Ganz Fiel Fußball oder Das falsche Omen

Gut gespielt und doch gewonnen: Dynamo besiegt Heidenheim

Dieser Tag begann beschissen. Wie so oft – und immer an Spieltagen – trinke ich meinen Morgenkaffee aus einer Dynamo-Tasse. Doch dann das: Beim Ausspülen vom vortagigen Gebrauch bricht der Henkel ab. Ich bin weder abergläubisch oder religiös – aber das hat ja beim Thema Fußball nichts zu bedeuten. Der Zweifel ist gesät: Werde ich schuld sein, wenn … Erinnerungen an die Spiele gegen Heidenheim in der letzten Saison kommen hoch.

Im Stadion dann der Blick auf den Kaderzettel: Der schwedische Sturmturm Alexander Jerejeff gleich vorn drin, auf der Bank sitzt Luka neben Lukas, also Stor neben Röser. Moussa Koné? Fehlanzeige! Dass gleich zwei neue Offensive zum Verein gestoßen sind, dürfte ihm nicht gefallen haben, vielleicht hat sich das auf seine Trainingsleistung ausgewirkt. Nur eine Vermutung, der Trainer bleibt da nach der Partie im Vagen. 

Und sonst so? Heidenheim ist mit dem Aufwärmprogramm deutlich eher fertig als die SGD, der K ruft „Hohoho“ zu Neil Diamonds „Sweet Caroline“ und die Rasenberegnung erzeugt im Spiel mit der Sonne hübsche Regenbögen. Aahhh, kommt jetzt gleich ein Einhorn vorbei?

Die erste Halbzeit: Ball, bäller, am ballesten
Schon die ersten schwarzgelben Aktionen sind eine Ansage. Als Sascha Horvath nach wenigen Sekunden hoch presst und den Ball ins Aus kickt, kommt Applaus, als hätte er sonstwas gezaubert. Aber das zeigt: Der Wille ist da, auf dem und rund um das Grün. Kurz darauf schickt der heute extrem agile Käptn Jannik Müller Baris Atik auf die linke Strafraumseite der Ostwürttemberger, doch dessen Strahl in die Box erreicht niemanden. 120 Sekunden später klären gleich mehrere Heidenheimer gegen Patrick Ebert, auf der Gegenseite hat Kevin Broll kein Problem mit einem Otto-Schüsschen.

In Minute acht ist zum ersten Mal Haareraufen angesagt: Atik geht mit Verve und Geschick in den Sechzehner, „Schieß doch!“ rufen die einen, „Spiel doch“ die anderen. Es entsteht aber nur ein vielbeiniges Megagewusel, aus dem heraus niemand den Ball über die Linie bugsiert. Geht das denn schon wierder los? Durch das Stadion schallt „Hier regiert die SGD!“, die Heinmelf demonstriert das mit einem eindrucksvollem Ballbesitzkick. Broll, Ehlers, Müller und Wahlquist spielen sicher von hinten heraus, Nikolaou und Burnic begeistern eindrucksvoll mit Balleroberungen und Offensivgeist, während Ebert, Horvath und Atik immer wieder versuchen, Jeremejeff in der Spitze zu finden. Das klappt – bis zur Strafraumgrenze – ziemlich gut, zumal der Schwede eine Qualität hat, die seit dem Weggang von Stefan Kutschke vermisst wurde: Er steht sicher, kann auch hohe Bälle in Bedrängnis annehmen und diese an die Außenspieler weiterleiten. So entstehen immer wieder neue Gefahrenherde, mit denen Heidenheim so wohl nicht gerechnet hat. Schon Mitte der ersten Halbzeit führt Marc Schnatterer, sonst die Hauptwaffe des Gegners, eine entnervtes Gespräch mit seinem Coach. So hatten sie sich das nicht vorgestellt, wird Frank Schmid nach dem Spiel sagen.

