„Fast Forward“ unter Fast-Backwards-Bedingungen
Das diesjährige Festival junger europäischer Regie ist das vorerst letzte
Wenn es mit dem sächsischen Hungerhaushalt 2025/26 nun sogar die Staatstheater und die Staatlichen Kunstsammlungen erwischt, dann füttert die ruhmreichste Kulturnation des Universums nicht einmal mehr ihre heiligsten Kühe. Das ist ein Paradieschenwechsel oder wie das Modewort richtig heißt. Oder noch kryptischer ausgedrückt: Wenn schon keine Privilegien mehr, dann für alle nicht! Auf 7,3 Millionen Euro müssen Semperoper und Staatsschauspiel in diesem Jahr verzichten, im kommenden 2026 auf knapp sechs.
„Das ist nicht mehr auszugleichen, indem wir auf eine oder zwei Neuproduktionen in der Spielzeit verzichten“, kalkuliert Staatsschauspielintendant Joachim Klement. Auch nicht durch Kooperationen mit Partnern. „Die haben auch nichts!“ Es trifft ein Festival, das Klement bei seinem Amtsantritt in Dresden 2017 aus Braunschweig mitbrachte. „Fast Forward“ führt jedes Jahr Mitte November Entwicklungen junger Regie in Europa vor, meist von Freien Bühnen. Kuratorin Charlotte Orti von Havranek reist übers Jahr von Portugal bis Estland, schaut sich an, was Interesse verspricht und stellt ein Programm von acht Inszenierungen zusammen. Das überwiegend jüngere Publikum vergibt einen Preis, der der Jury verspricht eine Inszenierung am Staatsschauspiel in der jeweils kommenden Spielzeit.
Der anstehende 15. Jahrgang vom 13. bis 16. November muss nun der vorerst letzte sein. Die 200 000 Euro dafür hätte das Staatsschauspiel sonst aus der Portokasse bezahlt, meinte man. Das Prinzip Hoffnung auf die vor 35 Jahren versprochenen blühenden Landschaften aber will die Staats- und Stadtbühne noch nicht aufgeben. Die eineinhalb Stellen für das jährliche Viertagesprojekt will das Stdaatsschauspiel möglichst erhalten, sodass nach dem Ausfall im kommenden Jahr 2027 vielleicht wieder an die Tradition angeknüpft werden kann.
„Fast Forward“ bietet nicht vordergründig politisches Theater wie das Leipziger Festival Mitte Oktober. Aber die Kernthemen, die fundamentalen Orientierungs- und Zusammenlebenskrisen der Gegenwart drängen seit jeher hinein. Und wenn es um höchstpersönliche Bewältigungskrisen geht, spiegelt das auch indirekt unser narzisstisches und hypochondrisches Zeitalter.
Nationale Dominanzen beim jeweiligen Programm ergeben sich eher zufällig wie etwa mediterrane Züge in diesem Jahr, wenn Italiener und Südfranzosen einen starken Akzent setzen.
Das Festival beginnt gleich am Donnerstag 13. November mit dem besten italienischen Theatertext 2024 „Bidibibodibidoo“. Eine Geschichte zweier Brüder zu Coronazeiten zwischen den unversöhnlich erscheinenden Polen Kunst und Wirtschaft. Eine Anfrage auch an Aufstiegsverheißungen und Sicherheitsversprechen durch gnadenloses Konkurrenzverhalten. Inhaltlich nicht weit entfernt vom zweiten italienischen Beitrag des Kollektivs „Malmadur“. „Die größte Tragödie der Menschheit“ beschreibt einen makabren Publikumswettbewerb um die übelste Theater- und damit Menschheitstragödie. Zugleich darf man Reflexionen über Katastrophen, ihre Benutzung und Verzweckung, aber eben auch ihre Adaption durch das Theater erwarten.
Um eine Epidemie, nämlich einen überlieferten Veitstanz von 1518 mit 400 Straßburger Bürgern, geht es auch im Beitrag „Unruhe“ aus Marseille. Die Aufführung verspricht eine Art Happening, aber auch ein Sinnieren über kollektive Rauschzustände. Ein Feuerwerk ausgerechnet aus Finnland verspricht Charlotte Orti bei „Steal this performance“. Das Prinzen-Lied „Es ist alles nur geklaut“ könnte eine freie Inhaltsangabe bieten. Denn die Masterinszenierung von Pauli Patinen an der Theaterakademie Helsinki thematisiert Authentizität und Fremdaneignung bei künstlerischen Produktionen. Angeeignet hat sich, wenn man so will, der deutsche Beitrag „I love Horses“ die auch von Kleist nur dramatisch ausgeschmückte Geschichte von Michael Kohlhaas.
Bei Shakespeare wiederum nahm das Foto zweier sich im Tod umarmender Liebender aus dem Balkankrieg eine Anleihe, das als „Romeo und Julia von Sarajevo“ vor 32 Jahren um die Welt ging. Der slowenische Beitrag „Bosko & Admira“ zeigt die Geschichte hinter diesem Foto. Auch in „Last Portrait“ aus den Niederlanden verflechten zwei junge Menschen das Leben ihrer Familien miteinander. Eine wahrscheinlich stilistisch sehr interessante Inszenierung zwischen Klang, Tanz, visueller Poesie und Performance. Ein bisschen an Max Frischs „Biografie ein Spiel“ erinnert die Vorschau auf den zweiten deutschen Beitrag „Das Wetter zuhause. Ein Wohnzimmerballett“ von und mit Aleksandr Kapeliush. Ein mit Tanz und Pop gewürztes Solo, das aber auch normativen Anpassungsdruck auf abweichende Biografien in monoethnisch orientierten Gesellschaften untersucht.
Der ausgeklügelte Spielplan erlaubt erneut mindestens zwei Chancen, alle acht Inszenierungen zu sehen. Zu den gewohnten Spielorten Kleines Haus, Labortheater der HfBK und Hellerau ist die Probebühne Charlotte-Bühler-Straße nahe der alten Heeresbäckerei hinzugekommen. In Hellerau übrigens kann man zwei Wochen später an „Fast Forward“ anknüpfen. Ein Kulturforum am 28. und 29.November versammelt ebenfalls Akteure aus 15 europäischen Ländern und schlägt einen Bogen von den 1990-ern in die Gegenwart. Dabei geht es auch um die Situation freischaffender Künstlerinnen und Künstler in den europäischen Regionen. Flankiert wird dieses Forum von fünf dreiwöchigen Residenzen im Hellerauer Ostflügel und vier Theater-Kurzstücken über die 1990er.
Michael Bartsch
Fast Forward - Europäisches Festival für junge Regie 13. bis 16. November, Kleines Haus, Hellerau – Europäisches Zentrum der Künste, Labortheater der Hochschule für Bildende Künste, Hole of Fame
www.fastforw.art
