Datenspuren 2023: über morgen

Rückblick auf ein digitales Symposium im Zentralwerk

Foto: Gerd Altmann

Die Diskussion um Überwachungstechnologien und die Auswirkungen digitalen Lebens auf den Alltag hat mittlerweile die gesamte Gesellschaft erfasst und somit Generationencharakter erhalten. Dabei steht immer die Kluft zwischen dem Anwender und den Fachleuten in Form von Designern oder Programmierern im Raum. Für letztere schafft der Chaos Computer Club Dresden seit 2004 eine überregionale Plattform für den analogen Austausch, welcher gleichzeitig für Interessierte aller Richtungen offen sein soll.

Das Ziel ist daher nicht nur die Unabhängigkeit von Großkonzernen aller Art, sondern auch, aktuell erneut aufkommende Debatten bestimmend zu erhellen. Dazu zählt die populäre Software ChatGPT, welche in neuer Weise personalisierte Gespräche anbietet und verspricht, auf längere Sicht den Menscheneinsatz bei datenbasierter Wissensvermittlung zu reduzieren.

Was diese Software und der Computer allein nicht kann – generieren eines gleichwertigen Gesprächs heutigen Maßstabs – wurde vor dem Hintergrund der Sprachphilosophie von Hubert Dreyfus anhand von Textbeispielen demonstriert. Historisch liegt eine Quelle in der Binärmathematik Leibniz’ und der Frage, ob eine so konstruierte Maschine die Welt universell darstellen könnte. Soll sich der Mensch als Einzelner in einer zukünftigen Situation mit einer solchen Sprachumgebung befinden, bleibt deren Kontext noch rational ungeklärt. Dieser besteht auch nicht aus der stetigen Erweiterung durch bekannte Sprichworte.

Faktisch aufgedeckt hingegen wurden eklatante Mängel in der Software deutscher Krankenkassen: Diese Produkte sind aufgeführt im DiGA-Verzeichnis des Bundesministeriums für Arzneimittel und wurden bei ‚Datenspuren“ nochmals einem privacy check unterzogen. Anreiz zur Anschaffung soll die Kostenübernahme der Software sein, die technischen Richtlinien des Bundesministeriums orientieren sich jedoch stark an anderen Typen von Anwendungen, welche nicht die Gesundheitsdaten übermitteln.
In der Beispielanalyse einer Reizdarm-App wurde eine spezifische Gerätenummer beim Start an Google übermittelt, aber auf Initiative des Vortragenden für die Folgeversion abgestellt. Andere Hersteller reagierten auf Anfragen mit entsprechender Dokumentation der Prüfung auch leugnend oder gar nicht. In einem Fall war sogar die Entwicklerfirma nicht mehr existent und ein Datenpaket wurde weiterhin munter an Facebook gesendet, bis die App nach einigen Monaten offline genommen wurde. Das zuständige Bundesamt verweist zudem bei Updates und dadurch möglichen neuen Datenschutzlücken immer noch auf die Hersteller selbst.

Da allerdings noch nicht flächendeckend eingeführt, hält sich die Diskussion hierzu, im Gegensatz zu den Warnapps der Lockdown-Zeit, in Grenzen. Es sollte dadurch aber ein Vorbild geschaffen sein, um die Sensibilität des Krankenstandes zu erhalten – für fleißige Androidnutzer beispielsweise mit TrackerControl oder Exodus Privacy. Nicht alle Anwendungen sind übrigens bei der Überprüfung der Tracker für Fremdkonzerne durchgefallen.

Von juristischer Seite wurde das sächsische Transparenzgesetz erläutert, das öffentliche Stellen wie den Ministerpräsidenten durch die Transparenzpflicht mahnt, Informationen auf einer elektronischen Plattform zu veröffentlichen. Bis dato lässt sich feststellen, dass diese de facto durch großzügige Ausnahmeregelungen, zum Beispiel für Grundlagenforschung oder „höherrangiges“ Recht, sehr eingeschränkt sind. Auch die kommunale Ebene bleibt davon unberührt, ebenso wie Auskünfte über Parlamentsmitglieder.

