Drei Fahnen für ein Halleluja

Mit einem Megasupport ringt Dynamo Dresden Mannheim zu Boden

Foto: SG Dynamo Dresden

Es gibt Dinge, die gibt es nicht. Eigentlich. Und dann gibt es Dinge in Dresden. Dresden ist ja anders, hat mal wer gesagt. Dieser Spruch von Ex-Geschäftsführer Volkmar Köster in der Causa Christoph Franke gilt noch immer. Zwei Choreos an zwei aufeinanderfolgenden Heimspieltagen sind ja schon unüblich. Aber eine Doppelinszenierung plus eine dritte in einem Spiel? Darf man lange suchen und findet nichts Vergleichbares. On top gab es noch einen Fanmarsch durch die Stadt, zum 70. Vereinsgeburtstag wurde einfach alles gegeben. Dass es einige Hirnies – trotz der UD-Bitte um das Weglassen von Böllern – dann doch haben krachen lassen, zeigt eben, dass es bei einigen im Kopf dann doch nicht von der Tapete bis zur Wand reicht. Aber das sollte den Tag nicht verderben, obwohl in der Vergangenheit die Traditionsspieltage eher nicht zu fußballerischen Glanzleistungen führten.

Zudem war es spannend zu erleben, wir Florian Junge im Tandem mit Heiko »Scholle« Scholz auf der Bank das SGD-Team leiten werden, da Headcoach Markus Anfang gesperrt war. Am Rande der Pressetribüne schaute er mit bester Sicht auf das Treiben auf dem Grün in Begleitung eines Wachpostens, bei dem nicht ganz klar war, ob der den Trainer bewacht oder beschützt. Unten hingegen fehlten Lewald gelbgesperrt und Hauptmann, der an der Saar eine Sinnlos-Rot-Gelbe kassiert hat, obwohl der Gegner ihn in den Handball geschubst hatte. Überraschend aber der Bankdienst von Kammerknecht. Die Begründung dazu lieferte Anfang in der Pressekonferenz nach dem Spiel – das versteht man auch nach mehrmaligem Zuhören nicht vollkommen. Es bleibt: Man hat sich was überlegt und Claudio war not amused. Und so kamen Robin Becker, Kevin Ehlers und Michael Akoto mal wieder zu Startelfehren, zudem kehrte Kyu-Hyun Park nach seiner Sperre zurück. Und das wird wohl auch so bleiben nach der Verletzung von Max Kulke.

Und dann ging es los: weinrote Blockfahne, weinrote Zettel und weiße für die Buchstaben. Dann fällt die Fahne nach unten und von oben kommt noch eine gelbe mir schwarzen Lettern und die Zettel im Rund drehen sich auch in die Vereinsfarben. Dazu ein ohrenbetäubender Support von den Rängen mit dem Einlauf der Mannschaften – da konnten sich die keinesfalls leisen Waldhöfer noch so strecken, sie hatten keine Chance.

Die erste Halbzeit: Einmal Flop, einmal top

Mann ist anstößig, während noch die letzten Choreozettel vom Rasen gepflückt werden. Als hätten sich beide Mannschaften darauf geeinigt, fliegt fünf Minuten lang fast nur Langholz durch die Gegend. Aber dann fliegt ein Allerweltsfreistoß auf die Park Avenue, wo Sohm und Schnatterer ein wenig das Passspiel üben. Das findet die Dresdner Viererkette offenbar so interessant, dass sie nicht bemerken, dass Martinovic – Mannheims bester Torschütze – im Rücken von allen anspaziert kommt. So kommt es, wie es kommen musste: Ex-Dynamo Sohm spielt eine Bogenlampe genau auf des Sturmkollegen, der keine Mühe hat, einzunicken. War da die neue Defensive noch unsortiert? War Kevin allein zu Haus? War Robin auf der Suche nach Batman? Oder war die Idee, gleich zwei Spieler mit einer Spielpraxis von fast null zu bringen, eher keine so gute? Nun ja, ein zeitiger Rückstand ist für Dynamo nichts Neues. Und Zeit ist schließlich noch.