Erst nach knapp 20 Minuten kommt der FCH nach Schnatterer-Flanke zu einem gefährlichen Kopfball, doch Broll steht sicher – wie auch bei zwei weiteren satten Schüssen auf sein Gehäuse. Überhaupt hat sich der neue Dynamo-Keeper in der zweiten Liga sichtlich akklimatisiert. Er hält, was zu halten ist, fängt Flanken ab, ist gut zu Fuß und spielt oftmals akkurate Pässe über 20, 30 Meter, das Verständnis mit der Dreierkette ist in Spiel drei der Saison fast blind.

Ab der 25. MInute hat die SGD das Geschehen wieder im Griff. Mal hebelt Atik mittels Bogenlampe die Abwehr aus, dann versucht es Horvath, Nikolaou köpft einen Eckball knapp daneben. Kurz vor der Pause liegt die Dresdner Führung in der Luft. Jeremejeff legt Horvath den Ball in der Fuß, doch der Austrianer schlägt einen Haken zuviel. Dann zeigt das Pressing der Heimelf mal wieder Wirkung. Jeremejeff geht auf den abstoßenden Müller zu, der Torwart verliert den Ball, aber der Winkel ist für den Abschluss zu spitz. Außennetz. Wo ist ein Loch im Geflecht, wenn man es braucht? #phantomtor

Die zweite Halbzeit: Glückshormone und Endstress
Dieser Durchgang beginnt mit der Befürchtung, dass es vielleicht wieder ein Spiel mit nur einer guten (aber torlosen) Halbzeit sein könnte. Zehn Minuten lang kommt der FCH in Rollen, während sich Dynamo einen Fehlpass nach dem anderen leistet. In der 52. rettet Broll mit einer Großtat nach Eckball die Null – und irgendwie ist das wohl der Wecker für so manchen Geist, der noch in der Pause weilte. Zweimal versucht es Burnic aus der Distanz, dann ist es ein weiteres Mal der unermüdliche Atik, der einen feinen Pass in die Schnittstelle spielt, und auf einmal taucht Jeremejeff frei vor dem FCH-Tor auf, doch Müller klatscht das Ding weg. Menno! Doch immerhin gibt es richtig fette Chancen, daran mangelte es ja in der Vergangenheit gewaltig.

Die Minute 64 bringt drei Wechsel, einen davon bei der Heimelf. Klingenburg kommt für Horvath. Das ist – zumal bei diesen Temperaturen – etwas überraschend, denn rund um die 60. wird eigentlich meist Ebert herausgenommen, aber Horvath ist wohl leicht angeschlagen. Bei den Heidenheimern geht ein zermürbter Schnatterer vom Platz, der sich zuletzt nur noch mit Lamentieren und Herumliegen gezeigt hat. Dafür zeigt René Klingenburg sofort, wofür er geholt wurde. Mit der Bulligkeit eines Kampfschweins (ja, das ist ein animalischer Widerspruch) geht er in die Zweikämpfe, kein Mann, gegen den zu spielen vergnügungssteuerpflichtig ist. 

Als die „Klinge“ in der 67. Minute vor dem Heidenheim-Strafraum auftaucht, kann er nur regelwidrig gelegt werde. Freistoß. Atik hatte es schon einmal in der ersten Hälfte versucht, aber drüber verzogen. Nun versucht es Patrick Ebert, zentral, etwa 20 Meter vor dem Tor. Und da ist er, der besondere Moment, der vielleicht entscheidend ist, wie Dresden in dieser Spielzeit vorankommen wird. Oder eben nicht. Ebert weiß das, auch wenn er wohl nicht daran denkt. Aber seine Erfahrung, seine Sportgene trügen nicht. Nur wenige Schritte Anlauf genügen, dann geht das Leder, beflügelt durch Eberts rechten Fuß, über die Mauer in den linken Winkel. Nicht zu halten. Soooo schön anzusehen! Einszunull! Nicht zu halten ist nun auch der Kunstschütze. Einen Bogen schlagend geht es schließlich Richtung Seitenlinie, wo Spieler und Bank ein großes Freudenknäuel bilden, Cristian Fiel mittendrin. Glückshormone brechen sich überall Bahn, und es fühlt sich auch ganz anders an als nach der kurzzeitigen Führung beim KSC. 

