Die Lohntüte nicht geöffnet

Gegen Hannover rockt Dynamo das Stadion und verliert doch das Spiel

Spiegel online textete kürzlich über den BVB die Überschrift „Keine Spitzenmannschaft“. Man hätte diese Headline auch heute für Dynamo Dresden nutzen können, wenn auch die Vorzeichen und die Bedeutung zwischen einer CL-Stammelf und einem Auftsteiger aus Liga 3 komplett andere sind. Denn man hat bei dieser Niederlage gesehen, dass Dresden zu Recht auf Platz 6 steht, aber in dieser Saison keinerlei Ambitionen auf einen Aufstiegs- oder Relegationsplatz hegen sollte. Wer also bisher auf Wolke 7 schwebte: Der Traum ist aus. Und vielleicht kann das die Schwarzgelben für die kommenden Spiele auch etwas befreien – vor allem kommende Woche im Schacht.

Erste Halbzeit: Ein Sturmlauf, kein Tor

Was für atemlose 45 Minuten! Mit Aias Aosman für Lumpi und Niklas Kreuzer für Fabian Müller etwas offensiver in den Startlöchern, bringt Dynamo von Minute 1 an ein aufregendes Powerplay auf den Rasen. Schon bis zur zehnten Zeigerumdrehung hätte das erste Tor fallen müssen, aber Marvin Stefaniak und Erich Berko offenbaren wieder ihr größtes Defizit: mangelnde Torgefahr als Vollstrecker. Als Assistgeber top, als Goalgetter – nun ja, nicht so pralle.

Dann versuchen die Hannoveraner doch mal zu kontern, doch Jannik Müller macht an der Außenlinie den Wayne Gretzky und checkt für eine gelbe Karte Martin Harnik in die Bande. In der Folge bekommen die Leinestädter fast nichts auf die Reihe. Im Prinzip wird jeder Angriff kollektiv gestoppt, einige Fernschussversuche gehen über oder neben das Tor. Wirkliche Gefahr entsteht nur durch zwei Edgar-Prip-Ecken, die, fast direkt aufs Tor gespielt, den Verteigern und dem Keeper alle Mühe machen. Ansonsten wissen sich die 96er oft nur mit rüdem Spiel zu helfen – fünf Gelbkartons belegen das, mindestens einer hätte auch Rot sein dürfen.

Dafür spielt Dresden den Gegner schwindelig. Kutschke sendet einen Pass der Marke „Feine Klinge“ auf Berko, der Stefaniak bedient – doch der Blondschopf überlegt zu lange, dann wird der Winkel zu spitz und Philipp Tschauner kann klären. Kurz darauf macht Niklas Hauptmann gefühlte zehn Mal den Drehrumbum um seine Gegenspieler und wird erst im Starraum gestoppt. Wieder eine Minute später ballert der sehr agile Niklas Keuzer aus 20 Metern scharf über das Tor. Es sind vor allem Heise, Kreuzer, Hauptmann, Berko und Stefaniak, die über außen ein extrem schelles Spiel nach vorn tragen, als gäbe es kein Morgen (oder keine zweiten 45 Minuten). Aber dann ist es Stefan Kutschke, der gleich zweimal – mit Verlaub – kreisklassenmäßig versemmelt. So geht das immer weiter. Und als Aias Aosman halbrechts vor dem Hannoveraner Torwart freie Bahn hat, aber ebenfalls zu spät abschließt, gehen einem einige dieser Fußballweisheiten durch den Kopf im Sinne von „Wenn man sie vorn nicht macht ...“ Marco Hartmann hingegen geht mal kurzzeitig nichts durch Kopf, denn nach einem schmerzhaften Zusammenstoß spielt er mittlerweile mit gelbem Turban.

Apropos Fußballweisheiten: Eine Minute vor der Halbzeit taucht tatsächlich Harnik blank vor Schwäbe auf, doch der Torwart macht sich breit wie drei Busse, sodass der Martin mal wieder den Chancentod gibt und knapp vorbeisnipert.

Stellen sich also zwei Fragen: Wie will man dieses Offensivfeuerwerk über 90 Minuten abfackeln? Und: Warum ist dieses Spiel nicht ausverkauft (Hashtag: #stadionerweiterung)?

