Der eine Moment

Dynamo macht das Licht im Schacht erstmal aus

Das ist schon irgendwie ein sympathischer Zeitgenosse, der Timo Rost. Ich kann nicht sagen warum. Vielleicht auch, weil man ihm das nervige Fränkische seiner Heimat nicht anhört, und er eine gewisse Bodenständigkeit ausstrahlt. Wie er nun so bedröppelt in die Kameras glotze und nicht so richtig erklären konnte, was da eben passiert ist – da tat er mir fast leid. Aber nur fast, denn sein Verein hat keinerlei Mitgefühl verdient. Niemals. Schuld daran sind die L-Brothers. Denn bevor die den Schacht übernahmen, hatte ich kein sonderliches Problem mit den Männelschnitzern, ist ja auch kein einfaches Leben dort im Uran-Abbaugebiet. Aber dann begannen die Zwillinge gegen die SGD zu hetzen – auf dem gewissen lowen Niveau eben mit dem ganzen NVA-Sprech. Seitdem ist für mich Schicht im Schacht.

Nun war es also mal wieder soweit. An das letzte Aufeinandertreffen in DD will ich mich nicht mehr erinnern, an das letzte Spiel in der Waldschüssel schon – da war was mit Männel und Königsdörffer. Inzwischen steht auf beiden Seiten kaum noch jemand auf dem Platz, der damals dabei war, Stefan Kutschke und Marvin Stefaniak kennen die Duelle gar noch aus früheren Jahrhunderten. Zudem fehlten in der Heimelf zwei Schlüsselspieler: Männel wohl noch nicht fit und Nazarov – vor dem man sich immer etwas fürchten muss – angeblich überlastet.

Die Frage war natürlich für beide: Wo geht die Reise hin bei einem Spiel So-bisschen-Not gegen Elend? Markus Anfang jedenfalls rührte erstmal Beton an mit gleich acht Feldspielern, die eher defensive DNA in sich tragen. Alles, was flitzt, durfte auf der Bank ablümmeln, nur Kutschke und Vier-Tore-Mann Arslan turnten vorn herum. Aber bevor im Wald jemand turnen darf, wird noch immer das »Steigerlied« gesungen, da fiel dem balltragenden Mädchen beim Einmarsch gleich das Leder aus der Hand.

Die erste Halbzeit: War das was?

Lila stößt an, und keine 120 Sekunden sind von der Uhr getropft, da rammt Kutschke den ersten Schachter fast unangespitzt in den Boden, der Typ machte seinem Namen gleich alle Ehre: Schreck. Die folgende Ecke tritt Stefaniak, der in seinem komischen Nicki gewöhnungsbedürftig aussieht. Und diese Ecke hat am Ende Gorzel auf dem Fuß, der aus bester Position aus 18 Metern das Tor nicht trifft. Wenn da ein richtiger Fußballer gestanden hätte …

Das Komische ist: Man sieht schnell, dass hier niemand unbedingt den Ball will. Und wenn es das Ziel zweier Mannschaften ist, vor allem kein Tor zu fressen, dann kommt meist ein unansehnliches Spiel dabei heraus, bei dem die Highlights rar gesät sind. Und so wird trotz des Klimawandels jede Menge Langholz geschlagen, obwohl keineswegs hoch angelaufen wird. Auf Seiten der SGD läuft der Ball vor allem zwischen Ehlers, Kammerknecht und Knipping, wobei sich Ehlers nach vorn fast nichts traut. Meist gucken die Defender hilflos nach vorn, finden nix und dreschen dann das Leder Richtung Kutschke.

Dann eine Unterbrechung des Referees. Er moniert die Pfeife, die die Gesänge im Gästeblock antrillert. Das Problem gab es schon mehrfach, allerdings blieb es bislang bei Stadiondurchsagen. Und ich sage mal: Der Schiri hat Recht. Denn man stelle sich vor, es läuft ein Angriff und ein Dresdner Spieler bricht ab, weil er denkt, er hätte einen Abseitspfiff gehört, oder ein eigener Verteidiger hört auf zu spielen, weil da was erklang? Ja, man kann den DFB-Gesandten auf dem Rasen damit ärgern, aber nach hinten kann das allemal losgehen.

In der 17. Minute stellt sich mal wieder die vielgescholtene Sinnlosfrage: Was wäre, wenn? Der im ganzen Spiel nahezu beschäftigungslose Klewin im Auer Tor rollt das Runde aus der Hand direkt vor die Schuhe von Paul Will. Der läuft zum Sechzehner, sieht links Arslan, der schlau schlenkert und zwischen zwei Gegnern abschließt. Olé, Innenpfosten und rein … nein, doch nicht. Gibsdochnich! Direkt davor hatte noch Kammerknecht eine halbgare Chance mit dem Kopf, war aber aufs Ärgste bedrängt. Nun aber, jetzt geht’s lohos! Sturmlauf, niederspielen die Schachter bis deren Kohlelungen ächzen. Bis zur nächsten Topchance kann es nur noch … wenige … eher mehr … eine halbe Stunde … 68 Minuten (!) dauern.

War da was? Also noch was? Lattenklatscher Aue, Knipping artistisch zu Ecke, Stefaniak schnibbelt vorbei, Thiel verfehlt knapp. Also mehr war da nun wirklich nicht.