Jetzt soll, nun muss ein zweites Tor her. Atik prüft Müller, Klingenburg spielt Jeremejeff frei, der ein weiteres Mal am Heidenheimer Goalie scheitert. Und dessen Team scheint nun von der Rolle. Dynamo hingegen zeigt kein Nachlassen, keine Fitnessprobleme. Ballas kommt nun für Ebert, der sich den verdienten Applaus abholt. In der 82. ist es schon wieder das Laufwunder Atik, der versucht, im Strafraum gleich drei Heidenheimer zu narren, was zwar nicht gelingt, doch bei der Aktion segelt der Ball dem herbeieilenden Jeremejeff vor die Füße. Mit einer seiner langen Stelzen haut er einfach dran und per Innenpfosten tänzelt das Runde ins Eckige. Zweizunull! Alle gehen jetzt durch die Decke, denn endlich ist wieder Leben in der Box. Der gegnerische Strafraum ist endlich wieder zur Gefahrenzone geworden. Da darf sich nun auch Luca Stor probieren, der für Jeremejeff kommt.

Der FCH ist nun tot, aber Schiedsrichter Alt haucht ihm noch einmal etwas Leben ein, als er einen Zweikampf zwischen Burnic und Griesbeck als elfmeterwürdig beurteilt. Sicher rasseln die beiden zusammen, doch Burnic spitzelt den Ball durch die Beine des Gegenspielers, beide gehen dabei zu Fall. Als Alt zum Videobeweis schreitet, rechnen eigentlich alle damit, dass er seine Entscheidung zurücknimmt, doch der Referee bleibt dabei. Aber dass auf diese Entscheidung hin Dresdner Gesänge erschallen, dem Schiri die Schädeldecke einzuschlagen, ist derart unwürdig, dass es einen graust, das auch nur zu erwähnen. Und es sind nicht nur einige wenige, die hier einstimmen. Es ist schlicht eine Schande.

In der Zwischenzeit verwandelt Thomalla den Elfer zum 2:1, während Burnic behandelt wird und schließlich mit einer Trage den Platz verlässt. Das sieht schlimmer aus als es sich nach dem Spiel herausstellt. Doch Dynamo muss nun die letzten 60 Sekunden plus 4 Minuten Nachspielzeit mit einem Spieler weniger auskommen. Und da gibt es sogar noch zwei heiße Situationen. Erst läuft Stor auf das Heidenheim-Tor zu, aber Theuerkauf kann ihn am Abschluss hindern, dann rettet Broll die drei Punkte mit einem sehenswehrten Reflex.

Dann ist Schluss. Fast alle Spieler beider Mannschaften gehen vor Erschöpfung zu Boden. Dann wird bei Dresden gejubelt. Die Saison hat begonnen.

Epilog
Nach dem Spiel gehe ich in den Fanshop und erwerbe eine neue Tasse. Kurz überlege ich, die billigste zu kaufen, denn nun muss ich ja vor jedem Spiel den Henkel abbrechen – ein teurer Spaß. Dann jedoch belausche ich zufällig ein Gespräch in der Schlange – auch hier Tassenkäufer. Die Henkel brechen da andauernd ab, raunt man einander zu. Puh, es liegt also kein Fluch auf mir. Ich wähle eine Tasse von gehobener Qualität und freue mich schon auf den Pre-Darmstadt-Abendkaffee am Freitag.
Uwe Stuhrberg

SG Dynamo Dresden vs. FC Heidenheim
18. August 2019, Anstoß: 13.30 Uhr
Tore: 1:0 Ebert (68.), 2:0 Jeremejeff (82.), 2:1 Euro Thomalla (89. Elfmeter)
Dynamo Dresden: Broll, Wahlqvist, Ehlers, J. Müller, Ebert (77. Ballas), Nikolaou, Burnic, Löwe, Horvath (64. Klingenburg), Atik, Jeremejeff (84. Stor)
Schiedsrichter: Patrick Alt
Zuschauer: 26.350
www.dynamo-dresden.de