Die Wunschliste der Klubs

Geht eine Kultur den Bach runter?

Foto: Wolfgang

Hui, da hat sich die Politik, aber mal etwas einfallen lassen: Man unterstützt das »Büro für Popkultur und Musik Sachsen«, das beim Landesverband der Kultur- und Kreativwirtschaft angesiedelt ist. Ministerien-Leitende wie Barbara Klepsch oder Dirk Panter reden von »strategischen Partnern«, Popkultur als »wichtigen Bestandteil der kulturellen Vielfalt«, oder dass man »Strukturen zur nachhaltigen Förderung der Popularmusik« schaffen will. Tja, wie so oft in Sachsen, kommt man auf die richtigen Ideen sehr spät, zu hoffen ist, nicht zu spät.

Oder war da schon mal was? Klingelt es bei »Strukturfonds Rockmusik Sachsen«? Es war 1992, als ein Förderprogramm dieses Namens vom Sächsischen Staatsministerium für Kultus eingerichtet wurde, weil »Rockkultur einen Bereich der Jugendkultur ausmacht, der entscheidend ist und deshalb Förderung verdient, in der Vergangenheit darauf angesetzte Fördermodelle aber versagt haben«. Die ideelle Basis dafür schuf Bernd Gürtler, SAX-Autor der ersten Stunde. Seine Feststellung, hier nur kurz gebraten wiedergegeben: Die Stärkung der popkulturellen Infrastruktur muss in den Vordergrund rücken, damit Bands und Künstler:innen gute und vielfältige Möglichkeiten haben, aufzutreten und sich so zu verwirklichen. Viele Klubs und Kultureinrichtungen konnten dank des Fonds ihre technischen Möglichkeiten verbessern, neue Strippen wurden gezogen – im übertragenen wie wortwörtlichen Sinn. Aber irgendwann war es den regierenden alten Männern zu teuer oder sie verstanden eben Rockmusik oder Pop als zu unwesentlich im eigenen kulturellen Stadl – so wurde das Ganze eingestampft. Nun versucht man also wieder, auf den Trichter zu kommen, da die Nöte in der Szene immer größer werden. Das Ziel des Ganzen: »Mit dem BPM Sachsen werden langfristig stabile Strukturen aufgebaut mit dem Ziel, die nationale wie internationale Wettbewerbsfähigkeit und Sichtbarkeit sächsischer Akteurinnen und Akteure zu erhöhen. Das BPM Sachsen agiert in seiner Arbeit mit flexiblen bedarfsorientierten Maßnahmen, von Netzwerkformaten bis hin zu Orientierungsberatungen.« Das klingt wie so oft nach allem und nichts. Aber hoffen darf man ja, dass der neue Ansatz Wirkung entfaltet, wenn auch noch unklar ist, wie es genau funktioniert.
Wunsch Nummer 1: Herr, lass die Förderung unkompliziert und überlegt ausfallen!

Die Malaise

Man mag es kaum glauben, aber der erste Corona-Lockdown ist bereits über fünfeinhalb Jahre her. Und auch wenn Behörden von Steuer bis Kultur so tun, als wäre alles wieder in Butter, muss man konstatieren: nein, ist es nicht. Denn während die Sächsische Aufbaubank fröhlich auch bei Künstler:innen, Bands, Kultureinrichtungen oder Ticketshops Coronahilfen zurückkassiert – wenn auch momentan pausierend – häufen sich die Probleme allüberall.

Fragt man einen Veranstalter, wie ein Event zu kalkulieren ist, erntet man meist eine Art verzweifeltes Lachen. Denn die wichtigste Zahl lässt sich nur noch selten rechnen: Wie viele Menschen werden kommen? Also in etwa. Vielleicht. Wenigstens. Das Reich der Vermutungen kann sehr groß sein. Geht es nicht gerade um Superstars, die sicher ziehen, gehen die Umsätze bei den Vorverkäufen oft in den Keller. Und das löst bei Veranstaltern wie Auftretenden Sorgen, ja manchmal auch Panik aus. Bei wie wenigen Tickets sagen wir ab? Und wann? Eine Woche vorher? Zwei Wochen vorher? Auf jeden Fall enttäuscht man jene Fans, die eine Karte gekauft haben. Ob die aber beim nächsten Versuch wiederkommen? Der Klub wiederum hat dann einen Tag geschlossen – kein Umsatz.