Die ersten Transparenzportale dieser Art wurden andernorts bereits 2012 fertiggestellt, und Leipzig wird sich, nach einstimmigem Ratsbeschluss im Juni, voraussichtlich eine Transparenzsatzung als kommunale Stelle geben und somit generell unter die Auskunftspflicht stellen. Statistische Belegbarkeit einer durch die gesammelten Verzögerungen bedingten Politikverdrossenheit in Dresden ist bisweilen nicht gegeben.

Durch Kollaboration mit den libertären Tagen war auch der Hof des Zentralwerks belebt und das Programm durch grassroots-Vorträge aus verschiedenen Ländern ergänzt. Ein weiteres Mal wurde zum Wochenendauftakt die eklatante Lage in Belarus dargelegt, wo nach den Protesten in den Jahren 2020/2021 in unbeheizten Gefängnissen tausende Insassen ausharren. Auch Fälle von vorsätzlicher viraler Ansteckung durch Behörden sind bekannt. Ebenso gab es zu den restriktiven Regimes in Iran und Russland Vorträge in englischer Sprache sowie den regulären Hackspace für Experten.
Zu Samstagabend wurde von Mitstreitern der französischen ökologischen Bewegung ein Überblick über die Geschichte der Nachkriegs- und Kolonialpolizei gegeben. Dabei konzentrierte man sich auch auf bekannte Fälle von Polizeigewalt in Paris wie 2007 mit dem ersten Todesopfer durch ein Gummigeschoss – deren Zahl mittlerweile in die Dutzende geht – sowie zwei Jahre zuvor das tödliche Versteck zweier migrantischer Jugendlicher in einem Transformatorhäuschen, welche ohne nachweisbares Delikt in Clichy-sous-Bois vor der Polizei flüchten mussten. In diesem Vorort befindet sich, aufgrund der Bestattung beider Opfer außerhalb Frankreichs, eine Gedenkstätte.

Abseits der fachlichen Vorträge wurde man von einer hochkonzentrierten Stickrunde empfangen, es durften Roboter gebastelt und der heiße Draht programmiert werden. Der Klassiker „1984“ von George Orwell wurde im kleinen Saal des Zentralwerks gelesen, ergänzt durch biografische sowie theoretische Ergänzungen heutiger „Sprachökonomie“.
Für sensible Daten und deren verschlüsselte Verarbeitung in Gruppen wurde vom CCC das neu entwickelte Tool FormsWizard vorgestellt – für Gruppenarbeit, deren Angaben nicht sofort außerhalb gelagert werden sollen. Weitere meetings waren zum Fediverse, GrapheneOS oder bitcoins anberaumt.

Um der massenhaften Datenspeicherung von Social Media im Katastrophenfall entgegenwirken, wollen hiesige Entwickler mit HyperLogLog, einem Verfahren, das Massendaten auf die Häufigkeit eines Elements abschätzt und lokalisierbar macht, allerdings nicht in Form der Ursprungskommunikation und ohne persönliche Überwachung durch Behörden wie THW oder Bundeswehr. Überschneidungen von digitalen Ereignissen in verschiedenen Sprachen oder Schreibweisen lassen sich hierbei kombiniert darstellen und Karten durch Userbeiträge erweitern, für Dresden beispielsweise bei meingruen.org. Zur Diskussion wurde gestellt, ob dieses Verfahren langfristig auch zur datenschutzkonformen Speicherung der Gesundheitsdaten geeignet sein könnte.

Wem das alles einen zu speziellen Anschein macht – auch einfache Fragen um den Computer wie Standardverschlüsselung, die Wahl des Passworts oder der richtigen Tastatur wurden erörtert und bleiben zur Einführung vermutlich auch in den nächsten Jahren erhalten.

Sicher sind dann ebenso Themen wie der freiwillige Cell-broadcasting-Alarm aktuell, die sich nicht nur technisch, sondern auch durch nötige Übereinkunft und fachliche Voraussage für Fälle des Versagens oder des Missbrauchs bestimmen.
Last but not least: Zum Thema Barrierefreiheit stellten sich die Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Sachsen (LAG-SH), sowie das Deutsche Zentrum für barrierefreies Lesen (dzb/BIKOSAX) vor. Ein Projekt für die Selbstvertretung für einfache Sprache sind die „Experten in eigener Sache“ mit einem Podcast unter nipb-sachsen.de.
M.O.

www.datenspuren.de