Hannover an der Leine

Beim ersten Auswärtssieg der Saison hämmert Dynamo die 96er aus der Distanz vom Platz

Es gibt einen ebenso sehr alten wie auch sehr kurzen Witz aus der niedersächsischen Kapitale: „Hannover ist die einzige Stadt, in der man eine Frau an der Leine spazieren führen kann.“ (Für geografisch Desinteressierte: Die Leine ist der Fluss, der sich durch die Stadt am Maschsee schlängelt. Für kulturell Interessierte: Man kann am Ufer auch einige der üppigen Nanas von Niki de Saint Phalle sehen.) Heute nun waren es die Kicker der Hannoveraner 96er, die an der Leine herumgeführt wurden, denn Schwarz-Gelb nahm mit einem beeindruckenden 2:0-Auswärtssieg die drei Punkte mit und ließ die Gastgeber einigermaßen ratlos zurück.

Halbzeit eins: Schrankenwärter Teixeira, Lionel Stefaniak

Ich will ganz ehrlich sein: Ich habe mit einer Niederlage gerechnet. Der Grund: Ich war mir sicher, dass eine Mannschaft wie Hannover unsere gelegentlichen Defensivschnitzer eiskalt ausnutzen würde. Gottseidank irre ich mich auch mal (Ironie!), denn es kam ganz anders.

Die erste knappe Viertelstunde lang sah ich mich allerdings in meinen Befürchtungen bestätigt: Hannover rannte an, Dresden meist nur hinterher. Gerade kam leichte Erregung auf, dass Akaki Gogia, der statt Niklas Kreuzer in der Startelf war, vielleicht nicht so der Bringer ist, da hebelt der Georgier die komplette gegnerische Abwehr aus und servierte Aias Aosman den Ball perfekt in die Füße. Und wie der Syrer so auf Philipp Tschauner zuläuft fällt mir ein, wie Bill Murray im Film „Lost in Translation“ eine japanische Prostituierte anschreit „Nicht lupfen, nicht lupfen!“, doch Aosman kann das natürlich nicht hören und lupft. Das sieht gut aus, aber der Keeper bekammt die Fingerspitzen dran und es bleibt  torlos. Vorerst.

Praktisch im Gegenzug überwindet Füllkrug wiederum Marvin Schwäbe, doch Nils Teixeira lässt auf die Linie die Schranke runter, guckt so bisschen wie „So nicht, mein Lieber“ und lenkt die Kugel zur Ecke ins Toraus. Dreimal dreht sich der Sekundenzeiger der Uhr herum, da dreht auch Gogia mal wieder auf, geht mehrfach ins Eins-gegen-Eins und wird von den Beinen geholt. Freistoß an der rechten Ecke des 16ers, Hannover stellt nur eine Zwei-Mann-Mauer. Alle, wirklich alle rechen mit einer Flanke, vielleicht denkt der Tschauner noch kurz „Der wird doch nicht ...“. Aber genau: er wird. Er ist natürlich Marvin Stefaniak, der hier mal eben den Messi macht und den Ball rechts um die Mauer zirkelt, wobei der das Spielgerät eine absolut unglaubliche Flugkurve nimmt und schlussendlich im Winkel oben rechts landet. Tor des Tages! Tor der Woche! Tor des Monats! (Bitte fahren Sie selbst fort ...)

Jetzt ist Hannover angeknockt, einen Plan B für die Wir-liegen-hinten-Situation gibt es nicht oder niemand kann sich daran erinnern. Und schon dreht sich Aosman wieder im Strafraum, bekommt aber keinen Druck hinter die Murmel. Dann nimmt Felix Klaus, der agilste Mann der 96er, in Minute 34 mal eben Anlauf und dringt links in den Dynamo-Strafraum ein – eben noch an die Physik glaubend, dass da, wo sich ein Körper befindet, kein zweiter sein kann. Diese Regel macht allerdings Marco Hartmann zunichte, indem der Katpitän die Sportart wechselt und einen Eishockey-Bodycheck ansetzt. Der sonst sehr umsichtige Schiri Sören Storks träumt aber gerade von einer Karriere in der Premiere League (Stichwort: englische Härte) und lässt laufen. Glück gehabt, durchschnauf.

