Aller guten Dinge

Mit viel Kampf zieht Dynamo gegen Wehen-Wiesbaden den Dreier

Es weht ein Hauch von Hinrunde durch das fast leere Stadion, denn tatsächlich gibt es erst an diesem Mittwochabend das letzte Spiel der ersten Saisonhälfte. Corona und Schnee waren zweimal die nicht zu überwindenden Hürden, kurioserweise gelten deshalb auch Mitte März noch die Wechselregularien vom Dezember – also drei statt fünf. Bei den Beginnern sind die Wechsel wie zuletzt gewohnt sehr übersichltich, nur Pascal Sohm spielt für Philipp Hosiner, der auf das Seitensitzmöbel rotiert. Zeitgleich holen auch Ingolstadt und die Blaulöwen Spiele nach – dieser Abend könnte a little bit nach Vorentscheidung riechen.

Die erste Halbzeit: Das Überfallkommando

Beide Mannschaften beginnen mit dem üblichen Einschwörungskreis. Schon komisch, wenn man bedenkt, dass sich hier zweimal elf Menschen versprechen, alles zu geben, um alles zu erreichen. Und gerade einmal reichlich eineinhalb Stunden später wird eines der Teams enttäuscht vom Rasen traben – die geringe Anzahl der Remis, mit denen alle leben können, vernachlässigen wir mal. Aber: genug gedacht. Los geht’s!

Die SGD stößt an. Schon nach Sekunden segelt der erste Ball von Christoph Daferners Schädel in den hessischen Strafraum, aber Referee Steven Greif sieht da eine Behinderung von Ex-Dynamo Tim Boss und pfeift. Leider wird sich Greifs mangelhafte und nicht konstante Zweikampfbewertung durch das ganze Spiel ziehen. Nun ja, wen juckts. Daferner jedenfalls nicht. Nur eine Minute später fängt Ransford-Yeboah Königsdörffer mit der Stirn einen Befreiungschlag der Gästeverteidigung ab, sein wuchtiger Kopfball landet bei Dresdens 33, der frei vor Boss auftaucht. Er könnte den Schlenker setzen und einschieben oder mit Wucht draufhauen, doch der Stürmer will es hübsch machen. Allerdings gerät sein eleganter Heber etwas zu hoch und kann so noch vor der Torlinie weggeköpft werden.

Als in der fünften Minute Meier mit einem feinen Trick den eigenen Sturmlauf einleitet, ist klar, dass Dynamo hier mit der Wucht eines Überfallkommandos an den Start geht. Und die in Weiß gekleideten Gäste sind beeindruckt, zeigen Nerven, schlagen Kerzen, verursachen unnötige Standards, produzieren Ballverluste. Eine flache Ecke von Paul Will drischt Julius Kade nur knapp über die Latte, und als Daferner einen Passversuch in Karatemanier gegen den Ball verhindert, pustet er sich auf wie der Hulk. „I am the god of hell fire and I bring you – Fire“ – so könnte Arthur Brown den Soundtrack zu diesem Sturmlauf liefern. Das Einszunull muss jeden Moment fallen.

Und es fällt. Und wie! Es ist die Schönheit des Fußballs, zelebiert als Mannschaftssport, von ganz hinten bis nach ganz vorn. Broll spielt aus dem eignen Sechzehner zu Ehlers, der sofort in den Speed geht und nach rechts auf Will ablegt, der gibt weiter an der Linie lang zu Königsdörffer. Und da ist er wieder, so ein unberechenbarer Schlängellauf nach innen – ein Run mit Können und Auge. Derweil wechselt Daferner auf die verwaiste rechte Außenbahn und bekommt genau im richtigen Augenblick das Leder von Königsdörffer in den Schuh. Finale: Flanke auf Mörschel, der verlängert auf den langen Pfosten, wo Sohm – „Allein allein“ auf den Lippen – das Runde ins Eckige hieinflugkopfballt. Ein atemloses Spiel! Bis hierhin.

Nach der brutal offensiven Anfangsviertelstunde geht der Fuß nun etwas runter vom Gaspedal. Wehen-Wiesbaden kann aber mit der gewährten Luft nichts anfangen. Das Spiel der Gäste bleibt unstrukturiert, man sucht mit langen Bällen das Spielglück und hofft auf den Bruder Zufall. Reichlich 20 Minuten sind rum, da rauscht Daferner – diesmal auf links – bis zur Grundlinie durch, doch sein Pass wird von Sohm direkt in die Handschuhe des Keepers geköpft.

