Räumliche Ausgestaltung

Ein SAX-Gespräch mit Tinted House aus Dresden

Verrückte Zeiten im Moment. Die einen versammeln sich ungeachtet behördlicher Verbote zu Aberhunderten im Dresdner Stadtzentrum, pfeifen auf Maskenpflicht und Abstandsregeln, verbreiten krude Verschwörungstheorien, während andere sich sogar innerstädtisch per Videokonferenz verabreden, um weder ihre Mitmenschen noch sich selbst zu gefährden. So ist auch das Interview mit Tinted House eine reine Bildschirmbegegnung gewesen. Mit der Band, vertreten durch Sängerin Carina Hajek und Keyboarder Ludwig Bauer, stand im SAX-Gespräch mit Bernd Gürtler das Debütalbum »Heavens« zur Debatte.
Carina Hajek ist gebürtige Britin und kam von New York aus nach Dresden, wegen eines Sängerengagements ihres damaligen Ehemannes an der Semperoper. Im Rahmen der experimentellen Tanzveranstaltungsreihe »Linie 08« am Festspielhaus Hellerau begegnet sie dem zukünftigen Gitarristen von Tinted House, Johannes Till. Mit Matthias Günther am Schlagzeug ist die Band vorerst in Triobesetzung unterwegs – bis Johannes Till Ludwig Bauer, ehemals Mitglied bei Polarkreis 18, überreden kann. Die beiden kennen sich unter anderem von Sessionengagements bei Woods Of Birnam oder Wayne Graham. Ludwig Bauer brachte schließlich den amtierenden Bassisten Richard Elms mit, ebenfalls Brite von Geburt und nach Dresden gelangt als Begleiter des englischen Singer/Songwriters Thos Henley, der mehrere Alben bei K&F Records in Dresden veröffentlicht hat. Parallel zu Auftritten in der GrooveStation, im Ostpol, beim Hellerauer Bandstand, im Beatpol als Vorprogramm der Berliner Reggae-Formation Boom Shot entstand die 2017 veröffentlichte EP »Crocodile Tears«, im Februar 2021 gefolgt vom Debütalbum »Heavens«.
 
SAX: Die englischsprachigen Songtexte, Carina, schreibst du die selbst?
Carina Hajek: Die Texte schreibe ich. Es gibt auch Fälle, in denen wir das zusammen machen. Vorschläge sind immer willkommen.

SAX: Hast du wegen der Band mit dem Songtextschreiben begonnen?
Carina Hajek: Vor Tinted House hatte ich ein Folkduo, für das ich auch Songtexte schrieb. Mit dem Schreiben begonnen habe ich in meinen Zwanzigern.

SAX: Schreibst du neben Songtexten auch Gedichte oder Geschichten?
Carina Hajek: Ich schreibe Gedichte, die aber nicht zur Veröffentlichung bestimmt sind, das ist nur für mich. Ich denke immer, die Ideen verarbeite ich lieber zu einem Song. Songtexte sind viel besser.

SAX: Worum geht es in deinen Texten?
Carina Hajek: Um Selbstzweifel, Selbsterkenntnis, um die Dämonen, die einen selbst und andere heimsuchen und wie sie sich austreiben lassen. Ich schreibe collagenhafte Geschichten über Menschen.

