Vietnams Supersound

Saigon Soul Revival lassen am 23. Mai im Beatpol einen verlorengeglaubten Sound auferstehen

Als im April 1975 der letzte Luftwaffenhelikopter vom Dach des US-amerikanischen Botschaftsgebäudes in Saigon abhebt und tags darauf Südvietnams Kapitale von Truppen der nordvietnamesischen Volksarmee eingenommen wird, ist das Schicksal einer gesamten Populärmusikepoche besiegelt. Ein furchtbarer Krieg beendet und von der Bildfläche verschwindet ein kulturelles Phänomen, das sich unter dem Eindruck von Rock und Soul in Südvietnam herausgebildet hatte. Musikantenberühmtheiten, die die Stilformen für den einheimischen Binnenmarkt adaptiert hatten, galten nach dem Sieg des sozialistischen Nordens über den imperialistischen Süden plötzlich als suspekt und wurden vielfach mit Berufsverbot belegt.

Aus naheliegenden Gründen teilweise, das »Ðoàn Nguòi Lũ Thú« des Sängergespanns Thanh Thúy, Văn Thanh, Hoàng Liêm & Thanh Mai bezieht sich auf die nach Vietnams Teilung 1954 durchgeführte »Operation Passage To Freedom«, während derer Nordvietnamesen massenhaft in den Süden geflüchtet sind.

Kurios wirkt der ideologische Generalverdacht bei Khánh Ly. Als junge Frau tingelt sie ab 1967 durch Cafés und Klubs in Saigon und singt Lieder gegen den Krieg. Ihr "Diễm Xua" nutzt einen trüben Dauerregentag als Metapher für die sich verdüsternde Seele im Angesicht der Kriegsgreuel. Geschrieben wurden ihr die Songs zumeist von Trinh Công Son, einem ebenfalls entschiedenen Kriegsgegner, bekannt als Bob Dylan Südvietnams. 1975 emigriert Khánh Ly wie viele ihrer Landsleute in die USA und startet eine internationale Superstarkarriere als Sängerin und Schauspielerin. Trinh Công Son bleibt in Vietnam und kommt ins Umerziehungslager.

Klingende Zeitzeugnisse jener Populärmusik-Ära finden sich heute höchstens noch als zerschrammte Vinylexemplare auf Flohmärkten. Jan Hagenkötter, Schallplattenproduzent aus Frankfurt/Main, wollte sich dennoch der Sache annehmen und konnte immerhin so viel Material auftreiben, dass sich drei Ausgaben seiner Tonträgerreihe »Saigon Supersound« locker füllen ließen. Enthalten neben Thanh Thúy, Văn Thanh, Hoàng Liêm & Thanh Mai sowie Khánh Ly auch Carol Kim mit ihrem megapopulären »Sài Gòn«.

Bei landesweiten Diskothekenveranstaltungen mit seinen Vinylerrungenschaften blieb Jan Hagenkötter nicht verborgen, dass der verlorengeglaubte Sound von damals auch bei jungen Leuten auf offene Ohren stößt, als willkommene Alternative zum V-Pop, einem reinen Retortenprodukt ähnlich dem südkoreanischen K-Pop. Von der Populärmusikgeschichte inspiriert, sind sogar eigene Bands im Begriff gewesen zu entstehen.

Saigon Soul Revival sind so eine Fortsetzung seiner »Saigon Supersound«-Compilations mit anderen Mitteln. Das Quintett, beheimatet in Ho-Chi-Minh-City, wie Saigon heute heißt, spielt die südvietnamesische Rock/Soul-Stilistik der späten Sechziger-, frühen Siebziger-Jahre mit einem zeitgenössischen Verständnis. Die Formation besteht aus Gabriel Kaouros, einem gebürtigen Zyprioten, der in Vietnam lebt sowie vier Vietnamesen aus Nord- und Südvietnam, teils mit eigener Auslandserfahrung. Das Repertoire des Debütalbums »Họa Âm Xưa« von 2019 ist ein Mix aus Coverversionen und eigenen Songs mit deutlichen Referenzen an Dub Reggae und HipHop. Als Gastsängerin konnte Veteranin Mai Lệ Huyền gewonnen werden.

Nachdem mehrere Europatourneen immer wieder verschoben werden mussten, wird es diesmal klappen. Saigon Soul Revival kommen nach Deutschland, mit einem Zwischenstopp in Dresden.
Bernd Gürtler

Saigon Soul Revival 23. Mai, Beatpol, saigonsoulrevival.bandcamp.com