Dampfende Hälse, Schnapskirschen und flüchtende Farben

Das theater junge generation wird 70

Das theater junge generation (tjg) hält sich in seiner 70. Spielzeit nicht allzu lang mit Jubiläumspartyvorbereitungen auf, sondern tut das, was es am besten kann: interessante, fesselnde Stoffe für Kinder und Jugendliche auf die Bühne zu bringen. 2019/20 unter dem Motto „Anders leben als Du“. Dabei setzt das tjg nur in einigen der insgesamt 20 Premieren auf bewährte Klassiker, und auch von denen sind manche ein wenig vergessen oder hierzulande nicht so bekannt. Ziemlich mutig ist zum Beispiel das neue Weihnachtsstück: Mit „Pluck“ sind zwar in den Niederlande seit 40 Jahren viele Kinder aufgewachsen, ob sich dieser lustige Kerl mit dem Kranwagen deshalb an der Ticketkasse im Kraftwerk Mitte durchsetzen wird, ist dagegen nicht garantiert. Auch bei den „Dampfenden Hälsen der Pferde im Turm von Babel“ wissen nicht sofort alle Bescheid, aber der Autor Franz Fühmann wird ebenso große Erwartungen auslösen wie die Ankündigung, dass in diesem Puppentheaterstück für Kinder ab acht Jahren viele DDR-Alltagsgegenstände zum Einsatz kommen werden.

Überhaupt, das Puppen- bzw. das Figuren- und Objekttheater: Das tjg hat sich um seine zweite Sparte sehr verdient gemacht und unterstützt aktiv die Weiterentwicklung dieser schönen Kunst. Denn diese Sparte hat ein Regienachwuchsproblem. Diesem Fachkräftemangel setzt das tjg mit der Werkstatt „Objekt und Regie“ etwas entgegen. Ein Jahr lang erfahren dabei acht künftige Puppentheaterregisseurinnen und -regisseure am Haus eine intensive Praxisbegleitung. Die erste Spielzeitpremiere „Marco Polo“ ist ein Ergebnis dieser Werkstatt.

Im vergangenen Jahr bekam Manja Präkels für ihren Roman „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ den Deutschen Jugendbuchpreis. Diese Geschichte um Jugendliche in der Nachwendezeit, von denen einige sehr stark nach rechts abdriften, inszeniert Nils Zapfe als Uraufführung. Historisch ein paar Jahre eher angesiedelt ist „Gertrude“, darin geht es um die Freundschaft zweier Mädchen, die auf eine harte Probe gestellt wird, als Gertrudes Familie einen Ausreiseantrag stellt.

Ein Forschungsprojekt zur Liebe und zum Lieben unternimmt die Theaterakademie des tjg mit dem schönen Titel „What ever love means“. Und so wartet das tjg mit durchweg interessant und spannend klingenden Inszenierungen, darunter „Das doppelte Lottchen“, „Däumelinchen“, „Das Dschungelbuch“ oder, für Vierjährige, „Entwischt – Ausbruch der Farben“.

Wer diese und all die anderen Inszenierungen sehen will, dem sei wie immer geraten, sich frühzeitig um Karten zu bemühen. Das tjg arbeitet mit 90 Prozent Auslastung am absoluten Limit des Fassungsvermögens für all die interessierten Besucher. Sicher könnte das Theater noch mal als die etwa 82.000 Besucher der aktuellen Spielzeit erreichen (noch einmal 1000 mehr als in der vorherigen Spielzeit). Doch das geht nicht ohne zusätzliche Stellen. Theater und Stadtverwaltung arbeiten daran, heißt es. Das wäre doch ein sehr schönes Geschenk zum 70. Jubiläum an das Haus und seine Besucher! Eine Feier zum Geburtstag wird es natürlich auch geben. Aber – welch angenehme Bescheidenheit – Repertoire und Premieren gehen vor.

Katja Solbrig