Die Lüge im Dienste der Wahrheit

30 Jahre Lügenmuseum - Ausnahmekunst in Serkowitz

Der alte Gasthof in Serkowitz bei Dresden oder das, was als maroder Bau nach der DDR-Mangelwirtschaft und anschließender Vernachlässigung von ihm übrig geblieben ist, ging vor acht Jahren aus den Händen der Radebeuler Stadtverwaltung an den neuen Mieter, den aus Brandenburg stammenden Künstler Reinhard Zabka alias Richard von Gigantikow (geboren 1950 in Erfurt) und seine Frau Dorota. Beide richten in dem aus zwölf Räumen bestehenden Museum neben Dauerinstallationen auch saisonale Ausstellungen aus, deren Erlös mithilft, das Gebäude zu erhalten. Das Lügenmuseum (das Projekt fand zuvor an verschiedenen Orten in Brandenburg statt) ist inzwischen 30 Jahre alt. 1984 entstand die Idee im Künstlerhaus Babe.

Schon äußerlich entdeckt man an der Fassade des Gasthofes zum Thema Lügen und Wahrheit skurrile Sprüche, darunter die programmartige Sentenz »Es gibt Lügen, da fängt der Spaß an«. Nach Betätigung einer altertümlichen Klingel öffnet der Hausherr persönlich sein Refugium. Man tritt ein und wird, noch ehe man sich besinnt, von blinkenden, bunten Lichtern, Knattern, Knarren und Klingeln, Rattern und von sich drehenden, wie von Gespensterhand bewegten Mechanismen in Beschlag genommen.

Die Türen stehen offen und kalte Zugluft springt den Besucher an. Eine Mechanik, die ohne Sinn nur dem Bedürfnis nach Bewegung folgt, wie von Geisterhand einen Hut oder eine Feder schwenkt oder den Kopf einer Figur berührt und einen hellen, klingenden Ton von sich gibt. Die komplexe Installation folgt thematischen Schwerpunkten und atmet den Geist eines Kuriositätenkabinetts, in dem der Hexenmeister Gigantikow alle Sinne anspricht, neben Geräuschen, Stimmen und Klängen selbst den Geruchssinn verführt. Die zum Teil vom Künstler selbst gebauten und bemalten Objekte unter Hinzunahme von Kitsch, Nippes, Fundstücken, Altholz, Schrott und Trash bestürmen das Auge und verwirren den Geist. In der Art hinduistischer und buddhistischer Schreine werden Devotionalien vorgeführt, die den Synkretismus dieser magischen Ausstellung verstärken. Der Puls beschleunigt sich, während man von einem in den anderen Saal tritt, um immer neuere und heftigere Verführungen zu erdulden. Plötzlich ist man in einer ganz anderen Welt als da draußen, wird umworben von den Altären und Opferorten der Fantasie, die im Dunkel angestrahlt oder wie von innen leuchten.

Reinhard Zabka knüpft mit seiner hausumgreifenden Installation an große Vorbilder wie Salvador Dali und Jean Tinguely an, die mit ihren Arbeiten bei Barcelona und in Basel in ihren ihnen gewidmeten Museen auch ihm wie eine Offenbarung waren, als er sie besuchte und die ihn bestärkten, an seiner kuriosen »Untergrundkunst« festzuhalten. Seine Kunst beschwört die Lüge als Mittel der Wahrheitsfindung, die Täuschung als Weg, die Faszination von Licht und Ton, aber auch der Grusel, der den Besucher wie in einer Geisterbahn umfängt. Damit kann er gut kommunizieren, besonders mit Kunstinteressierten, Familien mit Kindern und Leuten, die gern etwas erleben möchten, das Gewisse Etwas und die besondere Unterhaltung lieben. Die nachhaltige Verwendung von Recycling-Material macht die Ausstellung besonders umweltfreundlich und kostengünstig für Künstler und Publikum.

Im Tanzsaal des Gasthofes stapeln sich unter einer zerfallenen Stuckdecke die »Ältäre der Friedlichen Revolution«, ein revolutionäres Orchestrion für den öffentlichen Raum, das jüngst auch in der Dresdner Kreuzkirche zu sehen war. 12 Künstler aus nah und fern präsentieren eigene Erfindungen unter dem Titel »Labytopia«, eine Verballhornung von Utopie und Labor, die den experimentellen Charakter hervorhebt und das Spiel mit dem zusammengetragenen Material betont. Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die Wende und ihre Folgen für die ostdeutsche Bevölkerung. »Labytopia erzählt von den Träumen und Visionen der Akteure von 89. Manche Künstler standen während der SED-Diktatur unter Beobachtung, konnten nur eingeschränkt arbeiten, erhielten Berufsverbot. ... Die Ausstellung erinnert an die DDR, an Notstandskreativität, an die Macht der Phanatasie«, heißt es in einem Statement. Unter den ausstellenden Künstlern befinden sich Angela Hampel, Lutz Fleischer, Klaus Liebscher, Carola und Wolfgang Smy, Steffen Fischer, Sophie Cau, Frank Herrmann, Marion Kahnemann, Juliane Vowinckel, Justus Ehras, Reinhard Zabka und Andre Wirsig.

Das Lügenmuseum bietet ein unterhaltsames und interessantes Kunstangebot, dem die Kulturinstitutionen der Region mit mehr Aufmerksamkeit begegnen sollten. Gerade erschien eine Broschüre vom Landesverband Bildender Künstler über die Rolle und Bedeutung von Künstlerhäusern in der Region, in der auch das »Lügenmuseum« beschrieben wird. Das Kunstlabor von Reinhard Zabka trägt sich selbst und bietet bildenden Künstlern die Möglichkeit, vor Ort zu wirken. Zabka ist nicht nur ein rühriger Museumsleiter, der seine eigene Kunst ausstellt und vermarktet, sondern vor allem Objekttüftler, Mechaniker, Philosoph, Klangforscher, Visionär, Folklorist und Magier in einer Person, der von seiner Mission begeistert ist, die eigenen Parallelwelten publik zu machen.
Heinz Weißflog

Lügenmuseum Serkowitz
Kötzschenbrodaer Straße 39, 01445 Radebeul
www.luegenmuseum.de