Die zweite Halbzeit: Superpass meets Außenrist


Weil die Schachter keinen Hang zur Torgefahr zeigen, steht es noch Nullzunull. Laaaaange Bälle und jede Menge Pingpong, Zufall und Unordnung führen zu einem Spiel, dass eigentlich unanguckbar ist, oder eben nur »von der Spannung lebt«. Da ändern auch die Hereinnahmen von Borkowski und Conteh nichts, die nach 56 Minuten für die glücklosen Kade und Melichenko kommen. Allerdings wird es nun immer mal bissl aggro – vor allem bei Kutschke und Knipping, Will sowieso. Wo es grob wird, ist die 28 dabei. Wenigstens etwas.

Spulen wir mal etwas vor. Sagen wir mal, bis zur 74. Minute. Denn hier gibt es ihn, den Moment des Stefan Drljaca im bisherigen Saisonverlauf. Als Thiel aus etwa neun Metern mit freier Sicht schießt, zeigt der Dresdner Torwart einen Reflex der Extraklasse. In der Luft sich drehend lenkt er den Ball an den langen Pfosten, wo Meier das Ding wegdrischt. Während die Atmung beim Betrachter schnappt, geht beim Goalie der SGD mal eben das Adrenalin quer durch den gedrungenen Body. Für Arslan und Kutschke kommen Weihrauch und Schäffler.

Knapp zehn Minuten vor Schluss zeigen sich die zuletzt Eingewechselten: Schäffler behauptet den Ball gekonnt gegen drei und spielt Weihrauch frei, der aber den Pass in die Tiefe nicht vor Klewin erreicht. Na ja, an einem solchen Nachmittag ist man schon mit wenig »zufrieden«. Halt aus! Hallo! Nur noch fünf Minuten bis – nein, lieber Theodor Fontane, nicht Buffalo – für das Arzgebirg geht es nach Waterloo!

Denn die Minute 85 hat es dann derart in sich, dass man alles andere in diesem Gurkenspiel vergessen mag. Es ist Fußball in all seiner Schönheit: Jonathan Meier fängt weit in der eigenen Hälfte einen Ball ab, der von Aue irgendwie nur ins Irgendwo getreten wurde. Und der Achter läuft los, lässt den verzweifelt Verfolgenden einfach hinter sich, sieht die freien Räume und hat etwa 35 Meter vor dem Tor einen Geniestreich in Hirn und Fuß. 20 Meter weiter rechts hat Christian Joe Conteh in vollem Lauf einen kurzen Blickkontakt mit Meier und weiß per telepathischer Gedankenübertragung genau, wohin er laufen muss. Es folgt ein Superpass, der zwischen drei Spielern, die offensichtlich Lila Pause haben, direkt auf den Kreidestrich des Strafraums und in den Fuß von Conteh geht, der seinem Begleitschutz längst enteilt ist. Leder mitgenommen, noch drei Schritte gegangen, gewartet, bis der Keeper runtergeht, und mit dem Außenrist zum Premierentor für Schwarzgelb reingelegt. Ganz ehrlich: Ich habe hier nicht gejubelt, sondern der erste Reflex war lauthalses Lachen. Nach dem ganzen Rumgewürge so ein geniales Ding! Saukomisch, gloobste ni!

Bei den Schachtern glüht jetzt das Uran durch, Becher und Gegenstände fliegen Will und Weihrauch beim Eckenversuch um die Ohren. Lila ist sichtlich auf dem Rasen und im Oval geschockt. Als Schäffler allerfeinst in der Nachspielzeit von Conteh allein aufs Auer Tor geschickt wird, wäre das des Guten fast zu viel gewesen, also vergibt der Stürmer aus sehr spitzem Winkel. Dann ist Schluss.

Fazit

Jetzt kommt natürlich der Spruch »Wer solche Spiele gewinnt …«. Dem muss man entgegenhalten: Solche Spiele sollte man so nicht spielen. Trotz des Sieges bleiben die Mängel in der Offensive deutlich sichtbar, weil vor allem aus dem Mittelfeld zu wenig Power kommt und die Verteidiger mit langen Bällen fast nichts ausrichten können. Zu einfach kann sich selbst eine Mannschaft wie Aue bis zum Strafraum durchspielen. Dass nun Akaki Gogia hier Abhilfe schaffen kann, bleibt zu hoffen. Und: Lasst doch das Sanitärgerät in Ruhe, diese Zerstörung – egal durch wen – ist strunzdumm und sinnfrei zudem.

Noch eine Anmerkung zur Niederlage gegen Elversberg: Einige Mails fragten an, warum es keinen Bericht gab. Mein Prozedere ist es, nur über Spiele zu schreiben, die ich komplett gesehen habe, im Vollbesitz meiner Aufmerksamkeit. Bei der Heimpleite vor einer Woche habe ich allerdings eine Hochzeitsfeier beschallt und deshalb das Spiel nur bruchstückhaft auf dem Phone verfolgt. Hier konnte ich auch keine Notizen machen. Da ich meine Texte aber so schreibe, wie ich das Spiel in dem Moment erlebt habe, musste ich in dem Fall aussetzen.
Uwe Stuhrberg

Erzgebirge Aue vs. SG Dynamo Dresden 0:1

28. August 2022, Anstoß 14 Uhr
Tor: 0:1 Conteh (85.)
Dynamo Dresden: Drljaca, Ehlers, Kammerknecht, Knipping, Melichenko (56. Conteh), Will, Akoto, Meier (90. Lewald), Arslan (75. Weihrauch), Kade (56. Borkowski), Kutschke (75. Schäffler)
Ohne Einsatz: Müller, Lehmann, Park, Batista Meier
Schiedsrichter: Florian Badstübner
Fans: 12.983
www.dynamo-dresden.de