Zweite Halbzeit: hinten, gleichauf, hinten

Zunächst hat es den Anschein, als würde die erste Hälfte fortgesetzt. So wird Kutschke zunächst durch Abseits gestoppt, dann hätte Aosman zum Helden werden können: Von Stefaniak traumwandlerisch bedient, geht er allein auf den niedersächsischen Kasten zu, aber statt cool einzunetzen, beginnt er eine Tändelei mit dem Runden und vertändelt. Haareraufen allerorten! Kurz danach ein sehenswerter Kutschke-Treffer nach formidabler Kreuzer-Flanke – leider klares Abseits.

Und dann wird das Spiel vogelwild, denn auch der Gast bekommt jetzt immer bessere Möglichkeiten – es geht hoch und runter. Erst scheitert Harnik an einem Schwäbe-Megareflex aus Nahsdistanz, dann ist auf der anderen Seite Kreuzer durch, wird jedoch einmal mehr gefoult. In der 66. wieder eine Ecke für Hannover – wie gesagt: die waren bisher schon nicht ohne. Doch diesmal macht sich erst Hartmann gegen Sané einen Kopf kürzer und Modica vergisst Harnik, der die Kopfballverlängerung ins rechte Eck spitzelt. Himmerhergott, da wird man doch mal „Scheiße“ rufen dürfen! Also: „Scheeeiiiiißeeee!“.

Nun kommt Testroet für Berko, das Hin-und-her geht munter weiter – und in Minute 78 kommt endlich Lohn in die Tüte: Steilpass Hartmann auf Testroet (NICHT im Abseits, liebe TV-Kollegen), der legt quer auf den Kollegen Kutsche und dieser wiederum besorgt den Ausgleich. Yes, we can!

Liegt jetzt ein Hauch von Braunschweig in der Luft? Oder sollte de Frage eher lauten: Was folgt auf Himmelhochjauchzend? Genau. Nur 100paarzerquetschte Sekunden nach dem Einszueins zieht der eingewechselte Kanan Karaman aus etwas über 20 Metern ab und Schwäbe kann hechtend nur noch zusehen, wie der Ball unten rechts einschlägt. Scheiße hoch 10!

Und jetzt fangen die Gäste an, richtig Fußball zu spielen, Harnik macht fast das dritte Tor. Lumpi kommt für Aosman. Und kurz vor Ultimo hat der wirklich den Ball am Gästefünfer, aber dem Routinier fehlt an diesem Nachmittag die Routine: Völlig überhastet kullert er den Ball zum Torwart. Was jetzt fehlt, ist eine Nachspielzeit von sechs Minuten, aber wir sind ja hier nicht bei den Bayern. Und so heißt es schließlich: Aus, aus, das Spiel ist aus. Der Lohn bleibt in der Tüte, weil sie nicht geöffnet wurde.

So gelingt den 96ern die Revanche für die Heimpleite im Hinspiel. Aber auch Dresden hatte in der der Hinrunde eine bittere Heimniederlage, für die es Revanche zu nehmen gilt. Sollte das am kommenden Sonntag gelingen, wird Hannover-Spiel kein Thema mehr sein. Obwohl man sich an die Raserei der ersten Halbzeit gern erinnern sollte, weil sie zeigt, was in dieser Mannschaft wirklich steckt.

Abschließend zwei Dinge: Gut, dass Stadiondurchsagen jetzt von einem Gebärdensprache-Dometscher übersetzt werden. Schlecht, dass ein paar Nazihools nach dem Spiel in der Bahn auf Hannnoveraner und Dresdner losgegangen sind. Dreckspack!
Uwe Stuhrberg

Dynamo Dresden vs. Hannover 96 19. Februar 2017, Anstoß: 13.30 Uhr
Tore: 0:1 Harnik (64.), 1:1 Kutschke (78.), 1:2 Karaman (80.)
Dynamo Dresden: Schwäbe, Kreuzer, Modica, J. Müller, Heise, Hartmann, Aosman (84. Lambertz), Hauptmann, Berko (73. Testroet), Stefaniak, Kutschke
Schiedsrichter: Florian Badstübner
Zuschauer: 29.820
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