Bis zur Halbzeitpause gibt es nun noch etwas Anrennen, aber so richtig bringen die Niedersachsen nichts mehr auf den Rasen, auch zwei Fernschüsse können da nichts richten.

Halbzeit zwei: Ballas hämmert, Kutsche heißblütig

Gleich mit dem Wiederanpfiff zeigt Dynamo mit dem ersten Angriff, dass hier niemand auch nur im Traum daran denkt, das Ding nur über die Zeit zu retten. In der 51. kommt dann auch Pascal Testroet (nicht Treströ, liebe Sky-Kollegen) zu einer guten Chance, doch knapp vorbei. Überhaupt ist es nicht der Tag der Strafraumstürmer, denn es mangelt an guten Flanken. Stefaniaks Hereingaben finden keine Abnehmer und Gogia, der sonst eine agile Partie abliefert, muss das noch dringend üben. Also kommt das Unheil für die Hannoveraner wieder aus der Distanz: Nach einer Hin-und-Her-Kopfballstafette fragt sich Florian Ballas „Was soll der Scheiß?“, nimmt das Ding runter, geht noch zwei Schritte und hämmert das Ding – diesmal von der anderen Straufraumseite - mit Wucht in die Maschen. Wie sagt man so schön: ein Strich.
Jetzt kommt Hannover mit noch mehr Willen, aber mit nicht genug Ideen. Dresden kontert, aber bringt es nicht gut genug zu Ende – Gogia und der eingewechselte Stefan Kutschke können ihre Chancen nicht nutzen. Dafür lädt letzterer in der 78. Minute seinen Gegner Salif Sané zu einer Trash-Talk-Runde, infolge dessen diesem wiederum die Hand ausrutscht: Kutsche Gelb, Sané Rot.

Aber durch sind die Elbestädter noch nicht. Denn Marvin Schwäbe will es noch einmal spannend machen und legt den Hannoveranern in der 83. den Ball vorm eigenen Strafraum so freundlich auf, dass Kenan Karaman allein auf den Goalie zulaufen kann. Doch der Schwäbe hatte das ja so geplant, dass er noch eine Parade zeigen kann, aber das misslingt, denn das Runde klatsch an die Latte. Damit wird es in in der HDI Arena endgültig still - ausgenommen ist natürlich der Gästeblock.

Der Rest ist Kampf: Jannik Müller ist so unauffällig gut organisiert, dass es schon wieder auffällig ist, sein Nebenmann Ballas scheint von Spiel zu Spiel zu wachsen und davor verrichten Hartmann und Lumpi mit Routine, Abgeklärtheit und Willenskraft ihr Tagwerk, dass dem Gegner Angst und Bange werden könnte. Schade nur, dass sich Aias Aosman nicht mit einem Tor belohnt hat. Aber warum sollte heute schon etwas schade sein.

Nun ist das Gerede groß, dass die SG Dynamo Dresden in der zweiten Liga endlich angekommen sei. Dem kann man nur entgegnen: Wir sind schon lange da. Und vielleicht reisen die Schachter am kommenden Sonntag genau im richtigen Moment an ...
Uwe Stuhrberg

Hannover 96 vs. Dynamo Dresden 0:2 11. September 2016, Anstoß: 13.30 Uhr
Tore: 0:1 Stefaniak (18.), 0:2 Ballas (57.)
Dynamo Dresden: Schwäbe, Teixeira, J. Müller, Ballas, F. Müller, Hartmann, Aosman, Lambertz , Gogia (72. Konrad), Testroet (64. Kutschke), Stefaniak (76. Kreuzer)
Schiedsrichter: Sören Storks
Zuschauer: 39.200
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