Was auffällt: Wo früher bei Absagen mangels Vorverkauf von »produktionstechnischen Problemen« verklausuliert wurde, wird nun immer häufiger Klartext kommuniziert. Und es wird auch erklärt, warum das Kostenrisiko zu groß ist, vor allem, wenn eine ganze Tour daran hängt. Es brauchte schlichtweg eine Glaskugel zur Vohersage der Abendkasse, denn diese ist mal zum Verzweifeln schlecht, dann wieder so fett wie zuletzt in den Neunzigern. Und so wird manche Show zu früh abgesagt – man wird es aber nie wissen.

Zudem gibt es ein immenses Kostenproblem: Mieten, Energie, Personal. Zwar sind viele Venues dank Corona-Zuschüssen technisch auf einem guten Stand, doch der Auftrieb der finanziellen Lasten drückt unermüdlich. Und viele Veranstalter, die ihre Konzerte und Partys in Vereinsform und mit hohem persönlichen Aufwand betreiben, können das Risiko kaum noch schultern. Dazu kommen die gestiegenen Löhne für das Personal. Wobei diese auch gerechtfertigt sind. Haben gerade die Techniker:innen bei Ton und Licht vor Corona oft für Hungerlöhne schuften müssen, können sie sich – wenn sie gut sind – nun ihre Jobs aussuchen, mehr Geld verlangen, was – wie gesagt – auch richtig ist. Aber auch Leute für die Bar, den Einlass oder die Security sind nicht immer einfach zu finden. Das Wochenende ist doch auf dem Dancefloor viel schöner als daneben. Oder ist der Dancefloor privat dann doch irgendwie feiner?

Vor allem in den Corona-Jahren nahm das Feiern daheeme oder in der Heide oder Woauchimmer – mehr oder weniger illegal – drastisch zu. Die damals roundabout 16-Jährigen haben das Feiern in Klubs nicht »gelernt«. Und vermissen offensichtlich nichts. Also bedarf es ausgefuchster Feierkonzepte, um die nachwachsende Partyjugend hinter dem Ofen hervorzulocken – wer 0815 bietet, wird es nicht schaffen.
Wunsch Nummer 2: Du hast es nur noch nicht probiert? Dann aber jetzt!

Der Vorverkauf als Gradmesser

An und für sich ist der Gang zum Ticketdealer des Vertrauens eine feine Sache. Man hat sein Ticket, geht entspannt zum Einlass, hat etwas weniger bezahlt als an der Abendkasse verlangt wird. Dann kam Corona. Und alles wurde anders. Statt wie bisher Eintrittskarten zu verkaufen, wurden nun Tausende Billetts zurückerstattet – mit allen Problemen, die damit einhergingen. Welche Gebühren werden zurücküberwiesen, welche nicht? In welchem Zeitraum werden Stonierungen bearbeitet? Was ist mit Veranstaltern, die insolvent sind? Rechtliche und moralische Fragen überall. Dazu kam: Um den Schwall an Erstattungen zu bewältigen, musste man den Ticketshop im Lockdown weiterbetreiben, ohne aber etwas verkaufen zu dürfen. Dafür gab es zwar Coronahilfen, aber diese wurden ja – siehe oben – teilweise wieder einkassiert. Dafür muss man Folgendes verstehen: Dass Hilfen zurückgezahlt werden müssen, heißt nicht, dass man beim Beantragen gemogelt hat. Der Staat hat schlichtweg im Nachhinein die »Spielregeln« geändert. Darf er das? Leider ja, da es sich bei den Coronahilfen um eine freiwillige Leistung handelte, und nicht um eine gesetzlich verankerte Zahlung.

