Auf der mit Raketen bepflanzten Erde

Ein Gedichtband zum 70. Von Bernhard Theilmann, Lesung am 2. April im Ostpol

Im morbiden Gewirr der Dresdner Neustadt gehen handgemachte Publikationen von Hand zu Hand und werden in der Handschriftenabteilung der hiesigen Landesbibliothek am Nordrand der Stadt konserviert, dort, wo die Panzerdivision der Roten Armee seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs lagert. Zu Gesicht bekommen die Samisdat-Produkte im letzten Jahrzehnt der DDR nur wenige. Dennoch: Lyrik-Graphik-Drucke und klein aufgelegte Künstlerbücher artikulieren tapfer »das Schreiben aus der Umzingelung der Provinz«. Fabriziert und herausgebracht werden sie in der legendären, 1978 von Malern, Grafikern, Druckern und Dichtern förmlich aus dem Boden gestampften Obergrabenpresse. Federführend involviert: der im Sommer 2017 verstorbene Bernhard Theilmann, Rathener von Geburt und Neustadtdresdner aus Überzeugung und über mehrere Jahrzehnte hinweg einer der agilsten Anreger und Bahnbrecher der elbestädtischen Kunst- und Kulturszene.

Im späten Herbst 1989 ruft er zur Gründung der Unabhängigen Schriftsteller-Assoziation auf, wenige Monate später installiert er das Stadtmagazin SAX in der trägen Residenz und wird dessen erster ausgeschlafener Redakteur, bevor er sich, dereinst als Dichter angetreten, dazu entschließt, sein Brötchengeld als doppelt freier Essayist und Kritiker zu verdienen und vorwiegend als »Pressemann und Zeitschriftenmacher« präsent zu sein. Dies ein durchaus zeit- und nervenraubendes Unterfangen, welches unmerklich das Bild des Dichters Theilmann aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verdrängen, ja zu eliminieren begann. Zwar erschienen einige Gedichte in der ASSO-Anthologie »Monolog des Sandes« (1992) und ausgewählte lyrische Texte in der Mappe »Shuttle« (Obergrabenpresse 1995) sowie sporadische Beiträge in der Zeitschrift SIGNUM, dann jedoch verliert sich Theilmanns poetische Spur, bis er 2015 in der in Meißen edierten Reihe »Das Zündblättchen« acht Liebesgedichte veröffentlicht.

Jetzt jedoch offenbart dessen schriftstellerischer Nachlass seinen Hinterbliebenen, den Freunden und Kollegen nicht weniger als 588 bisher gefundene Gedichte, von denen 90 ausgewählte lyrische Texte, gebündelt im Band »Das Geheimnis der Brücken«, der interessierten Leserschaft zur Lektüre vorgelegt werden können.

Neunzig Gedichte also, reimlos zumeist. Monologe, Widmungsgedichte, den Malerfreunden zugeeignete Verse, wunderbar schlichte Liebesgedichte, in denen sich die Tür in ein lindgrünes Blatt verwandelt vor dem unentdeckten Leib der Gefährtin »die eingeborne hinter dem lindgrünen Blatt«. Letzte Dinge werden verhandelt, und während »die nächte ihre lügen schweigen«, »ratzt eine zeitung über die fassade der monotonie … schweigen arbeiter ihre müdigkeit aus«. Da wird nicht geschönt durch den Mundschutz gelispelt, da wackelt die Tür im »kulturkabinettchen«, da »taumeln rußige tauben« im flug und es stellt sich die Frage, »wofür bekomme ich geld und von wem« … und in Buckow am See zwischen Enten und Hund ja, da »… kann man sitzen/die Wolken betrachten. Zwei Stunden/oder drei, ohne Angst/ auf der mit Raketen bepflanzten Erde//«.

Bernhard Theilmann blieb zum Schluss weder Kraft noch Lebenszeit, selbst eine Versedition »letzter Hand« nach seinen eigenen Maßgaben in die Wege zu leiten. So wurde die Auswahl der Gedichte von einem Herausgeberteam getroffen, dem dafür Dank gebührt.
W. Rauschenbach

Bernhard Theilmann: Das Geheimnis der Brücken
SchumacherGebler, Edition petit Dresden
Dem Gedichtband ist ein biografischer Text zu Bernhard Theilmann von Detlef Krell beigegeben.


KIPPE IM MUND UND HERZ IN DER HAND
Bernhard Theilman zum 70. – Buchvorstellung am 2. April im Ostpol

Ein Buch ohne Leserschaft ist nur bedrucktes Papier. Und so gibt es am 2. April eine Buchvorstellung zu Bernhard Theilmanns Gedichtband »Das Geheimnis der Brücken« – keine Trauerveranstltung, sondern Gelegenheit, seine Lyrik und auch ein wenig seinen 70. Geburtstag zu feiern.

Die Wahl des Ortes fiel nicht schwer, denn der Ostpol war für Bernhard ein Platz nach seinem Geschmack. Kneipe ohne Schickimicki, ein Saal mit Kachelofen und Raucherlaubnis.

An diesem 2. April wird auch eine Brücke der Generationen geschlagen. Albrecht Goette, einer der großen Dresdner Schauspieler, wird einige Texte aus dem Gedichtband lesen, dazu Lyrik und Prosa, die Bernhard in der ersten SAX im Frühjahr 1990 veröffentlichte. Davor und zwischen den Worten spielt Wolfgang Torkler Piano-Miniaturen. Und den Abschluss hat Andi Valandi, Blues-Punk und Rebell, der mit Zeilen wie »Kippe im Mund und Herz in der Hand« wohl auch Bernhard Theilmann gefallen hätte.
Gut zu wissen: Um 20 Uhr geht es los, der Saal wird bestuhlt, der Eintritt ist frei.
JH

Berhard Teilmann zum 70. – Das Geheimnis der Brücken 2. April, 20 Uhr, Ostpol, Eintritt frei