SAX: Auf eurer Bandcamp-Website bezeichnet ihr eure Stilistik als Psychedelic Pop, was zweifellos zutreffend ist. Korrespondieren der psychedelische Sound und die Songinhalte miteinander? Bedingt das eine das andere?
Carina Hajek: Ich denke, das ergänzt sich gut. Manchmal sind die Songtexte durch die Musik beeinflusst. Verschiedenen Songs sind ausgedehnte Jamsessions vorausgegangen, dadurch entstanden plötzlich Geschichten. Es ist nicht so, dass ich bei mir im Zimmer sitze und allein zur Gitarre Texte schreibe. Oft entwickeln wir die Songs gemeinsam, sodass die Band gemeinsam ihre Stimme findet.
Ludwig Bauer: Das psychedelische Moment kommt ein Stück weit auch daher, dass wir die Songs wirklich aus Jamsessions heraus entstehen lassen. Keiner sagt, hier sind die Akkorde, hier der Songtext, das wird jetzt abgearbeitet. Sondern es wird teilweise ein Loop gespielt und Carina improvisiert darüber. Es war uns wichtig, dass wir das Psychedelische in die Songtexte übertragen. Das ist nicht unbedingt der klassische Psychedelicsound der Sechziger-, Siebzigerjahre mit Drogenreferenzen und transzendenter Wirkung. Der Grundgedanke ist, dass wir uns eine Bewegungsfreiheit verschaffen, die Entfaltung möglich macht. Überzeugte Psychedelic-Fans würden unsere Musik vielleicht anders bezeichnen. Für uns ist der Arbeitsprozess wichtig. Man versucht immer erst hinterher, eine Bezeichnung zu finden für das, was man tut.

SAX: Besteht ein Zusammenhang zwischen Bandsound beziehungsweise Songinhalten einerseits und dem Bandnamen andererseits?
Carina Hajek: Wir haben lange nach einem Bandnamen gesucht, Begriffe, Worte, Wortkombinationen abgewogen. Tinted House kam dann durch Johannes Till. Seine Mutter ist Architektin. Wenn man mit ihm durch die Stadt läuft, sieht er die Details an den Häusern. Das ist wunderschön. Man entdeckt mit ihm Dinge, die einem sonst entgehen würden. Und Matthias Günther ist Maler, Absolvent der Dresdner Hochschule für Bildende Kunst. Tinted, das bedeutet so viel wie getönt, das hat etwas mit Farblichkeit zu tun. Irgendwie hat das gepasst. Wir dachten, so ganz genau wissen wir noch nicht, wo wir hin wollen, auf welche Färbung es bei uns hinausläuft. Aber wir haben ein Haus mit verschiedenen Räumen, die wir ausgestalten können.
Ludwig Bauer: Den einen Tag geht man eben in den Psychedelic-Rock-Raum im zweiten Stock, den anderen Tag bleibt man im Erdgeschoss im Folk-Raum, im Easy-Listening-Raum. So wurde es mir beschrieben, als ich der Band beigetreten bin. Manchmal wird eine Stunde lang über ein Bluesriff improvisiert, dann wieder haben wir Lust, die Effektgeräte bis Anschlag aufzudrehen. Trotzdem geschieht das alles unter ein und demselben Dach.

SAX: »Frau Brown« scheint ein wichtiger Song auf »Heavens« zu sein, es gibt ein Video dazu. Worum geht es?
Carina Hajek: Um eine reale Person. Ich habe diejenige gefragt, ob es okay ist, wenn ich über sie schreibe. Sie ist meine Psychotherapeutin gewesen, die mir sehr geholfen hat. Der Song ist eine Hommage.

SAX: Psychotherapie, keine unkomplizierte Thematik.
Carina Hajek: Ich denke, jeder ringt mit seinen Gespenstern. Ich musste immer kämpfen und wollte mich deswegen nicht verstecken.
Ludwig Bauer: Der Song handelt, wenn ich Carina richtig verstehe, nicht von ihren Problemen, sondern davon, dass ihr geholfen wurde.
Carina Hajek: Genau, die Therapeutin gab mir gute Energie mit. Ich will zum Ausdruck bringen, dass sich, wer Psychotherapie in Anspruch nimmt, nicht genieren muss. Es betrifft viele. »Peace Of Mind« ist zum Beispiel auch ein Song über Albträume, über Depressionen.

