Scheitern als Inspiration

Lambert am 30. November mit »Actually Good« im Jazzclub Tonne

Um ein Haar hätten wir Lambert als Protagonisten einer Kriminalfilmserie erleben dürfen – der Maskenmann am Klavier sollte den Kriminalkommissar verkörpern. Dummerweise blieb das Projekt im Ansatz stecken. Der Soundtrack findet sich jetzt zu »Actually Good« umgearbeitet, seiner zehnten regulären Albumveröffentlichung. Angefallenes Filmmaterial wurde für Videoclips verwendet. Den Interviewtermin bewältigt der gebürtige Hamburger und Wahlberliner mitteilsamer als die geheimnisumwobene Bühnenfigur erwarten ließ.

SAX: Die Presseinfo des Schallplattenlabels vermerkt, begonnen worden sei »Actually Good« als Soundtrack zu einem Film, der erst noch gedreht werden musste, und dass der Filmregisseur durch seltsames Geschäftsgebaren auffiel.
Lambert: Gebucht war ich ursprünglich als Soundtrackkomponist. Der Regisseur aber, wir nennen ihn Matthew, hatte mitbekommen, dass ich mit Maske auftrete. Er hielt es für eine gute Idee, mir die Rolle des Kriminalkommissars zu übertragen, in meiner Bühnenfigur als Lambert. Bei mir schlug das in eine Kerbe. Das ist so ein Dauerding, dass ich ständig denke, ich müsste mich neu erfinden. Ich habe jetzt zehn Jahre auf der Konzertbühne Lambert gegeben und dachte, irgendetwas werde ich schon schauspielern können. Ein Großteil des Soundtracks war komponiert, anhand von Moodboards, die eine grobe Orientierung für die Grundstimmung der jeweiligen Szenen geben. Gedacht war an eine Serie im Stil der Skandinavienkrimis. Leider musste ich feststellen, dass Matthew der totale Choleriker war und ich mit seiner Arbeitsweise überhaupt nicht zurechtkam. Es endete damit, dass ich mit einer gebrochenen Rippe im Hotelzimmer lag und dachte: Nein danke, ich fahre lieber wieder nach Hause.

SAX: Prinzipiell nichts Ungewöhnliches, dass die Filmmusik vor dem Drehstart geschrieben wird.
Lambert: Nein, überhaupt nicht. Matthew meinte auch, dass er das häufiger macht und die Musik ans Filmset mitnimmt, damit die Schauspieler besser in die Atmosphäre der Szenen hineinfinden. Das leuchtete mir ein.

SAX: Letztlich gescheitert ist das Filmprojekt an den Eigenarten des Regisseurs?
Lambert: Ja, genau. Diese gebrochene Rippe kam zustande, weil eine Verfolgungsjagd geplant war. Eigentlich eine relativ sichere Sache, wie das normalerweise gedreht wird, mit langsam fahrenden Autos. Matthew aber änderte in letzter Minute das Drehbuch und wollte, dass die Verfolgungsjagd auf Tretrollern stattfindet. Wahrscheinlich fand er das lustig, Lambert mit der Hörnermaske auf einem Tretroller. Dadurch aber wurde es saugefährlich. Vor und hinter einem fahren diese schweren Trolleys mit den Kameras. Stoppt der Trolley vor einem unverhofft, kracht man in den rein. Stoppt man selber unverhofft, kracht der Trolley in einen selbst. Die Verfolgungsjagd wurde teils in einen Park verlegt, nach einem Regenguss. Der Tretroller hatte Rollen wie ein Skateboard. Prompt bin ich im aufgeweichten Untergrund hängen geblieben und auf die Brust gestürzt. Ich brachte den Drehtag noch zu Ende, konnte mich abends im Hotel aber kaum mehr bewegen und dachte: Nichts wie weg hier. Ich lasse die Schauspielerei, ich bleibe Musiker.

SAX: Als Vorlage dienten der Krimiserie angeblich die »Ice Cream Man Murders«, ein authentischer Fall, der sich im US-Bundesstaat Florida zugetragen hat, wo ein Eisverkäufer von maskierten Männern in seinem Eiswagenmobil ausgeraubt wurde und Selbstjustiz verübt. Er glaubte, die Räuber identifizieren zu können und erschießt die Männer kurzerhand.
Lambert: Davon weiß ich nichts, kann sein. Unsere Serie war in London angesiedelt und sollte von einem Mörder handeln, der Eiswagenbesitzer umbringt. Die Szenen der Videoclips zu »The Stranger« beziehungsweise dem Titelsong »Actually Good«, sind in London an der Themse gedreht.

SAX: Im Video zu »Don’t Know Any­one« ist an einer für Kriminalfilme typischen Pinnwand der nachgemalte Stadtplan von London angeheftet. Deutlich erkennbar die Themse, wie sie sich durch die britische Kapitale schlängelt.
Lambert: Genau und denkbar natürlich, dass Matthew der Fall aus Florida als Anregung gedient hat. Ich traue ihm alles zu. Ich traue ihm sogar zu, dass der Film schlussendlich ein ganz anderer geworden wäre als geplant. Andauernd schrieb er das Drehbuch um und änderte die Besetzung. Unberechenbar der Typ!