Trotzdem: Ein bisschen zeigt die Heimelf jetzt Nerven. Wie Akoto einen Einwurf von Park ins Aus trudeln lässt, ist da nur ein Beispiel. Der Druck ist immens, die Erwartungen übermenschlich, verlieren ist verboten. Da passt es auch ins Bild, dass Wagner nach einer reichlichen Viertelstunde bei freier Schussbahn das zweite Gästetor nur knapp verpasst. Ansonsten läuft Schwarzgelb vor allem hinterher und Stefan Drljaca muss zudem einen Schnatterer-Hammer aus spitzestem Winkel wegfausten. Zu allem Überfluss kassiert Christian Joe Conteh schon wieder eine sinnlose Gelbe, weil er gefrustet den Ball wegschlägt. Es läuft insgesamt nicht gut.

Was auffällt: Es wird viel ausgerutscht. Haben sich hier die Greenkeeper bei der Wässerung des Rasens vertan und gemutmaßt, die Sonne würde das schon richten? Der heiße Planet lieferte zwar wunderbares Licht, aber die Halme blieben nass. Und die Kurpfälzer hatten jetzt schon Zeit: Es wurde gelegen, gefoult, getrödelt. Und es dauerte keine zehn Minuten, da sang die Gästeschar im Eckenblock das Lied vom Auswärtssieg. Das sollte sich nach einer knappen halben Stunde rächen. Und nicht nur Trekkies wissen: bortaS bIr jablu'DI' reH QaQqu' nay'. Das ist Klingonisch und bedeutet: Die Rache ist ein Gericht, das am besten kalt serviert wird. Ich bin mir sicher, dass Klingonen keine Ahnung vom Fußball haben, trotzdem haben sie Recht.

Aber der Reihe nach: Vor allem in der ersten Hälfte zeigt sich Ehlers extrem bemüht, den Defensiv-Fauxpas vom Gegentor wettzumachen. Mehrfach bricht er unwiderstehlich durch alle Ketten bis kurz vor den Strafraum, auch in der 28. Minute. Es ist zum Zungenschnalzen, wie Akoto mit dem Außenrist auf Borkowski weiterleitet, der von der Grundlinie wieder auf Akoto, der jetzt frei vor dem Tor … oh nein, oh nein, oh nein … der Ball landet in den Armen des Keepers. Ein kleiner Lupfer hätte genügt. Aber so vertritt Akoto vor dem Tor den Hauptmann untrefflich in der Tradition des Saarbrückenspiels. Da der Nachschuss weggeblockt wird, gibt es wenigstens eine Ecke.

Und diese Ecke hat es in sich: Der Ball hat von der Fahne noch nicht den Strafraum erreicht, da tönt schon der Pfiff von Florian Heft. Ausgerechnet Sohm weiß sich gegen den einlaufenden Stefan Kutschke nicht anders zu helfen, als ihn herzlich zu umarmen. Wir reden hier nicht von einem zarten Zupfer, sondern von Wrestlemania. Und wenn sich Waldhof-Trainer Christian Neidhart das noch mal in Ruhe anschaut (vor allem die Hinter-dem-Tor-Perspektive), wird er sich auch wieder beruhigen. In dem Moment aber gibt es Dampf in allen Gassen, zumal Kutschke vom Feld muss, weil er behandelt wurde (allerdings wegen eines kollateralen Schadens durch den heranstürzenden Knipping). An der Seitenlinie rasseln Neidhart und Kutschke verbal heftig aneinander, was nicht nur dem Gäste-Coach eine Gelbe bringt, sondern auch dem Dresdner Stürmer – es ist leider die fünfte. Zwei Leute müssen Kutschke festhakten, damit er … ähem, was nicht tut? Ein Tritt in die elektronische Werbebande muss es dann richten.

