Empire of Fools


Das Zirkustheater-Festival Dresden beginnt am 17. Juni

Das Wort »Zirkus« hatte für mich als Kind keinen guten Klang. Immer wenn Erwachsene mit mir zur Zelt-Manege gingen – im Glauben, mir etwas Gutes zu tun – ging es mir schlecht. Die Tiere taten mir wahnsinnig leid, und wenn keine Tiere zu sehen waren, kamen die Clowns. Obwohl Stephen Kings Standardwerk zum Thema erst 1980 erschien, als ich schon Jugendlicher war, gruselte es mich schon damals. Irgendwas stimmte nicht mit diesen »Wesen«. Erst viel später lernte ich zirzensische Kunst schätzen, dann aber hatte diese ausschließlich mit menschlichem – manchmal fast überirdischem – Können zu tun. Nun also bin ich wieder gespannt, wenn das Societaetstheater mit »Empire of Fools« ein Festival in die Stadt bringt, das auf den Grenzen von »Akrobatik und Magie mit Theater, Tanz, Musik, neuen Medien und bildender Kunst« tanzt und »Andersartigkeit, Magie und Zirkustechniken« feiert.

Insgesamt elf Compagnies, Künstler:innen oder Projekte bringen ihre bunten Welten ins Zentralwerk, in die Theaterruine St. Pauli, in das Socie-Besucherzentrum sowie in ein Zirkuszelt im Alaunpark, und verwandeln so die Stadt kurz nach der OB-Wahl in ein Königreich der Narren. Titelgebend wirkt dabei die Cie. Roikkuva aus der Schweiz, die vom 22. bis 24. Juni das »Empire of Fools« im Alaunpark ausruft. Die Produktion zeigt mit viel Witz und Charme, was zeitgenössischer Zirkus heute kann, und ist doch gleichzeitig eine Hommage an den klassischen Zirkus. Da gibt es Clownerie, Seiltanz, Luftakrobatik und Jonglage – nur eben anders. Im intimen Rahmen müssen nämlich die vier alles selber machen. Hilft nichts, neben dem Keulenwerfen, auf dem Seil balancieren und musizieren, müssen sie auch ihre Dekoration schleppen, bauen und die Bar betreiben. In dieser Show wird nichts versteckt. Es gibt keine heimlichen oder von Clowns überspielten Umbauten, und Raubtiere gibt es auch keine. Nur vier Künstler*innen, mit allem, was dazugehört – ruhig, wild, verschroben und verträumt zugleich.

Eröffnet wird das Festival aber bereits am 17. Juni mit »Clown in Libertà« des italienischen Teatro Necessario. Ausgangspunkt sind die Proben dreier Clowns für eine neue Show. Wird ein Konzert? Ein Abend mit komischen Nummern? Etwa Akrobatik? Darf das Publikum entscheiden? Wahnwitz, der Genregrenzen niederreißt! Und am 18. Juni ist das Programm im Kulturbahnhof Radebeul und einen Tag später in Hoppes Hoftheater zu erleben. »Wir suchen Zufall«, heißt es dann vom 20. bis 22. Juni auf der Hauptstraße. Aus Belgien kommen dafür Mimi Wascher und Ruben Mardulier (beide Akrobatik und Tanz) sowie der Künstler und Musiker Aaron Daem zusammen. Und wie es der Titel ansagt, kann hier schlichtweg alles passieren – man sollte einfach hinkommen und neugierig sein. Und neugierig darf man ebenso darauf sein, wie der Schweizer Laurence Felber es am 20. Juni im Zentralwerk fertigbringt, mit seinem Trapez und dem Publikum zu kommunizieren – über die Sinnhaftigkeit seines Tuns im Universum: »Questions to the Endless« eben.

Schwer zu tragen haben indes Emilien Agate und Florent Finot vom französischen Cirque Rouages. Zwei Menschen, Migranten, befinden sich mit einer Kiste auf einer Odysee, die weit mehr als eine Reise ist. Zu sehen ist »Boate« ab dem 21. Juni dreimal im Socie-Besucherzentrum auf der Hauptstraße 25 sowie im Zentralwerk (22. Juni) und im Prohliszentrum (24. Juni). Mitten ins Geschehen reißt uns Klub Girko am 21. und 22. Juni im Zentralwerk mit »Responsive Round«. Es gibt Artistisches mit Bambusstangen, dann aber muss das Publikum reagieren. Wie sind die Stäbe gefallen, was macht das mit uns und ist das schon Menschenmikado? Und dann der Sound in der Round!

Nur einmal zu erleben ist Jeanine Ebnöther Trott aus der Schweiz. In »Dance me to the Ball« öffnet die Bewegungskünstlerin die Tür zu einem wundersam verspielten Tagtraum, für den sie Elemente aus Jonglage, Akrobatik, Tanz und Puppenspiel zu einer ungewöhnlichen Zirkusperformance verwebt. Zu sehen im Zentralwerk als Doppelvorstellung mit Klub Girko. Ebenfalls nur einmal gibt es die Chance für Jan Jedenak und »Mandragora«, einem zirzensischen Figuren-, Körper- und Bewegungstheater voller tiefer Bilder am 23. Juni. Die Pflanzengattung der Alraunen (Mandragora), der magische Eigenschaften zugeschrieben werden, gibt hier Anlass für eine artistische Auseinandersetzung mit Diskriminierung, Gewalterfahrung und Ausgrenzung von Homosexuellen. Auch dafür ist das Zentralwerk der Ort des Geschehens.

In die Theateruine kommt am 24. und 25. Juni das Overhead Project. Bei »My Body is your Body« sitzt sich das Publikum »gespalten« gegenüber, zwei Akrobaten und eine Tänzerin spielen dazwischen. Blicke, Sichtachsen und Symmetrien entstehen – eine Architektur der Demokratie wird in den Bühnenraum implantiert, mit neuen Perspektiven des menschlichen Körpers. Der Abschluss im Zentralwerk zeigt bildgewaltig »Wir wollen nie nie nie« mit »Raum 305. Zwei unzertrennliche Körper stranden hier in einer kalten Welt. Kaum angekommen, mischt sich ein kleiner Sonderling in ihre Zweisamkeit … Gekonntes Puppenspiel, virtuose Artistik und Tanz ziehen die Zuschauer:innen in den Bann mysteriöser Geschöpfe und ihrer kuriosen Geschichte.

Übrigens: In der Bar des Zentralwerks gibt es den Festival-Club, der am 17. Juni von Andi Valandi & Band eingeweiht und am 26. Juni von Tam Tam Combony geschlossen wird. Und es wird auch geredet – bei der »Conference of Fools«. In Panels und Podiumsgesprächen geht es im Zentralwerk um Themen wie Kooperationen, Residenzen, Festivals und natürlich den Zirkus an sich. Der Eintritt ist jeweils frei.
JH

Zirkustheater-Festival 17. bis 26. Juni, www.zirkustheater-festival.de