Distanziert

Wie Dynamo außerhalb des Strafraums gewinnen kann

Zunächst ein dickes Sorry. Ja, nach dem Spiel in Darmstadt war nichts von mir zu lesen. Natürlich habe ich das Spiel gesehen, es wäre auch viel dazu zu sagen gewesen, allein mein Printprodukt (für die Jüngeren unter Euch: Das sind so auf Papier gedruckte rechteckige Dinger, in denen was zum Lesen drinsteht), das Stadtmagazin SAX harrte des Abgabetermins – und so war es einfach unmöglich, die Zeit für den Spielkommentar aufzubringen. Halb so wild, dachte ich, und unterschätzte damit die Fanschar dieser kleinen Rubrik deutlich – es gab fordernde und Enttäuschung ausdrückende Mails. Zurecht natürlich.
Nun aber zu Heidenheim. Eigentlich heißt die 50.000-Einwohner beherbergende Stadt vollständig Heidenheim an der Brenz. Und brenzlich würde es für Dresden dort immer, denn ligaübergreifend war ein Remis in der letzten Saison bislang der größte aller Erfolge. Nach der bis zur Nachspielzeit durchaus ansprechenden Leistung in Darmstadt, drehte Uwe Neuhaus nur an einer Stellschraube freiwillig: Lumpi saß auf der Bank, dafür kam Marco Hartmann wieder zum Zuge. Den gezerrten Fabian Müller ersetzte Paul Seguin (auf links!) und den wechselvernarrten Dubai-Fahrer Aias Aosman vertrat Niklas Hauptmann.

Erste Halbzeit: Die gekreuzte Unterlatte

Was sofort auffällt: Die schwarzgelbe Elf hat den Kopf oben, die Brust draußen. Der in der Nachspielzeit verrauchte Sieg in Darmstadt scheint abgeschüttelt. Erster Zeichengeber ist der rackernde Erich Berko. Wenn man sich nur mal erinnert, wie der Mann hier ankam – ein leichter Check und die 40 lag, nicht selten lamentierend, am Boden. Heute strotzt er nur so vor Körperlichkeit, teilt auch mal aus und geht bereits nach knapp zwei Minuten über das halbe Feld, zieht drei Gegner auf sich und legt zu Haris Duljevic nach außen. Dessen hübsche Flanke erreicht Berko jedoch nicht. Die nachfolgende Ecke landet dann mal wieder vor den Füßen von Manuel Konrad, doch der Dreifach-Schütze von letzter Woche wird diesmal geblockt.

Nach fünf Minuten dann fast ein Gonther-Moment, als Jannik Müller einen Rückpass zum Torwart etwas zu weich anlegt, aber Marvin Schwäbe fischt das Ding vor dem heraneilenden Schnatterer weg. Herzklopfen kostenlos! Wenig später offenbart sich dann die ganze Misere der Heidenheimer Offensive, als – natürlich – „Mr. Überall“ Schnatterer frei in den SGD-Sechzehner spielen kann, aber dort gibt es nur etwas Gestochere und einen aufmerksamen Torwart. Es zeichnet sich ab: Die Verunsicherung der Ostalbler ist spürbar. Mit Mühe und Not wehren sie sich gegen Berko und Mlapa, die in den Strafraum eindringen und verhindern knapp den Einschlag. Den sollte es nach einer Viertelstunde eigentlich doch geben, als Kapitän Hartmann mit einem allerfeinsten Heber von Kreuzer freigespielt wird und aus etwas spitzem Winkel abziehen sollte. Doch wie schon Berko in Darmstadt wählt er den blinden Rückpass – in the middle of nowhere. Nobody is waitin‘ at the point of Elfmeter.

So nach 20 Minuten begibt sich Heidenheim auf Augenhöhe mit Dresden, ohne dabei nach vorn wirklch gefährlich zu werden. Dynamo hat meist den Ball, aber die Pässe in die Spitze kommen nicht an, der Durchschlag lässt etwas nach, Versuche aus der Distanz gehen hier wie da fehl. Bis zur 26. Minute.
Da spielen sich Hartmann, Hauptmann und Berko den Ball in einer Art Zirkelübung einander zu, während die Rothemden diesem Treiben mit einer Mischung aus Desinteresse und Irritation zusehen. Schließlich spielt Hauptmann dem auf die Strafraummitte zulaufenden Berko das Leder in den Fuß, woraufhin der gerade aufwachende Kollege Grießbeck den Fuß ausfährt. Foul. Zentrale Position. Aber kein Heise nirgendwo. Also Kreuzer. Und von wegen: „Niemand hat vor, eine Mauer zu bauen...“ Walther Ulbricht hat schon 1961 gelogen und tut es heute wieder.