Das Ganze nimmt jetzt eine merkwürdige Entwicklung. We-Wie rückt mehr und mehr auf, während Dresden meistens nur die eigenen Hälfte bespielt. Da wird konsquent alles wegverteidigt, aber nach vor geht fast nichts mehr. Man ist fast geneigt zu sagen, das man das knappe Ergebnis über die Zeit bringen will. Dabei ist noch etwa eine Stunde zu spielen. Pässe gehen ins Sonstwohin, Konter schon in Ansätzen verloren und fast alle Einwürfe landen beim falschen Team. Das Überfallkommando hat irgendwie die Befehlskette vertüdelt. Letztendlich halb so wild, wenn der SV die überlassenen Freiheiten nicht nutzen kann. Und so bleibt es bis zum Pausenpfiff.

Die zweite Halbzeit: Die Erfüllung von Klischees

Die Durchwachsenheit des Geschehens setzt sich fort. Daferner semmelt drüber, Wiesbaden kombiniert mal gut, versagt aber vor dem Tor. Dafür sorgen wieder und wieder Ehlers, Mai und Knipping, die eine Abgeklärtheit und Ruhe weghaben, dass es auch schon wieder angsteinflößend ist. Dazu haben Kade und Will defensiv einen guten Tag – Broll kann eigentlich stempeln gehen. Die Gangart wird aber etwas rauher, wenn auch nicht allzu unfair. Innerhalb von neun Minuten zieht der Schiri viermal Gelb, je zwei pro Team.

Es ist nun so ein Abgewarte und Gelauer bei Dresden und ein etwas hilflos erscheinendes Anrennen bei Wehen-Wiesbaden. Schwarzgelb will auf keinen Fall eins fangen, Weiß muss eins machen, möchte aber in keinen Konter laufen. So folgt das Spiel taktischen Überlegungen, sieht aber mit ablaufender Zeit in Wirklichkeit immer wilder und untaktischer aus. Köppe rauschen zusammen, Sensen werden angesetzt, Werbebanden gecheckt – die Glut im Ofen ruft „Nachlegen, nachlegen“. Doch der Heizer hört es nicht.

Über eine Stunde ist rum. Immer wieder der Blick auf die Uhr. Ab wann ist es okay, auf „Halten“ zu spielen“? 70., 75, 80. Minute? Was, wenn doch noch der Ausgleich …? Man mag kaum daran denken, da passiert es. Also fast. Nilson wird mit einem Pass auf Elferhöhe freigespielt, lässt dieses eine Mal Knipping und Mai alt aussehen und schließt frei vor dem Tor ab. Doch wie sangen schon die alten Römer: Gott segne Kevin Broll! Aus dem Status der Untätigkeit heraus versperrt der grüne Hexer mit einem Boxreflex die Flugbahn des Balls und begräbt so die einzige wirkliche gute Tormöglichkeit der Gästemannschaft im ganzen Spiel.

Der Rest ist schnell erzählt, denn es ändert sich grundsätzlich kaum etwas. Mörschel hat nach 68 Minuten einen baugleichen Freistoß wie gegen Meppen vor sich, schickt den aber direkt auf Boss. Ansonsten ist mir bei ihm heute zu oft eine falsche Lässigkeit im Spiel, die auch den einen oder anderen Ballverlust verursacht. Ausgewechselt wird aber Daferner, für den Luka Stor kommt, der jedoch bis auf einen Pass keine Rolle spielen wird. Die Einwechslungen von Kreuzer für Königsdörffer und Kwadwo für Sohm dienen nur einer lettzen Absicherung und der Uhr. Für Aufregung sorgt dann nur noch die viel zu lange Nachspielzeit.

Fazit. Dieses Spiel hat gezeigt, dass Klischees und Fußballsprüche eben doch stimmen. Etwa, dass die Defensive Meisterschaften gewinnt. Oder, dass aller guten Dinge drei sind: dritter Anlauf, drei Punkte. Derweil können die bayrischen Konkurrenten ihre Nachholer nicht gewinnen. Ein Spieltag wie gemalt. Nur machen leider Galerien und Museen wohl wieder zu.
Uwe Stuhrberg

SG Dynamo Dresden vs. SV Wehen-Wiesbaden 1:0

17. März 2021, Anstoß: 19 Uhr
Tor: 1:0 Sohm (12.)
Dynamo Dresden: Broll, Ehlers, Mai, Knipping, Meier, Königsdörffer (85. Kreuzer), Kade, Will, Mörschel, Daferner (70. Stor), Sohm (90.+2 Kwadwo)
Ohne Einsatz: Wiegers, Stark, Stefaniak, Hosiner
Zuschauer: 0
Schiedsrichter: Steven Greif
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