Als es immer mal zwischendurch und dann im März 2022 wieder losging mit Veranstaltungen, machte die Personalisierung von Tickets große Runde. Das wiederum lehnten viele Stammkunden an den Ticketschaltern ab; den Datenkraken von Eventim & Co. einfach so die Daten hinterlassen, fällt nicht nur Fußball-Ultras schwer. Gleichzeitig nahm der Onlinekauf von Tickets zu, denn einem Großteil der nachwachsenden Konzertgänger:innen sind ihre Daten ziemlich egal. Und so machte eine Unsitte mehr und mehr Schule, vor allem beim Fast-Monopolisten CTS Eventim: Exklusivverkäufe und Presales. So gab es für Konzerte mit Depeche Mode, Björk, Helene Fischer oder Rammstein überhaupt keine Verkaufsmöglichkeiten für lokale Kartenläden wie die Konzertkasse Dresden oder SaxTicket. Bei sehr vielen anderen Shows gibt es Presales: Tagelang können die Karten nur bei Eventim online gekauft werden, wenn dann der große Ansturm durch ist, »dürfen« auch alle anderen zur Resteverwertung. Dem Beispiel folgen inzwischen auch andere Veranstalter wie jene von Kraftklub (kein lokaler Verkauf) und Nina Chuba (Presale). Wer aber verkauft noch Tickets für weniger bekannte oder eher unbekannte Künstler:innen, wenn das Netz der lokalen Voverkaufsstellen zerschlagen ist? Wer berät denn dann noch Menschen, die Informationen benötigen? Es gibt einiges, was das Internet nicht leisten kann. Aber viele, auch traditionsreiche Ticketshops in anderen Städten haben schon aufgegeben.

Hoffnung gibt es hin und wieder doch. So haben die Veranstalter der Dresdner AC/DC-Konzerte keinen Presale-Exklusiv-Zinnober gemacht und allen Vorverkaufsstellen von Anfang an den Zugang gewährt. Die Magier von Siegfried & Joy gingen sogar noch einen Schritt weiter. Sie vertreiben nur einen kleinen Teil der Tickets für ihre Show in der Jungen Garde selbst und gaben nur bei den lokalen Ticketshops richtige Oldschool-Karten in den Vorverkauf. Was Wunder, das funktioniert!
Wunsch Nummer 3: Mehr Vertrauen im Vorverkauf wagen!

Die Vergessenen

Natürlich wird in der Kultur nach wie vor einiges gefördert: Venues, Künstler:innen, Bands, Studioaufnahmen … Wer aber immer zwischen den Förderstühlen sitzt, sind die freien Veranstalter. Und da gibt es auch in Dresden noch so einige, die sich im kleineren Zuschauer-Segment von 10 bis 1.000 bewegen: Schoisal, Dynamite Konzerte, Oh my Music, WIldfire, Blood Service, Bringt it down oder eben auch SAX.Konzerte. Die Besonderheit hier: Die Freien leben nur von den Ticketeinnahmen, haben also keine Gastroerlöse, denn diese bleiben bei den Klubs, in die man sich einmietet. Und mit den steigenden Kosten überall wird es immer schwieriger, dass nach dem Konzert überhaupt noch etwas übrig bleibt, selbst wenn im unteren Entertainment-Bereich auch die Ticketpreise steigen. Ein Konzert im Ostpol für über 20 Euro oder in der GrooveStation für über 30 Euro wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen.

Doch für die meisten Bands ist das Spielen von Konzerten die einzige Einnahmequelle, und so steigt der Druck auch auf die Veranstalter, an der Geldspirale mitzudrehen. Nur steigen damit eben auch Folgekosten wie GEMA, Künstlersozialkasse oder die sogenannte »Ausländersteuer«. 
Zudem sind freie Veranstalter auch ein wichtiger Bestandteil der Graswurzel-Entwicklung von Musiker:innen und Bands. Sie entscheiden anders als Klub-Booker und können einen Act über die Jahre begleiten. Beispiele bei SAX.Konzerte sind etwa Steiner & Madlaina, iL Civetto oder Buntspecht, die einst im kleinsten Klub begannen und nun bald die 1.000er-Marke erreichen können.

Aber gesehen werden die freien Veranstalter im Prinzip nicht. Dem Publikum ist es – zu Recht – egal, wer da wen auf die Bühne gestellt hat. Etwaige Fördergremien scheinen nicht einmal zu wissen, dass es das gibt. Zumindest muss man das glauben, denn alle Maßnahmen in Sachen Pop- und Rockkultur gehen nicht einmal haarscharf an ihnen vorbei. Damit man nicht falsch verstanden wird: Niemand will hier, dass es Geld regnet, es ist noch immer ein Business, für das man sich freiwillig entschieden hat. Und wer dafür nicht die Nerven hat, muss etwas anderes machen. Aber ein wenig mehr Gesehenwerden, das wäre schon cool.
Wunsch Nummer 4: Schaut out und gern auf uns!
Uwe Stuhrberg