Da stehen sie, die FCH-Recken, jeder für sich gefühlte 2,56 Meter groß. Der Torwart macht seine Hälfte dicht. Doch was niemand weiß: Niklas Kreuzer mag romantische Komödien. Erst zwei Tage zuvor hat er sich den Carl-Reiner-Film „Noch einmal mit Gefühl“ angesehen mit der unglaublichen Bette Middler. Das schießt ihm jetzt durch den Kopf, als er überlegt, wo die Lücke in der Wall sein könnte, die sich vor ihm auftut. Er überlegt noch kurz, ob er den Heidenheimern ein deutliches „Die Mauer muss weg“ entgegenruft, aber am Ende siegt Bette Middler. Denn nach nur zweieinhalb Schritten Anlauf hebt er den Ball noch einmal mit Gefühl über die roten Ölgötzen, deren Hupfen zu spät kommt. Fast in Zeitlupe senkt sich das Runde rechts an die Lattenunterkante, von wo sich die Dynamo-Führung in die Wirklichkeit morpht. Ja ist denn heut’ schon Weihnachten, Sankt Niklas? Jubel hier, Entsetzen da. Geht das denn schon wieder los, raunt es durch Heidenheim.

Jetzt kommt die dynamische Routine ins Rollen. Ballbesitz, konsequente Defensive, nicht zu viel Risiko nach vorn. Allein wie Duljevic in Minute 34 seinem Gegner mit vollem Speed und aller Willenstärke den Ball abläuft zeigt, dass hier und heute nichts schief gehen soll. Hauptmann zeigt seine Pirouetten, Hartmann und Konrad räumen ab, Berko und Duljevic drücken von außen und die vier Hintermänner lassen kaum etwas zu. Einzig Mlapa zeigt sich irgendwie undefiniert. Er macht ein paar Bälle fest, aber ihm fehlt irgendwie die Spielübersicht – wie etwa, als er in der 40. Minute im Abseits stehend die Flanke fordert, diese dann auch bekommt und abgepfiffen wird. Komisch auch, dass er bei seiner Länge oft die Extrazentimeter des Hochspringens beim Kopfball nicht nutzt.

Kurz vor der Pause dann noch ein kleiner Aufreger, als Duljevic mit feinem Pass Hauptmann im Strafraum bedient und dieser eine kleine Schwalbe reitet. Buchen wir das unter jugendlichem Strum & Drang ab.

Zweite Halbzeit. Die Ferne ist ein schöner Ort

Die Württemberger wechseln doppelt, alles soll nun besser werden. Nach sechs Minuten wird dann mal aus ganz guter Position geschossen, doch weit gefehlt. Es beginnt nun die 53. Minute. Marvin Schwäbe schlägt einen weiten Ball nach vorn, den Peniel Mlapa mit einem Hauch von Haaransatz auf den hinter ihm lauernden Haris Duljevic weitergibt. Der nun, mit dem Rücken zum Tor, legt sich die Kugel mit dem Kopf auf den Fuß und gibt diese butterweich in den Weg des weitergelaufenen Mlapa. „Die Ferne ist eine schöner Ort ...“ sangen einst Silly, als sie mit Tamara Danz (R.I.P.) noch eine richtige Sängerin hatten. Ja, die Ferne kann auch ein schöner Ort sein, wenn sie aus einem Rechteck besteht mit Netz dran. So läuft Mlapa noch vier kurze Schrittchen, um dann einen gewaltigen Strich in die Landschaft zu ziehen – völlig losgelöst von der Erde.
Der Ball fliegt.
Und fliegt.
Und fliegt.
Und schlägt ein.
Ohne Flugkurve. Ohne Geschnippel. Einfach so. Warum? Weil es der Mlapa kann. Zweinull für die Sportgemeinschaft.

Jetzt mal Butter bei die Fische: Was soll denn jetzt noch kommen? Im Schnelldurchlauf, weil selbst beijm Schreiben am Tag danach die Schnappatmung wieder einsetzt: Heidenheim versucht was, kann aber nicht so recht. Dresden macht das Notwendige gut, will aber nicht zwingend mehr und vor allem dem Herrn Schwäbe die weiße Weste bewahren. Heidemheim hat sogar Ulltras die via Zaungekletter und Zaunfahnengefummel fünf Minuten Nachspielzeit produzieren. Doch Neuhaus wechselt diesmal erst ab der 90., das gleich dreifach, um Zeit zu schinden und Röser muss dann sogar das dritte Tor machen, aber macht es nicht. Abpfiff. Auswärtssieg!

Fazit: Man muss den Ball nicht immer ins Tor tragen, auch distanziert lassen sich Spiele gewinnen. In zwei Wochen gilt es dann wieder zu Hause gegen die Audi-Crew mit dem Kollegen Stefen „The Mailbox“ Kutschke, der soeben per Elfer sein erstes Saisontor erzielte. Das wird wieder harter Tobak. Freuen wir uns drauf.
Uwe Stuhrberg

1. FC Heidenheim vs. SG Dynamo Dresden

1. Oktober 2017, Anstoß: 13.30 Uhr
Tore: 0:1 Kreuzer (26.), 0:2 Mlapa (53.)
Dynamo Dresden: Schwäbe, Kreuzer, J. Müller, Ballas, Seguin, Konrad, Hartmann, Hauptmann (90.+6 Lumpi), Berko (90.+3 Möschl), Duljevic, Mlapa (90. Röser)
Ohne Einsatz: Schubert, Benatelli, Markkanen
Schiedsrichter: Florian Badstübner
Zuschauer: 12.100
www.dynamo-dresden.de