Ach ja, da war noch ein Elfmeter zu schießen. Ahmet Arslan, bis hierher kaum zu sehen, tritt an und versenkt sicher unten links. Es ist sein 20. Treffer der Saison. Gottseidank war er auch dran, denn die Strafstöße werden ja abwechselnd von ihm und Kutschke geschossen. Nicht auszudenken die Wut der 30, wenn ihm das Antreten durch das kurzzeitige Rausmüssen verwehrt geblieben wäre. Arslan hingegen macht mal bisschen Provo vor dem Gästeblock und bekommt auch Gelb.

Kann man in der ersten Halbzeit schon die zweite Luft bekommen? Es scheint so, denn jetzt ist der notwendige Ruck da. Und jetzt ist Mannheim genervt und jagt den Ball fast zum Eigentor knapp neben den Pfosten, nachdem auch Conteh sich mit einem seiner diesmal seltenen Superläufe gezeigt hat. Überhaupt wird es Zeit für eine beruhigende Pause, denn das Spiel wird immer nervöser mit vielen Fehler, Fouls und Nickligkeiten. Und kurz vor dem Pfiff zum Tee, wäre ein weiterer Elfer für Dynamo nicht unverdient gewesen, da auch Knipping im Strafraum ordentlich niedergerungen wurde. Im Presseraum warten kleine Bratwürste mit Schnitte.

Die zweite Halbzeit: Das Himmelsgestirn

Gleich mit dem Wiederanpfiff zeigt Conteh mal wieder seine zirzensischen Dribbelkünste. Gefühlt 132 Gegenspieler lässt er aussteigen, um sich dann den Ball zu weit vorzulegen. Alles zusammen kann man in Liga 3 eben nicht haben. Doch kurz darauf bleibt der Flügelmann auf dem Rasen sitzen und muss raus. Lemmer ersetzt ihn traditionsgemäß und setzt nun seinerseits zum Slalom-Tempostoß an. Gleich danach zappelt ein Borkowski-Schuss am Außennetz.

Minute 53. Während der Waldhof sich einen Elfer ermeckern will, geht im K die dritte Blockfahne hoch: Die Ikone aus der Zone. Und damit nicht genug: Als die Fahne nach unten rauscht, zeigt sich der Block in den Vereinsfarben, die man sich unter der riesigen Fahne drübergezogen hat. Dafür: Chapeau!!! Aber Drljaca kann nicht hingucken, weil er einen Schnatterer-Freistoß wegfausten muss. Und gleich wieder ein Rudel im Dynamo-Strafraum, weil die Gäste schon wieder einen Strafstoß haben wollen.

Auch wenn Dynamo jetzt mehr drückt, bleibt es ein hyperventilierendes Spiel ohne wirkliche Klasse, aber mit rasantem Kampfeswillen auf beiden Seiten. So schießt Lemmer von der Sechzehnerlinie unbedrängt rechts vorbei, was er sicher besser kann. Doch dann macht Knipping endlich sein erstes Saisontor. Ein weiter Freistoß von Arslan wird vor die Kiste geköpft, wo Knipping nur noch einschieben muss. Aber ach, der Pfiff gilt nicht dem Anstoß, sondern einem Offensiv-»Foul« von Ehlers. Dabei ist das Weißhemd einfach von sich aus hingefallen. Derweil raucht es mehrfarbig aus dem K-Block und das Europacup-Lied wird angestimmt.

Eine Weile passiert nichts in Strafraumnähe, zeigt sich die Partie zerklüftet wie die Westküste von Irland. Doch kurz ein Herzkasper-Anfall nach knapp 70 Minuten: Der sonst stark aufspielende Park lässt sich außen tunneln, die folgende Hereingabe mündet in einem Lupfer auf Martinovic, der schon wieder verlassen im Strafraum steht und volley abzieht. Doch das Glück ist heute beim Verein mit dem runden Geburtstag: Der Ball klatscht an die Unterseite des Balkens und landet in den Armen von Drljaca, der sich blitzschnell umgedreht hat. Ohne dessen schnelle Reaktion wäre die Kugel wahrscheinlich von seinem Rücken ins Tor geflogen.

