Ausgeliefert?

Wie Gastronomen und Fahrer mit einem Lieferdienst (über-)leben

Jonas ist 18 Jahre alt. Er ist Abiturient und nutzt die Zeit bis zum Studium, um Geld zu verdienen. Seit November hat er die orange Uniform als Lieferando-Fahrer an und die schützt ihn auch bei schlechtem Wetter. Seine Kleidung und den Lieferrucksack nimmt er nach Dienstende mit nach Hause, sein E-Bike kommt in die Zentrale. Man kann sich übrigens selbst aussuchen, ob man das elektrische Firmenrad oder seinen eigenen Drahtesel nutzen möchte. Im zweiten Fall wird dies mit einem Zuschuss von 10 Cent pro Kilometer subventioniert, um Verschleiß und Reparaturen auszugleichen, allerdings erfolgt die Auszahlung als Amazon-Gutschein. Jacke, Hose, Regensachen und Helm kommen ebenfalls von der Firma. Er selbst ist auf 450-Euro-Basis angestellt und verdient 10 Euro pro Stunde, Bonus - oder Trinkgelder kommen dazu. Mit dem Service und seiner Betreuung vonseiten der Zentrale ist er zufrieden, mit Kundschaft und Auftraggebern auch.

So wie auch Sam. Der 28-Jährige ist Bauingenieursstudent an der TU Dresden, kommt aus Indien und ist seit rund 18 Monaten dabei. Auch seine Devise ist: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung. Letztes Jahr, so sagt er, gab es noch 9,50 Euro pro Stunde, nun wurde aufgestockt. Er fährt sein eigenes Rad und kommt deshalb sehr selten zur Zentrale in der Altstadt. Dort wäre, theoretisch, Platz zum Ausruhen und Treffen, aber das entfällt, angesichts der aktuellen Bestimmungen. Deshalb, und weil es meist auch der kürzere Weg ist, startet er direkt von zu Hause aus. Über eine App bekommt er die Daten zur Abholung übermittelt.

Der technische Knotenpunkt aller Bestellungen liegt in Berlin. Von dort werden die Aufträge an die Restaurants in Dresden verschickt und die Fahrer informiert, wann und wo sie das Essen abholen müssen und wohin es geliefert wird. Dabei orientiert sich das System am Standort der Fahrer. Wenn alles funktioniert, garantiert das kurze und schnelle Wege. Schlecht allerdings, wenn nicht. Manchmal hakt das System, dann gehen Aufträge oder Fahrer »verloren«, das heißt, sie kommen nicht beim Restaurant an, berichtet Calida Pählig. Sie war im Herbst 2020 im Burger Heart auf der Louisenstraße die Schnittstelle zwischen Lieferando, den Bestellungen und den Fahrern. »In 80 Prozent der Fälle klappt alles reibungslos«, sagt sie. »Wenn aber, so wie es vorgekommen ist, ein Unfall passiert ist und das Tracking der Auslieferer nicht funktioniert, kam es schon vor, dass wir als Restaurant darüber keine Information erhalten haben. Bei solchen Problemen oder anderen Belangen ist die Bearbeitung vonseiten der Zentrale sehr davon abhängig, wer in Berlin gerade dafür zuständig ist. Mit guten Servicemitarbeitern kann vieles schnell erledigt werden, andere hingegen erscheinen begriffsstutzig oder ungenügend eingearbeitet.«

Man kann es sich (nicht mehr) aussuchen
Für ein Restaurant ist es ein zweischneidiges Schwert, mit einem Lieferdienst zusammenzuarbeiten. Einerseits ist es aktuell mitunter die einzige Möglichkeit, den Betrieb am Laufen zu halten, andererseits unterwirft man sich dem System eines »Quasi«-Monopolisten, da Lieferando die meisten anderen Anbieter aufgekauft hat. Grundsätzlich gehen 30 Prozent des Bestellwertes an den Lieferdienst. Dazu kommt noch die Liefergebühr von 1,50 Euro und Zuschläge, wenn man sich mit seinem Unternehmen in der Angebotsliste der zentralen Homepage an eine besser platzierte Stelle setzen lassen möchte. Nutzt man nur die Homepage und liefert die Speisen selbst aus, sind 12 Prozent vom Bestellwert fällig. Marcel Mager (31) vom italienischen Restaurant »Da Michele« in der Neustadt möchte deshalb seinen eigenen Lieferservice ausbauen. »Was im Sommer und Herbst funktioniert, wird im Winter manchmal zum Problem.