SAX: Es gilt die eherne Regel, dass nichts so verrückte Geschichten schreibt wie das reale Leben. Trotzdem, das Ganze wirkt wie ausgedacht.
Lambert: Wenn ich lese, was Musikerkollegen manchmal erzählen, denke ich auch oft, das kann nicht sein, das ist ausgedacht. Am Schluss unserer Konzerte wird ein Film zu sehen sein, der zeigt, wie Matthew im Gefängnis landet. Gewünscht hätte ich es mir, aber das ist wirklich ausgedacht.

SAX: Egal ob ausgedacht oder nicht, mitunter scheint es, als ließe sich Populärmusik ohne abenteuerliche Begleitgeschichten kaum noch ans Publikum vermitteln.
Lambert: Das habt ihr Medienleute uns doch eingebrockt! Oder wärest du aus Dresden zum Interview angereist, würde ich dir die Banalität meines Arbeitsalltags schildern, wenn ich in meinem Home Recording Studio am Klavier komponiere?

SAX: Doch, ich wäre trotzdem angereist!
Lambert: Das sagst du jetzt!

SAX: Nein, wirklich. Ich finde deine Musik ziemlich bemerkenswert!
Lambert: Ernsthaft?

SAX: Unbedingt! Deine Klavierstücke gleiten mehr oder weniger gleichmäßig dahin, taugen aber bestimmt nicht zum Nebenbeihören, sondern entwickeln etwas Zwingendes. Wer sich einlässt, fühlt sich aufgehoben.
Lambert: Na gut. Aber der Wahrheitsgehalt ist auf jeden Fall gegeben. Die verrückte Begleitgeschichte ist die Geschichte eines Scheiterns; eines Scheiterns, weil ich unbedingt jemand anderes sein wollte. Das Thema begleitet mich, seit ich bei Konzertauftritten Maske trage. Der wahre Kern ist, dass ich das Scheitern als Inspiration nutze.

SAX: Wie hat das mit der Maske eigentlich angefangen?
Lambert: Nach einem vierjährigen Musikstudium am Konservatorium von Amsterdam bin ich nicht sofort als Lambert aufgetreten. Zuerst versuchte ich es mit Jazz, fand dann, Songschreiber könnte auch eine Möglichkeit sein und gründete noch etwas später eine Indieband. Nichts von alldem wollte funktionieren. Ich dachte, entweder lasse ich die Musik ganz oder widme mich dem, was ich am besten kann, nämlich dem Schreiben und Spielen von Klavierstücken. Weil ich damit, was ich schon hinter mir hatte, nicht assoziiert werden wollte, blieb nur, mir eine Maske aufzusetzen. Ich wollte vermeiden, dass Journalisten mich mit meiner Vergangenheit konfrontieren und sagen können, falls es wieder nicht klappt: Ach der, auch das schiefgegangen. Inzwischen ist mir meine Anonymität gar nicht mehr so wichtig. Genauso wenig, dass mich niemand ohne Maske sehen soll. Was ich aber unter gar keinen Umständen missen möchte, ist die Freiheit, auf der Bühne jemand anderes sein zu können, einen Charakter geben zu dürfen, der keiner Authentizitätspflicht unterliegt. Daran halte ich seit zehn Jahren fest, wobei die Maske mitunter durchaus stört.

SAX: Eben, besonders diese spezielle Maske muss doch lästig sein!
Lambert: Ohne ist es gemütlicher, völlig klar. Aber als ich mit Lambert anfing, durften sich Künstler geheimnisumwoben geben und verstecken. Das war ganz normal. Genutzt wurde die Inszenierung auch dafür, nicht alles über sich preisgeben zu müssen. Wegen der wachsenden Bedeutung von Social Media ändert sich das und die Künstler passen sich an. Heutzutage musst du die Behauptung fahren, dass du deine Fans mit in dein Wohnzimmer nimmst, ihnen zeigst, wie du wirklich bist. Unter heutigen Gesichtspunkten wäre es manchmal leichter, die Maske einfach abzunehmen und zu sagen: Hier, das bin ich, um der Erwartungshaltung entgegenzukommen, die besagt, wir als dein Publikum wollen dein wahres Ich kennenlernen. Du bist unser Freund, wir kennen dich von Facebook oder Instagram.

SAX: Wie bist du auf deine spezielle Maske gekommen?
Lambert: Tillmann Roth, einer der beiden, mit denen ich meine Bühnenfigur entwickelt habe, hatte bei sich zu Hause einen Bildband über die Maskenkultur Sardiniens liegen. Beim Blättern in dem Buch stieß ich auf die, die ich jetzt trage. Ich meinte, wir können das abkürzen, die soll es sein. Über das Internet fand sich jemand, der diese Maske anfertigt, in Ottana, einer Ortschaft auf Sardinien mit einer überaus reichen Maskenkultur. Wir sind hingefahren, haben Videos gedreht. Der Maskenbildner, der meine Maske herstellt, heißt Graziano Viale. Er weiß Bescheid. Ich habe gefragt, ob ich seine Maske nutzen darf. Er meinte: Ja, gar kein Problem. Aber dann musst du bei jedem Interview, bei dem ihr auf die Maske zu sprechen kommt, meinen Namen nennen und erklären, wofür die Maske steht. Was ich hiermit tun möchte. Es handelt sich um eine sardische Karnevalsmaske aus Ottana, handgefertigt aus Leder, nachempfunden dem Kopf eines Ochsen und steht für Fruchtbarkeit. Der Charakter heißt Su Boe. Für die Tour im Herbst 2024 wurden die Hörner leicht gekürzt.
Interview: Bernd Gürtler

Lambert Triokonzert 30. November, 20 Uhr, Tonne
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