Die Wanderbühne

Das Societaetstheater muss für ein knappes Jahr ohne Haus auskommen

Wer den Schaden hat … Alte Sprichwörter haben es ja in sich. Im Fall der Bühne in der Inneren Neustadt muss sich aber niemand um den Spott sorgen. Denn hier richtete ein Schaden weit mehr an als ursprünglich vermutet. Genauer gesagt: ein Wasserschaden. Und der dräut schon eine Weile. Längst bevor der jetzige Theaterchef Heiki Ikkola im Mai 2020 ins Amt berufen wurde, trat eine ungebetene Nässe auf, die auf einen Baufehler zurückzuführen ist, der bereits zwei Jahrzehnte zurückliegt. Als sich nun Anfang 2020 die Bauaufsicht des Themas annahm, stellte sich heraus, dass das Haus im Prinzip über kein gültiges Brandschutzkonzept verfügt. Nur mit Mühe konnte eine sofortige Schließung des Theaters verhindert werden, die wichtigsten Dinge wie Brandschutztüren und trennendes Glas konnten bei laufendem Spielbetrieb erledigt werden. Der große »Rest«, also die Bereinigung des Baufehlers und die Beseitigung des Wasserdilemmas, würde etwa ein halbes Jahr dauern – von der Schließung des Restaurants bis hin zum Aufriss der Straße. Auch diese Arbeiten sollen den prinzipiellen Spielbetrieb nicht unterbrechen, so der Plan kurz nach Ikkolas Amtsantritt.

Im Januar 2021 wurde noch einmal konkretisiert: Der Gutmann-Saal und das Foyer können genutzt werden, der kleine Saal nicht. Im Zuge einer engen Abstimmung wies das Theater mehrfach darauf hin, was »laufender Spielbetrieb« bedeutet, fragte nach, ob man das garantieren könne, denn man müsse mit der Planung beginnen. Und die ist nun einmal bei Theatern etwas langfristig.

Im zweiten Halbjahr 2022 Auszug, bis zum Sommer ginge ein eingeschränkter Spielbetrieb. Mit dieser Kernaussage endete dann ein Abstimmungstreffen Ende Juni 2021. Brandschutz, Lüftung, Elektrik und weitere Sanierungsarbeiten seien nur so machbar. Doch von einer Räumung war bis dato nie die Rede. Einmal tief durchatmen und sich auf das Wichtige konzentrieren, das war nun die Maxime der Theatercrew. Auge in Auge mit der Baubehörde wurde von dieser versichert, dass man bis zum Sommer unter den angesagten Bedingungen spielen könne. Man stimme sich ab, der Bühnenbetrieb habe Priorität. Nun wurde also ein Spielplan gemacht, wurden Verträge vorbereitet. Aber so richtig traute Heiki Ikkola dem Frieden noch nicht. Und sein Bauchgefühl sollte ihm recht geben. Denn bevor er die Verträge mit den KünstlerInnen und Compagnies für 2022 unterschrieb, schickte der Geschäftsführer und Künstlerische Leiter noch einen Fragenkatalog ans Bauamt. Und von dort kam sichtlich genervt die Antwort, dass es doch kein Problem sei, wenn bis 17 Uhr gebaut würde, dann könne man ja 18 Uhr das Theater aufschließen.

Man könnte jetzt meinen, dass man sich mit dem Objekt seiner Arbeit etwas auseinandersetzen sollte, je nachdem, ob man ein Wohnhaus, einen Bürokomplex oder eben ein Theater saniert. Schon bei einem »einfachen« Konzert in einem kleinen Klub reist die Band spätestens 16 Uhr an, meist schon eher. Aufbau, Mikrofonierung, Soundcheck, Essen – und schon ist es 19 Uhr, also Einlasszeit. An einem Theater gibt es dazu noch Stellproben, aufwendige technische Einrichtungen, die den ganzen Tag in Anspruch nehmen. Es folgt eine Krisensitzung im Kulturamt mit allen Beteiligten. »Ich versuche wirklich immer den Perspektivwechsel, das Ganze auch aus der Sicht der Baubehörde zu sehen, aber andersherum gelingt das offensichtlich nicht«, konstatiert Heiki Ikkola. »Da wäre es besser gewesen, wenn es keine Garantiezusagen gegeben hätte. Was nützt mir eine Bühne, wenn ich dahinter keine Garderobe, ja nicht einmal eine Toilette habe.«

Schock Nummer zwei. Schon bei der Ansage des Auszuges im zweiten Halbjahr 2022 musste Ikkola schlucken, jetzt der nächste Hieb in die theatrale Magengrube. Gerade hatte man das große Ausweichen durchgeplant: September Zirkuszelt, Oktober Gedenkstätte Bautzner Straße, November Zentralwerk und Dezember Villa Wigman. Nun wird klar: Das Societaetstheater wird zur Wanderbühne – fast ein ganzes Jahr lang. »Nach diesem Termin war ich erst einmal eine Woche lang wie gelähmt«, erinnert sich Heiki Ikkola. Und wer den Mann kennt, weiß, dass schon etwas Schwerwiegendes passieren muss, wenn da nicht nach fünf Minuten Plan B und C sprudelt.

