Die fantastischen Vier

Die SGD fegt die Urantruppe aus dem Stadion und versüßt Lehmi den Abgang vom Turm

Es war im Vorfeld eigentlich von allem zuviel: Seit dem ersten Spieltag kein Heimsieg mehr. Lehmi hört auf. Sachsenderby. Fanansprache an die Mannschaft. Die enge tabellarische Situation. Der Hoffnungsschimmer aus Düsseldorf. Und dann das! Mit aller gebotenen Wucht und spielerisch überzeugend wuppt Dynamo Dresden die verstrahlten Erzgebirgler aus der Schüssel und erfindet sich neu ohne dabei alles anders zu machen.

Erste Halbzeit: Überfallkommando relaoded

Es hätte eigentlich gegen Aue nach fünfzehn Minuten schon wieder 3:0 stehen können. Denn wie in Düsseldorf ging es vom Anstoß weg nur in eine Richtung – und zwar in die der Männel-Bude. Fast jeder von lila abgewehrte Ball landete umgehend wieder bei Gelb, die Verunsicherung im Schacht war zeitig spürbar. Dabei war diese deutlich offensivere Dynamo-Taktik ohne jegliches unnötige Hintenrum ja keine Überraschung mehr, unter der Woche gab es sogar von Trainerseite die Ansage, dass es so weitergehen wird. Und wie es ging! Eine wahre Augenweide, wie Haris Duljevic in der vierten Minute den Ball nach einen Seitenwechsel von Marco Hartmann in einer fließenden Bewegung am Gegner vorbeilegt, direkt in den Lauf von Philip Heise, der wiederum bringt einen seiner fein geschwungenen Pässe in den Straufraum, wo Erich Berko den Ball letztendlich an die Lattenunterkante nagelt, während der Aue-Keeper nur noch zusieht, wie es um ihn herum flippert.

Überhaupt hat das Gästeteam Mühe, den Ball mal in den eigenen Reihen zu halten, denn in praktisch jeden ungenau gespielten Pass stößt ein Dynamo-Spieler. Hartmann, Berko, Duljevic oder Hauptmann erobern immer wieder die Kugel wie eine Kette aus Staubsaugern und Schaufelradbaggern, während dahinter Ballas und Jannik Müller – mit absoluter Lufthoheit – fast schon entspannt wegräumen können, was doch einmal durchkullert. Beeindruckend zudem, wie Duljevic und Heise sich als Power-Duo auf der linken Seite neu zusammenfinden – da darf jedem Gegenspieler Angst und Bange werden.

Eine knappe Viertelstunde ist vorbei, da bringt Heise eine Freistoß an den Fünfer, wo Ballas den Fernsehturm gibt, aber Männel macht die Fliege und fischt den Kopfball weg. Die darauffolgende Ecke verpasst Hartmann nur knapp und den nun wiederum fälligen Eckstoß köpft der Kapitän an die Latte.
Kurz darauf eine Schrecksekunde: Ballas spielt vor dem eigenen Strafraum vollkommen unebdrängt einen Fehlpass, doch die Chance können die Wissmütigen nicht nutzen, da ihnen kollektiv der Ball sofort wieder abgejagt wird – Konter Berko, Düsseldorf-Gedenkschuss Duljevic, aber gehalten. Doch drei Minuten später ist dann money time: An er rechten Außenbahn halten Heise, Duljevic und Hauptmann ein kleines Arbeitsmeeting ab, während sie sich den Ball ein wenig zuspielen. Sagt der eine: Guck mal, da in der Mitte, der Röser, kann einem echt leid tun der Kerl, fast so allein allein wie Polarkreis 18 seinerzeit. Und weil der Haris ein netter Kerl ist, schickt er das Spielgerät (MDR-Sprech) mal eben dem Lucas rüber: Hey, mach was draus. Und er macht was draus: Aufsetzer-Köpper, rein ins Vergnügen, während Männel umfällt wie ein schwerer Sack Reis im Regen. 27.000 flippen aus, 3.000 beißen in ihren lila Schal.

Aber dann kommt sie, die eine Situation, die die Dresdner Leidensfähgigkeit kurz in Erinnerung ruft: Denn in der 28. klatscht ein Rapp-Kopfball ans Dresdner Obergebälk, während Heise den Nachschuss aus guter Position abwehrt. Ansage: nachlassen verboten. Und so wird nun nicht mehr ganz so stürmisch geprescht, sondern mit dem Auge für die Sicherheit nach hinten agiert. Das sieht nun etwas ruhiger aus, eröffnet Aue mehr Ballbesitz, aber bei der Sportgemeinschaft steht eine Grundordnung, die an diesem Nachmittag nicht zu erschüttern ist.

So kurz vor der Pause hängt man dem Gedanken nach, dass eine zweites Tor jetzt nicht so schlecht wäre, zum für den Gegner „psychologisch ungünstigen Zeitpunkt“. Es läuft die 44. Minute, das würde passen. Und überhaupt werden doch gerade Ballsicherheit und Passspiel am Auer Strafraum trainert. Okay, jetzt mal Hautpmann auf Benatelli, der macht einen kleinen Spaziergang an der Sechzehnerlinie entlang, so als würde ein US-Cop einen Alkoholtest machen, Männel ruft noch „Ich bin der Martin, ne“. Aber der Rico meint nur: Hier ist meine Visitenkarte und versenkt unhaltbar links unten. Pausentee mit Glücksgefühl.

