Ein nicht ganz illegales Dossier

Bei der Datensammlung des sächsischen Verfassungsschutzes kommt es auf die genaue Rechtsbestimmung an

Anfang Juli dieses Jahres konnte sich die AfD-Fraktion im Sächsischen Landtag die Hände reiben. Über die angebliche Illegalität einer Sammlung öffentlicher Äußerungen und Aktivitäten von AfD-Abgeordneten im Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) stolperte dessen Präsident Gordian Meyer-Plath. Genauer gesagt, er wurde vom Sächsischen Innenministerium gestolpert, mit dem es häufig krachte. Außerdem galt er seit dem Zustandekommen der Kenia-Koalition von CDU, Grünen und SPD im vorigen Herbst als Abschusskandidat. Seine Versetzung ins Kulturministerium kann indessen nur als Aufstieg gelten.

Geklärt ist damit in der Sache aber gar nichts. Vier Monate seit Amtsantritt des Nachfolgers Dirk-Martin Christian prüft der Verfassungsschutz immer noch ergebnislos, wie mit den Dossiers und auffälligen Abgeordneten umgegangen werden soll. »Die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Speicherung von Abgeordnetendaten durch das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen ist ein laufender Prozess, der noch nicht abgeschlossen ist«, teilt Sprecherin Patricia Vernhold auf Anfrage mit. Immerhin zeichnet sich ab, dass das bisherige Vorgehen des LfV nicht ganz so verfassungswidrig war, wie von Innenminister Roland Wöller (CDU) im Juli behauptet. Nach Informationen der fünfköpfigen Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) des Landtages bieten einige AfD-Abgeordnete nämlich berechtigten und also auch rechtssicheren Anlass, genauer hinzuschauen.

VS-Beobachtung als politische Waffe

Nun ist besondere Sorgfalt tatsächlich angebracht, wenn Verfassungsorgane in Zusammenhang mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen gebracht werden. Damit die Schlapphüte sich nicht verselbständigen, hat diese Demokratie vor die Beobachtung von Parteien, Institutionen oder Einzelpersonen hohe Hürden gesetzt. Hürden, unter denen man wie teilweise der Verfassungsschutz »auch durchkrabbeln kann«, scherzt Innenpolitiker Valentin Lippmann, der für die Bündnisgrünen in der PKK sitzt. Wenn es sich dabei um gewählte Abgeordnete handelt, wird eine Observierung fast unmöglich, denn die freie Mandatsausübung ist in der Bundesrepublik fast so systemrelevant wie der Fußball. Das sächsische Verfassungsschutzgesetz setzt für den äußersten Fall des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel gegen Abgeordnete die Zustimmung des Landtagspräsidenten voraus.

Umgekehrt kann der Verfassungsschutz aber auch als politische Waffe benutzt werden. Beobachtung durch ihn ist ein Stigma, das der mittelalterlichen Reichsacht ähnelt, wenn auch nicht mit physischer Vogelfreiheit verbunden. Die traditionelle Linksphobie in der Bundesrepublik forderte lange Opfer nur in diesem Spektrum, angefangen von einer Berufsverbotswelle nach dem Verbot der KPD 1956. Auch Sachsen setzte diese Tradition fort, als das 1992 gegründete LfV eiligst mit der Beobachtung der Kommunistischen Plattform und der Arbeitsgemeinschaft Junge GenossInnen in der PDS begann. Im Jahr 2000 wurde bekannt, dass die Berliner PDS-Landesvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Petra Pau von einem V-Mann des Geheimdienstes beschattet wurde. Vergessen scheint heute, dass daraufhin auch der damalige sächsische Verfassungsschutzpräsident Reinhard Boos eine geheimdienstliche Beobachtung sächsischer PDS-Abgeordneter nicht ausschloss. Ein Auskunftsersuchen des Abgeordneten Uwe Adamczyk förderte dann eine Liste seiner Demonstrationsteilnahmen mit angeblichen Linksextremisten zutage. Landeschef Peter Porsch forderte seinerzeit die Auflösung des Landesamtes.

