Herrmanns Schlacht
Dynamo Dresden holt in Bielefeld die ersten Punkte der Saison
Zwei Spiele allerknäppst verloren, im Pokal ebenso eng raus – inklusive ver“schossenem“ Strafstoß. Alles scheint angerichtet für eine Spielzeit von Pleiten, Pech und Pannen. Zwar attestieren die socceraffinen Datenkraken der SGD allerbeste Werte in Sachen Pass, Ballbesitz oder Abschlüssen – nur die Anzeigetafeln sagen etwas ganz anderes. Fußball ist eben doch ein Ergebnissport, ein Claim, dessen Copyright übrigens ungeklärt ist. Aus dem Verein heraus kommen die üblichen Sentenzen, die man als Mutmacherei oder aber als Durchhalteparolen sehen kann. Stimmungsbild real: Ein Punkt auf der Alm wäre ja ein Anfang.
Thomas Stamm jedenfalls, äußerlich die Ruhe selbst und stets schützend vor seinem Team, ändert erstmal nichts bei den Absolute Beginners, einen „richtigen“ Stürmer gibt es nach wie vor nicht in Gelb. Ja, genau, nur Gelb, denn beim DSC wird ganz in Yellow aufgelaufen in einem Stadion, dass nach einem Bauzulieferer benannt ist. Und es ist jener Platz, an dem in der letzten Saison die Meisterschaft via Eigentor verloren wurde. Aber wenn kümmert das heute noch? Na ja, mich.
Die erste Halbzeit: St. Niklas mit Bescherung
Die ersten 20 Minuten sind nicht hübsch anzusehen, aber zeigen: Dynamo schleppt die kleine Negativserie offensichtlich nicht in einem Rucksack herum. Zwar kommt offensiv nicht allzu viel herum, aber das sieht beim DSC nicht anders aus. Zwischen den Strafräumen wird Fußball regelrecht gearbeitet, kein Grashalm wird hergeschenkt. Erste Freistöße und Ecken werden beiderseitig konsequent verteidigt, »no pasarán« lautet die Losung des Tages. Insgesamt zeigt sich die SGD dabei aber besser im Spiel, hält den Ball gut weg vom Tor, defensiv gibt es da nichts zu mäkeln. Es herrscht eine gute Körperlichkeit auf dem Platz, wobei unser neuer Abräum-Hero Amoako diesmal sogar noch einen Tick weit offensiver agieren und gar einen Eckball erzwingen kann, weil die Kollegen hinter ihm die Räume safe halten. Überhaupt ist die Aufteilung zwischen ihm und Sapina bereits sehr gut.
Ein erster leiser Hauch von Torgefahr entfaltet sich nach 20 Minuten, als Fröling vor dem Heimtor am höchsten steigt, aber dem sacht getretenen Leder nicht die nötige Wucht geben kann. Gehalten. Bielefeld jetzt mit bedächtigem Spielaufbau, Abwurf, Pass. Doch dann Handwerker mit schlechtem Handwerk. Da Fröling sehr hoch steht, scheint ihm ein Querpass vor dem Tor zu gefährlich und so beschwört er die Gefahr auf anderem Wege herbei. Beim Versuch, das Runde zwischen den anlaufenden Hauptmann und Risch durchzuspitzeln, schießt er einen eigenen Spieler an, sodass sich Risch (auf der rechten Seite!) den Ball schnappen kann. Und jetzt geht es für den DSC zu schnell, also ganz doll viel zu schnell. Risch auf Sapina, der sofort vom Mittelkreis scharf und flach Fröling bedient, der wiederum Kother in seinem Rücken weiß. Annahme, halbe Drehung nach links und Pass nach außen. Und Kother, in heftiger Bedrängnis, lässt einfach durch, denn da ist ja noch Kapitän Hauptmann, der nach einem Superhirn-Laufweg auf ganz links auftaucht, wo er doch vor eine Sekunde noch wo ganz anders war. Er hat es geahnt, nein, er hat es gewusst. One touch mit Auge und Gefühl schiebt er aus zwölf Metern den Ball ins Netz – durch Beine, an Körpern vorbei. Zum ersten Mal führt die SGD in dieser Saison, beschert von St. Niklas. Einszunull. Ach nee, Nullzueins.
