrieb, aus den eingeschränkten Möglichkeiten eine vollkommen einzigartige Spieltechnik zu entwickeln. Und genau das ist passiert!

Ähnlich bei Wallis Bird, für September kommenden Jahres mit ihrem jüngsten Album »Hands« in Dresden im Beatpol angekündigt. Die gebürtige Irin, heute in Berlin lebend, fasst als Kind in einen Rasenmäher und verliert sämtliche Finger der linken Hand. Vier lassen sich wieder annähen, vom kleinen Finger blieb nur ein Rudiment. Gitarre spielt die Linkshänderin auf einem Rechtshänderinstrument, ohne die Saiten umzuspannen. Oder Robert Wyatt, Schlagzeuger der britischen Jazzrockformation Soft Machine, der 1973 während einer feuchtfröhlichen Geburtstagsparty für Gilli Smyth von der Gruppe Gong aus dem vierten Stockwerk eines Londoner Wohnhauses stürzt, sich das Rückgrat bricht und seither von der Hüfte abwärts querschnittsgelähmt ist. Seiner Solomusik, so kein zweites Mal zu Gehör gebracht, fehlt gewissermaßen der Unterleib und lässt stattdessen den Blick ins Weite schweifen. Oder Vic Chesnutt, der im Alkoholrausch sein Automobil zu Schrott fuhr, ebenfalls eine Querschnittslähmung davontrug und in seinen Songs die Ängste, Sorgen und Nöte eines Lebens mit Unfallfolgen wie den seinen beschrieb. Jeder der vier gehört einer Personengruppe an, die im deutschen Sprachgebrauch als »Menschen mit Behinderung« und im Englischen als »individuals with special needs« bezeichnet werden, eigentlich aber viel eher über spezielle Fähigkeiten verfügen, weil sie etwas, das gemeinhin als Handicap gilt, in eine Stärke verwandeln konnten.

Dass Angehörige dieser Personengruppe als Band in Erscheinung getreten sind, geschah zu einer frühen Gelegenheit mit Station 17 aus Hamburg, deren gleichnamiges Debütalbum in Holger Czukay von der westdeutschen Krautrockformation Can einen engagierten Unterstützer fand. Nun hat Dresden sowohl ein Orchester als auch eine Rockband, mehrheitlich bestehend aus Menschen mit speziellen Fähigkeiten, angebunden an den Farbwerk e. V. im Zentralwerk in Pieschen. Initiatorin des Orchesters ist Karoline Schulz, Absolventin der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber, als Musikerin und Komponistin in der Neuen Musik zu Hause und Mitglied der Neuen Dresdner Kammermusik, wo sie regelmäßig auf Frank Dresig trifft, der wiederum Andi Valandi gewinnen konnte, die Rockband des Farbwerk e. V. zu gründen. In beiden Projekten sind sie sich bewusst, dass das Geheimnis eines jeden gelungenen Kreativschaffens, nämlich das zu kultivieren, was an Fähigkeiten und Fertigkeiten vorhanden ist, auch unter ihren Bedingungen gilt, sodass das meiste aus freier Improvisation entsteht. Und beide Projekte wollen sich nach den üblichen Anlaufschwierigkeiten und coronabedingten Ausbremsern endlich an zwei Abenden der Öffentlichkeit präsentieren.

Die Rockband beginnt am ersten Abend am 8. Oktober mit vier Songs sowie einem ausgedehnten Instrumentalstück, das verdächtig an Krautrock erinnert. Sie teilen sich die Bühne mit der Gästeband Die Befreiten vom handiclapped ­e. V. Berlin und beschließen mit elektronischer Musik im Rahmen eines DJ-Sets. Am zweiten Abend, dem 9. Oktober, wird das Orchester ein impressionistisches Wüstenstück zum Besten geben, Eigenbauinstrumente zum Einsatz bringen, darunter ein Wassereimercello, und hat sich als Gäste den Marimbaspieler Georg Wieland Wagner, die Geigerin Emily Yabe vom Ensemble El Perro Andaluz, die Cellistin Sabine Grüner sowie den Crazy Choir aus dem Stadtteilhaus in der Dresdner Neustadt eingeladen. Alle sind schon sehr gespannt, was passieren wird, auf der Bühne und davor.
Bernd Gürtler

Orchester und Rockband des Farbwerk e. V.
8. Oktober, 18 Uhr, farbwerk-Band, Die Befreiten (D), Zentralwerk
9. Oktober, 16 Uhr, Konzert des inklusiven Improvisationsorchesters + Crazy Choir, Zentralwerk