Schon die Planung für die Außer-Haus-Stationen nach dem Sommer waren eine Herausforderung in vielfacher Hinsicht. Es mussten nicht nur entsprechend der Spielstätten Themen und Kunst gefunden werden, das alles soll zudem nicht nur Pflicht sein, sondern auch Freude für die komplette Theaterbesatzung bringen. Jetzt steht fest, dass es bereits am 6. Februar 2022 die vorerst letzte Vorstellung im Haus geben wird. Direkt danach muss das große Ausräumen und Einlagern beginnen – schon wieder hat der olle Brecht recht: Ja, mach nur einen Plan … Nur das mit dem Auf-den-Hut-Hauen lassen wir mal weg.

Als ob die ganze Corona-Situation mit Schließungen, Öffnungen, sich ständig ändernden Zugangsregeln eine »Planbarkeit« in Kultureinrichtungen nicht sowieso ad absurdum führt, müssen nun schon wieder neue Ideen her. Und da kommt dem Societaetstheater einmal mehr die Sozialisierung ihres Chefs in der freien Szene zugute; anders gesagt: der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Platz. Denn er sagt den bereits verpflichteten Compagnies nicht einfach ab, sondern findet neue Räume und schafft so jeden Monat einen besonderen Fokus. Los geht das mit der Tanz-Musik-Performance »All In One« vom Feed Your Head Collective aus Mannheim und der JuWie Dance Company aus Dresden. Im Klub oka – objekt klein a werden universelle Kräfte zwischen Bewegung, Sound und Licht zelebriert, die das Publikum möglicherweise in andere Welten beamen könnten.

Der März trägt den Tanzabend »Frau ohne Ufer« in die Villa Wigman, eine Collage aus acht Choreografien, die die großartige Katja Erfurth zu ihrem 30. Bühnenjubiläum geschaffen hat (25. und 26. März). Ansonsten heißt es: »Socie on Tour« – Cie. Freaks und Fremde zeigen ihre Stücke an anderen Häusern. Wer sich noch an den Parcours »Spookai« erinnert, darf sich auf eine Wiederkehr des Post Theaters freuen. Denn vom 8. bis 10. April kommt deren »SepulTour« in die Mauern der St. Pauli Theaterruine. Diesmal steht die »letzte Reise« im Mittelpunkt des Geschehens, die vielen verschiedenen Kulturen des Trauerns und Bestattens zwischen Tanz, Musik und Poesie.

Am 20. April gibt es dann eine Premiere im Schloss Albrechtsberg: Kathleen Gaube und Cordula Hanns bringen das Stück »Frau verschwindet« der Schweizer Autorin Julia Haenni auf die Bühne, in dem eine Schauspielerin das Leben eines nicht mehr anwesenden Menschen rekapituliert. Und noch einmal Katja Erfurth: »… Da/Sein …« ist ein performativer Sieben-Stationen-Rundgang durch die Neustadt, den die Tänzerin mit dem Violinisten Florian Mayer bestreitet, beginnend stets an der Hauptstraße 25, dem nunmehrigen Besucherzentrum des Societaetstheaters – jeweils am 26., 27., 29. und 30. April. Im Mai Cie. Bodecker & Neander mit einer Premiere in der Theaterruine und ebendort die dreitägige »Garden Party« mit der französischen Compagnie N°8 als Prolog zum Zirkustheater-Festival. Und so geht es immer weiter; wenn eine Theaterschließung nicht ein an sich traurig Ding wäre, könnte man es auch einen Glücksfall für die Stadt nennen. Apropos Zirkustheater-Festival – da kommt auch noch einiges, was sowieso ge­plant war. Habe ich gerade Plan geschrieben? Und was ist mit dem beliebten Apfelgarten? Der wird in der Open-Air-Saison leider auch nicht zur Verfügung stehen, da die aufgerissene Straße alle Zufahrtswege sperrt. Verdammte Axt!

Der Spätsommer bringt dann Phase zwei des Societaetstheaters als Wanderbühne. Im September kommt der inzwischen auch hier bekannte Schweizer Zirkus FahrAwaY wieder in die Stadt, baut sein Zelt auf, spielt es ein und »überlässt« es dann Ikkola & Co. Wo es genau stehen wird, befindet sich in der Klärung. Danach wird in der Gedenkstätte Bautzner Straße im Oktober ein neues Stück inszeniert nach dem Roman »Metropol« von Eugen Ruge, der sich mit dem Stalin’schen Terror auseinandersetzt. Ruge selbst wird auch nach Dresden kommen für eine Lesung. Der November im Zentralwerk bringt vom 4. bis 6. das The Sound of Bronkow Music Festival an anderer Stelle und späterem Datum als gewohnt. Einige Dienstagskonzerte werden derweil in die GrooveStation »wandern«.

Doch bevor das große Reisen begann, gab es am 6. Februar noch einen famosen Auskehr-Abend mit The Gentle Lurch und Tinted House. Ausverkauft. Natürlich.
Uwe Stuhrberg

www.societaetstheater.de