Es bleibt dabei: Immer wieder Fouls, bleibt einer liegen, machen die Sanis Meter. Mit Ungenauigkeiten machen sich beide Mannschaften das Leben schwer. Die Stimmung im Stadion wird immer leidenschaftlicher, die Fans wollen jetzt ihre Elf zum Sieg tragen, ein fliegender Teppich aus Gesang, Fahnen und einfach nur Gebrüll. Und dann passiert es. Und wenn diese Atmo einen auflädt, dann ist das Stefan Kutschke.

Das Park bei Dynamo kein Synonym für Spazierengehen ist, weiß man spätestens seit seiner Vorarbeit für Arslans Zaubertor gegen Essen. 73 Minuten sind rum, da geht die Dresdner 2 ins Zentrum, wird gefoult, gehalten, getreten, geboxt, gerissen, gezupft, er rennt Mauern ein und Zäune nieder, ein Feuerschweif brennt eine Spur in den Rasen. Park fällt erst, als er den Außenrist-Pass auf Lemmer gespielt hat, der nun außen Zeit und Platz hat. Wenn man Jakob Lemmer nur für diese einer Flanke verpflichtet hat, dann war es das jetzt schon Wert. Scharf und genau vor den Fünfer gespielt, wo Kutschke emporsteigt, alle Weißen abschüttelt und das Leder per Kopfrakete reinnischelt. Die Stirn Gottes! Ein Himmelsgestirn! Zweizueins! Die Bude explodiert bis unters Dach, Kutschke macht vor dem rasenden K den Hulk. Nur Minuten später wird er ausgewechselt, Schäffler kommt, ebenso wie Meier für Borkowski.

Geht da noch was oder soll der knappe Vorsprung gehalten werden? Da geht es Vier gegen Drei auf das Mannheimer, Lemmer rennt allen davon und speilt perfekt auf Schäffler, der jedoch Rutschtribut an den noch immer nassen Rasen zollen muss. Wills Nachschuss wird rausgeköpft. Aber auch Sohm kommt aus zehn Metern noch einmal frei zum Schuss, verfehlt aber Drljacas Kasten. Alles kann jetzt noch passieren in den letzten Sekunden.

Kammerknecht kommt nun doch noch wie auch Oehmichen. Jetzt die Zeit runterreißen, denn inzwischen hat Wiesbaden den Ausgleich kassiert. Und da, da lässt Schäffler am Strafraum seinen Gegenspieler mal eben ins Leere laufen, aber mit dem leeren Raum vor sich, kann er nichts anfangen. Sein Schuss aus guter Position geht so erbarmungswürdig drüber, dass man sich Sorgen machen muss, wenn er im nächsten Spiel in Freiburg (wahrscheinlich) Kutschke ersetzen wird. Dann! Ist! Schluss!

Fazit

Es gibt diese Fußballweisheit, wenn man solche Spiele gewinnt … Andererseits hätte man in Saarbrücken auch nicht verlieren sollen. Am Ende hat Dynamo Dresden aber an diesem sonnigen Nachmittag mehr Nervenstärke gezeigt und wusste der Robustheit des Gegners etwas entgegenzusetzen. Das war ja nicht immer so. Im Endspurt braucht es aber irgendwie mehr Coolness vor dem Tor und weniger gelbe Karten, die mit Zweikämpfen nichts zu tun haben. Wird das Spiel in Freiburg gewonnen, geht der Wahnsinn erst richtig los.
Uwe Stuhrberg

SG Dynamo Dresden vs. SV Waldhof Mannheim
22. April 2023, Anstoß 14 Uhr
Tore: 0:1 Martinovic (5.), 1:1 Arslan (31., Elfemter), 2:1 Kutschke (73.)
Dynamo Dresden: Drljaca, Becker; Ehlers; Knipping, Park, Will, Akoto (90. Pehmichen), Arslan (90. Kammerknecht), Conteh (49. Lemmer), Borkowski (78. Meier), Kutschke (77. Schäffler)
Ohne Einsatz: Broll, Lehmann, Gogia, Kade
Schiedsrichter: Florian Heft
Fans: 29.210
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