»Spitzelopfer« AfD verzichtet bislang auf Klage

Die aktuelle vermeintliche sächsische Beobachtungsaffäre hatte auch wegen der Beobachtung des Rechtsaußen-»Flügels« der AfD durch das Bundesamt für Verfassungsschutz besondere Bedeutung erlangt. Der inzwischen formal aufgelöste »Flügel« hat in Sachsen besonders viele Anhänger. Erst Anfang Oktober stufte das VS-Landesamt den Dresdner Richter und Bundestagsabgeordneten Jens Maier als rechtsextrem ein. Dort schien man zuletzt ein wacheres Auge auf die Neue Rechte geworfen zu haben, nachdem dem Landesamt nicht nur von der Alten Linken lange Indifferenz vorgeworfen worden war.

Aufschlussreich ist, dass die Anfang Juli mit großem Getöse angekündigte Klage des armen Politterroropfers AfD bislang ausgeblieben ist. Fragen nach Gründen dafür beantwortet die sonst um dröhnende Statements nie verlegene Pressestelle der AfD-Landtagsfraktion nicht. In anderen Fraktionen wird vermutet, dass sie die im Klagefall wahrscheinliche öffentliche Nennung von auffälligen Namen nicht riskieren will.

Maßstab Ramelow-Urteil

Hauptgrund für die Verzögerungen bei Beobachtern und Beobachteten dürfte die interpretationsfähige Rechtslage sein. Sie ist nur beim Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel eindeutig. Eine solche geheimdienstliche Observierung von AfD-Abgeordneten aber ist nicht erfolgt, stellte die Parlamentarische Kontrollkommission schon im September fest. Dokumentiert wurden lediglich öffentliche Auftritte.
Das war aber auch beim heutigen Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke) der Fall, der in seiner bis 2009 andauernden Zeit als Bundestagsabgeordneter gegen seine langjährige Beobachtung erfolgreich geklagt hatte. 2013 stellten die Bundesverfassungsrichter fest, dass dies gegen das hohe Gut der freien Mandatsausübung verstößt. Eine Überwachung sei nur im Einzelfall gerechtfertigt, wenn ein Mandatsträger »aktiv und aggressiv« die Freiheitlich-Demokratische Grundordnung bekämpfe.

An dieser laufenden Rechtssprechung des höchsten Verfassungsgerichts orientieren sich tendenziell das sächsische Innenministerium und die Behörde des Datenschutzbeauftragten Andreas Schurig. Der einzige konkrete Leitfaden des Bundesverfassungsschutzes zum Umgang mit Abgeordneten ist nur für den Dienstgebrauch vorgesehen und nicht öffentlich zugänglich. Das LfV Sachsen hat ihn erst mit Amtsantritt des neuen Präsidenten Christian übernommen.

Knackpunkt rechtssichere Begründung

Es kommt also auf die Begründung an, inwieweit eine solche Datensammlung der Abwehr relevanter verfassungsfeindlicher Bestrebungen dient. »Es braucht für eine rechtlich tragfähige Beurteilung deshalb hinreichenden analytischen Sachverstand«, sagt PKK-Mitglied Valentin Lippmann. Daran mangelte es im Landesamt für Verfassungsschutz, stellten die Kontrolleure rückblickend fest. Diese sonst zur Verschwiegenheit verpflichtete Kontrollkommission teilte im September aber auch schon mit, dass inzwischen für einige der 38 AfD-Abgeordneten eine solche rechtssichere Belegführung erbracht werden konnte und für andere nicht, dass sogar bei der Prüfung noch weitere Abgeordnete ins Visier gerieten. Möglicherweise ist auch deshalb der AfD die Klagelust vergangen.

Erst im November will sich die PKK abschließend mit dem Fall befassen. Vielleicht äußern sich dann auch Verfassungsschutz und Innenministerium noch einmal zur sensiblen Abgeordnetenbeobachtung.
Michael Bartsch