SAX: Welche Erwartungen knüpft ihr an die Band? Ist das ein Nebenschauplatz oder soll das irgendwann die Hauptbeschäftigung werden?
Ludwig Bauer: Den großen Masterplan gibt es nicht oder höchstens insofern, dass wir den Vibe, der gerade herrscht, beibehalten wollten. Wir haben es die erste Zeit total genossen, uns zu finden. Die Reibungen, die Synergien, die entstehen, fühlen sich gut an. Mit der Zeit ist uns bewusst geworden, dass wir das nicht bloß für uns und für den Hobbykeller machen wollen. Wir könnten einem Publikum etwas vermitteln. Ich denke, dass wir als Band wachsen wollen, uns besser kennenlernen, die Schaffensprozesse weiterentwickeln und weitere Alben veröffentlichen wollen. Aber ich glaube nicht, dass wir alles auf eine Karte setzen werden.
Carina Hajek: Nein, sicher nicht. Zurzeit wäre es jedenfalls schwierig. Jeder von uns hat Familie, hat Kinder. Wir würden uns freuen, wenn wir weitermachen könnten. Wir sind froh, dass jetzt unser erstes Album erschienen ist. Der Zeitpunkt ist ungünstig, wegen Corona. Aber wir wollten nicht länger warten, das Album markiert einen Entwicklungsabschnitt. Wir haben alles selbst gemacht. Uns liegt daran, etwas zu Ende zu bringen, um mit neuen Songs fortfahren zu können.

SAX: Ist es nicht ohnehin schwierig als Dresdner Band, sich überregional zu behaupten? Die sächsische Elbmetropole genießt nicht den besten Ruf, wegen Pegida, der AfD, wegen der sogenannten Querdenker, die neuerdings die Stadt heimsuchen.
Ludwig Bauer: Ich verstehe uns gar nicht so sehr als Dresdner Band. Klar, wenn jemand die Stadt nur medial wahrnimmt, dann ist es vielleicht noch etwas anderes. Aber wenn ich an den Elbwiesen entlang spaziere, dann denke ich nicht daran, dass sich in der Stadt Massen von Menschen versammeln, die vorgeben zu wissen, wie die Welt funktioniert. Eine grundsätzliche Schwierigkeit würde ich nicht sehen.
Carina Hajek: Dresden ist wunderschön, es gefällt mir wirklich hier. Die Stadt tut der Seele gut, ich kenne viele tolle Menschen. Ich habe lange in den USA gelebt, und bin dort auf Menschen mit einer ganz anderen politischen Auffassung getroffen. Mir war von daher immer bewusst, dass es solche krassen Unterschiede gibt. Aber man macht einfach weiter und lässt das nicht in seine eigene Welt. Natürlich muss man solidarisch sein, dass diejenigen lauter werden, die auch sehen, was schiefläuft. Und ich denke, das passiert. Es gibt so tolle Bands in Dresden, in Chemnitz, in Leipzig. Vielleicht ist das überall so in Deutschland. Aber ich spüre, dass Spannendes in dieser Region passiert. Traurig bin ich eigentlich eher, dass es schwierig ist, Proberäume zu finden. Jetzt wurden auch noch alle aus dem Haus am Flughafen rausgeworfen. Es fehlt an Örtlichkeiten, etwas auf die Beine zu stellen. Dafür bedarf es dringend einer Lösung.

SAX: Was steht als Nächstes an?
Ludwig Bauer: Wir werden beim Palais-Sommer auftreten, sofern die Veranstaltung stattfinden kann. Unser Label It’s A Gas Records hat uns das organisiert. Und wir werden Mitte April ein Streamingkonzert zum Helsinki Psych Fest beisteuern, neben unseren Labelkollegen The Roaring 420’s und The Blank Tapes. Wir machen einfach weiter, streben nicht nach Perfektion. Manchmal ist auf unserem Album der Synthesizer ein bisschen schief geraten, die Backingvocals schräg eingesungen, die Band wird kurz mal langsamer oder schneller. Für uns ist der Moment, an dem wir aktuell stehen, gut eingefangen.
Carina Hajek: Wer mitkommen möchte auf die Reise, ist herzlich eingeladen. 
Interview: Bernd Gürtler

Tinted House: „Heavens“ (It’s A Gas)
www.tinted-house.com