Zweite Halbzeit: Ecke hier, Ecke da

Wir hatten das doch gerade mit „psychologisch ungünstigen Zeitpunkt“. Als ein solcher werden ja auch die Minuten kurz nach der Pause bezeichnet. Aber was heißt denn hier Minuten! 45 Sekunden nach dem Wiederanpfiff schickt Hartmann Berko steil, aber vor diesem wird der Ball zur Ecke geklärt. Heise schickt das Ding in seiner unnachahmlichen Art vor das Tor, wo Ballas im besten Sinn des Wortes den Emporkömmling gibt, während links und rechts von ihm alls Lilafarbene zu Boden geht. Schädel an Ball, drin, 3:0! Dass der Innenverteidiger nach seinem ersten Saisontor in der Landephase seines Körpers noch auf einen Auer fällt, verursacht kurz Schmerzen, aber da wird sich kurz geschüttelt und die herbeigerufenen Teamärzte dürfen ohne Behandlung den Rasen wieder verlassen.

Ab jetzt ist vollkommene Spielkontrolle angesagt. Gedanken an ein mögliches Comeback der Schachter sind ob des Rasengeschehens einfach nicht mehr vorhanden. Mit aller Konsequenz und Konzentration wird nun defensiv gearbeitet, während der Blick immer mal nach vorn geht. Hauptmann versucht es volley aus der Ferne, kurz darauf wird eine aussichtsreiche Situation vertändelt. Ein zweites Tor wird Röser in der 67. Minute aberkannt, weil er sich nach einer hübschen Freistoßvariante, an deren Ende er allein vor Männel stand, selbst den Ball ohne Absicht an die Hand gespeilt hat.

Inzwischen ist den Erzgebirglern so ziemlich die Lust an diesem Spiel vergangen. Irgendwie das Ding im Rahmen halten, das scheint die Devise zu sein. Aber Schwarzgelb hat noch Bock. Defensiv hat das zur Folge, dass Hartmann sich die fünfte Gelbe holt, als er einen Konter unterbinden will. Offensiv folgt dafür in der 75. Minute das 4:0. Natürlich nach einer Ecke. Mal ehrlich: Hätte es die Auer nicht stutzig machen müssen, dass da auf einmal Duljevic an der Eckfahne steht und der Heise zehn Meter weit weg? Denn was nun folgt, ist das, was man im American Football einen Trickspielzug nennt, oder im Fußball eben „einstudiert“. War da nicht was mit Geheimtrainung letzte Woche? Also: Duljevic flach auf Heise, der vom Sechszehner-Eck auf den zweiten Pfosten, von dort köpft Hartmann vor das Tor, wo Berko angestiefelt kommt und per Kopf einwuchtet. Boah! Und wie Männel vor lauter Wut den Ball noch mal ins Netz schießt, ist einer meiner schönsten Momente in diesem Spiel. Pappesatt der Mann!

Die letzte Viertelstunde ist Schaulaufen, es kommen Möschl, Konrad und Lumpi für Duljevic, Hartmann und Hauptmann. Und nur mal so: Die beiden Letztgenannten hatten in diesem Spiel eine Passquote von 82 und 96 (!) Prozent.

Dann ist Schluss und die Feierlichkeiten zum 4:0 nehmen Fahrt auf. Denn schließlich ist jedes Tor gegen den Schacht ein absolut fastastisches, zudem steht es in diesem Jahr gegen Aue 8:1. Derweil macht sich Lehmi bereit für seine letzte Uffta – diesmal mit Mikro vom Rasen aus. „Wiiiir siiiingään ....“, you know. Hoppsassa.

Bleibt zu konstatieren, dass Uwe Neuhaus der Mannschaft neues Leben und Selbstbewusstsein eingeimpft hat, die Rückkehr des Kapitäns auf den Rasen war dabei sicher auch von unschätzbarem Wert. Dass er nun gegen Union fehlen wird, ist kompensierbar, wenn das Team weiter mit diesem Mut und Drang spielt. Dass bei einem zukünftigen Gegner der Trainer entlassen wird, bevor es gegen Dynamo geht, ist derweil eine fast schon unheimlche Tradition. So eisern ist Union eben doch nicht. Manchmal.
Uwe Stuhrberg

SG Dynamo Dresden vs. Erzgebirge Aue

3. Dezember 2017, Anstoß: 13.30 Uhr
Tore: 1:0 Röser (21.), 2:0 Benatelli (44.), 3:0 Ballas (47.), 4:0 Berko (75.)
Dynamo Dresden: Schwäbe, Seguin, J. Müller, Ballas, Heise, Hartmann (80. Konrad), Hauptmann (85. Lumpi), Benatelli, Berko, Duljevic (76. Möschl), Röser
Ohne Einsatz: Schubert, Horvath, F. Müller, Mlapa
Schiedsrichter: Manuel Gräfe
Zuschauer: 30.453
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