Die Fahrradkuriere sind zwar schnell, trotzdem kühlt das Essen unterwegs gelegentlich aus und die Kritik landet dann natürlich bei uns.« Auch er berichtet , dass alles im Tagesgeschäft meistens gut klappt, bei speziellen Problemen kann es aber anstrengend werden. »Wir waren im letzten Jahr plötzlich nicht mehr im Umkreis Neustadt gelistet, also dort, wo wir unsere Küche und die meisten Kunden haben«, berichtet er, »und es hat zwei Monate gedauert, bis alles wieder in Ordnung war.« Sein Restaurant arbeitet schon seit mehreren Jahren mit Lieferdiensten zusammen, nun ist nur noch Lieferando übrig geblieben. Was in normalen Betriebszeiten nur ein Zubrot war, ist jetzt Hauptgeschäft geworden. »Im Vergleich«, so sagt Mager, »sind wir bei ungefähr einem Drittel vom Umsatz, der ohne Schließung über den Tresen gehen würde.« Nun bleibt nur das Geschäft aus der Ladentür. Freitag bis Sonntag läuft das am Abend ganz ordentlich, in der Woche eher übersichtlich. Für Sebastian Böhme, den Betreiber des »Stresa«, einem Restaurant in Striesen, ist der Lieferdienst keine Option. Er liegt zu weit abseits der gängigen Verteilungsgebiete in der City oder der Neustadt. Das System an sich findet er aber in Ordnung.

Mittlerweile hat er sich mit einem Taxiunternehmen zusammengetan, um seine Speisen zur Kundschaft zu bringen. Mit den Selbstabholern schafft er damit rund 30 Prozent des normalen Umsatzes. Allgemein gilt übrigens für Sparfüchse, sich über die Abholpreise des Lieblingsrestaurants auf deren eigener Homepage oder Facebookseite zu informieren. Selbst abzüglich der Liefergebühr wird es meist deutlich günstiger, wenn man sich persönlich auf den Weg macht.

Selbst ist die Frau
Einer der »orangen Engel« auf zwei Rädern zu werden, ist übrigens nicht schwer. Die Bewerbung läuft über die Homepage, die finale Einweisung erfolgt vor Ort durch dienstältere Teamleiter. So war es auch bei der 31-jährigen Claudia (Name geändert), die seit Mai 2020 dabei ist. Sie kommt aus der Gastro, hatte keine Lust auf Hartz IV, dafür aber immer schon aufs Radfahren. Damals waren sie etwa 100 Biker, heute sind es deutlich mehr. Sie muss 12 bis 28 Stunden pro Woche aktiv sein. Leider auch bei Schneegestöber, da nimmt die Zentrale keine Rücksicht. Auch hat sich der Bewegungsradius im Laufe der Monate vergrößert, was für sie bedeutet, weniger Aufträge pro Stunde und damit weniger Bonusgeld zu erhalten. Im Schnitt ist sie 20 bis 25 Kilometer am Tag unterwegs.

»Im zweiten Lockdown sind die Kunden weniger spendabel beim Trinkgeld«, sagt sie. »Dafür gibt es absurde Bestellungen – vom Haus gegenüber des Restaurants aus oder um die Ecke.« Auch gab es schon Bestellungen, bei denen niemand zu Hause oder jemand schon eingeschlafen war. Dass man sich bei Starbucks einen Kaffee per Lieferdienst bestellt, findet sie ebenfalls wunderlich. Prinzipiell scheinen aber alle Fahrer ganz zufrieden, Claudia will auch bei normalem Gastrobetrieb weiterhin, zumindest ab und zu, auf dem Fahrrad Geld verdienen.

Anmerkung: Leider hat sich die Lieferando-Pressestelle auf unsere Fragen hin nicht zurückgemeldet. 
Norbert Scholz

Info

lieferando.de ist der deutsche Teil der niederländischen »Just Eat Takeaway« Gruppe, zu der auch pizza.de, foodora.de, lieferservice.de und lieferheld.de gehören. Das Unternehmen ist mittlerweile international aktiv. Die deutsche Zentrale sitzt in Berlin. In den einzelnen Städten gibt es Service-Center, die sich vor allem um Technik und Ausrüstung kümmern.