Ein Ort, der bleibt und gedeiht

Das Kultur- und Wohnprojekt Zentralwerk wird eröffnet

Ein alter Fabrikkomplex, zwei massive Betontürme ragen in die Höhe. Blauer Himmel mit weißen Schäfchenwolken, und alles glänzt grau in grau. Wenn man draußen vor dem Gelände der ehemaligen Goehle-Werke steht, spürt man den Wind vergangener Tage, die Geschichte der zwei politischen Systeme, die diese Gebäude überstanden haben, und die Vergessenheit. Doch in dem großen Betonkomplex, der während der NS-Zeit als Rüstungsbetrieb und Außenlager des KZ Flossenbürg genutzt und in der DDR in eine Druckerei umfunktioniert wurde, weht seit ein paar Jahren ein frischer Wind. Musiker, Geisteswissenschaftler, Tänzer, Architekten, Techniker, Handwerker, Künstler und Menschen mit einer großen Vision hauchen dem 1996 stillgelegten Gebäudekomplex an der Riesaer Straße 32 seit zwei Jahren neues Leben und bunte Vielfalt ein.

Ein Platz für Jung und Alt, Kunst und Alltag, Privates und Öffentliches, für Gemeinschaft und selbstbestimmtes Leben. Ein Freiraum für kreative Ideen und kulturellen Austausch, aber auch ein Ort, der seine Geschichte nicht verleugnet und als Denkmal erhalten bleiben soll.
Veränderung, Gemeinschaft, sehr viel Kunst und Kultur, aber auch harte, schweißtreibende Arbeit stehen seit 2015 auf der Tagesordnung im Zentralwerk in Pieschen. Unterstützt wurde das Projekt des ehemaligen friedrichstadtZentral e.V. von der gemeinnützigen Stiftung trias, die das Gebäude B mit den beiden Hochbunkertürmen und das Gemeinschaftshaus F gekauft hat und das Gelände der Zentralwerk Kultur- und Wohngenossenschaft Dresden eG als Erbpacht für 99 Jahre überlässt.

Seit dem Kauf ist viel passiert. Das Gebäude B wurde entrümpelt und entkernt, neue Wände wurden eingezogen, neue Perspektiven eröffnet, die Baracke auf dem Hof wurde abgerissen, nebenbei gab es Theaterstücke, Konzerte und Kunstausstellungen, erschwingliche Ateliers und Wohnungen für Künstler, Unternehmen und Mieter entstanden. Am Eingangstor hängen nun ungeordnet zahlreiche Briefkästen – ein Graus für jeden Briefträger, für den unabhängigen Betrachter ein faszinierendes Tohuwabohu. Der ehemalige Pförtnerraum neben dem Eingangstor bleibt indes leer, kein alter grimmiger Mann mit Zigarette im Mund und Schirmmütze kontrolliert mehr, wer das Gelände betritt. Offen für die Welt, die Kultur, alternative Lebensweisen, für ansässige, aber auch internationale Künstler, das Hier und Jetzt, für Experimente, für das Chaos und die Schönheit – offen für verrückte, vielleicht auch etwas utopische Ideen, die mit viel Elan, Ehrgeiz und einer Brise Glück zur Wirklichkeit werden.

Der Weg bis hierher war lang und mühselig für die Gruppe rund um die Zentralwerk Kultur- und Wohngenossenschaft Dresden eG, aber ein großes Zwischenziel ist erreicht – das Gebäude B erstrahlt nun von innen in modernen Industrial-Chic, alle Ateliers und Wohnungen sind fast vollständig bezogen, und vieles deutet darauf hin, dass sich das Gelände in den nächsten Jahren zu einem Hot Spot der Dresdner Kreativszene entwickeln könnte. Doch obwohl der Atelier- und Wohnkomplex nun fertig ist, muss auch in Zukunft noch viel Schweiß, Blut und Geld in die Renovierungs- und Sanierungsarbeiten des vielversprechenden Mammutprojektes gesteckt werden. Am Herzstück, dem Festsaal im Gemeinschaftshaus, nagt der Zahn der Zeit. Ein neues Dach und Heizungen müssen angeschafft sowie Brandschutz- und Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden. Mittlerweile ist das Gebäude zwar vollständig entrümpelt, doch die Sanierung steckt noch in den Kinderschuhen. Das ist nicht nur bautechnisch eine große Herausforderung, sondern auch finanziell. Damit der alte Ballsaal bald wieder voller Leben erstrahlt und einen besonderen Raum für Konzerte, Lesungen, Opern, Theaterstücke und Performances bieten kann, sucht das Zentralwerk weiterhin Kulturpaten und Freunde, die finanziell dabei helfen, den Saal aus dem Dornröschenschlaf zu erwecken und ihn zu einer einzigartigen Kulturstätte zu machen.

Doch zuvor gönnt sich das Zentralwerk nach der anstrengenden und hindernisreichen Finanzierungs- und Bauphase eine kleine Verschnaufpause, um die Fertigstellung des Hauptgebäudes gebührend zu feiern. Am 5. und 6. Mai lädt die Kultur- und Wohngenossenschaft deshalb - noch etwas nichtöffentlich - alle Interessierten und Unterstützer zum gemeinsamen Feiern, Begutachten und Beschnuppern ein. Am Freitag um 11 Uhr wird die offizielle Eröffnung mit einer Zeremonie und musikalischer Umrahmung von El Perro Andaluz zelebriert. Danach gibt es zur Mittagszeit Führungen durch das Areal, und von 13 bis 16 Uhr kann man sich von der performativen Installation »Prozessing Zentralwerk« des Berliner Duos bösediva in die Schönheit des Chaos und des Absurden ins Gemeinschaftshaus entführen lassen. Am Sonnabend öffnen die Mieter des Zentralwerkes dann ihre Türen und stellen sich und ihre vielfältigen Arbeiten vor. Vom Imker bis zum Kostümbildner, vom Zen-Zentrum bis zum Performancekollektiv, von ColoRadio bis zum Chaos Computer Club, von der Wohnung bis zum Ballsaal. Es werden Performances, Tanz- und Theateraufführungen zu sehen sein, bildende Künstlerinnen, Fotografen, Handwerker und Literaten öffnen ihre Räume und stehen bereit zum Gespräch über ihr Werk und ihre Erfahrungen in der neuen Umgebung. Es lohnt sich also, einen Abstecher in die Riesaer Straße 32 zu machen und sich mit eigenen Augen von dem Projekt und der Neubelebung der ehemaligen Goehle-Werk zu überzeugen.   
Franziska Galinat

Zentralwerk Riesaer Straße 32, Eröffnung am 6. Mai
www.zentralwerk-eg.de