Das schiebt die Bielefelder jetzt etwas von der Rolle. Minutenlang gibt es Fehlpässe, Bälle ins Nichts, schlechte Laune. Erst nach 25 Minuten kann sich Mitch Kniat die erste Chance seiner Mannschaft notieren, aber den Winkelschuss von Grodowski patscht Schreiber zum eigenen Mann, während Amoako den Rebound mit einem kleinen Bodycheck entschärft. Ganz steil dagegen geht wenig später Thomas Stamm, der bei einem Zweikampf zwischen Lemmer und Handwerker direkt vor seinen Augen kein Foul sah und den Pfiff von Referee Tom Bauer mit einem kleinen Wuttänzchen quittiert, wofür es statt Wertungsnoten eine gelbe Karte gibt.
Die Heimelf hat nun etwas mehr vom Geschehen, aber die Gelbhemden immer mit dem Auge für sich bietende Lücken. So stürmt Hauptmann über den halben Platz, kann aber im Liegen Fröling nicht mehr erreichen. Dann wieder schlägt Lemmer einen feinen Haken im Strafraum, schießt aber danach deutlich ins obere Stockwerk. Das Glück ist dem flinken Außenbahner einfach noch nicht hold, vielleicht will er es auch einfach zu sehr und steht sich mental etwas im Weg. Denn, dass er es besser kann, weiß man ja.
Aber die Elf aus der Ravensberger Mulde will unbedingt noch vor der 45. Minute den Ausgleich. Der Druck wächst, die Bälle werden nur noch hinten rausgedroschen, sind daher zu schnell wieder beim Gegner. Trotzdem bleibt die Defensive stabil, wird vielbeinig gearbeitet, kleine Patzer bügelt der nächste aus. Und die letzten Minuten vor dem Pausenpfiff agiert die Gastelf wieder sicherer, kommt auch in die andere Hälfte, lässt die Zeit verrinnen zur Halbzeitführung.
Die zweite Halbzeit: Ist das Kunst?
Den Auftakt in die zweite Hälfte hat Amoako, der über den ganzen Platz wie ein heißes Messer durch die Butter geht, aber vor dem Strafraum etwas zu spät auf Kother spielt. Gute Situation, nicht gut beendet. Aber jetzt geht es hin und her. Fröling püft Oppermann, Risch drischt in den Himmel. Grodowski, ja immer wieder der, donnert über Schreibers Balken. Risch verpasst auf der anderen Seite um Zentimeter. Amoako grätscht und spielt im Liegen weiter, dann schon wieder Grodowski.
Und dann kommt er doch wieder, der eine defensive Patzer. Einen sehr langen Ball vom DSC-Torhüter fängt Risch mit der Brust ab, gerät dann aber auf dem Weg zur eigenen Eckfahne in die Bredouille. Er kann jetzt versuchen, seinen blauen Schatten anzuschießen oder einfach ins Aus spielen. Auf keinen Fall sollte man hier einen Pass blind nach hinten schicken, wenn man nicht weiß, dass da ein Kollege steht. Aber Risch tut es doch und da ist nur ein Blauer. Es folgt der Heber über den Strafraum, wo auf der anderen Seite – natürlich – Grodowski angerauscht kommt und am verduzten Faber vorbei in die Maschen trifft. Schreiber kann da nichts ausrichten. Ausgleich. Ach menno …
Jetzt wogt das Geschehen mal hierhin, mal dorthin, es wird auch wilder, emotionaler. Kother dreht auf, geht in den Strafraum, fällt, steht auf, wird gefoult. Stamm regiert mit einem Dreifachwechsel: Menzel, Casar und Kutschke rein für Hauptmann, Fröling und den etwas angeknacksten Amoako. Ein Bielefelder Kopfball rauscht knapp vorbei, im Gegenzug wieder Kother gut in den 16er, aber er erreicht keinen eigenen Mann im Rückraum. Nach einer DSC-Ecke rauschen Freund und Feind am Ball vorbei. Und auch einen Abschlag-Patzer von Schreiber kann die Almelf nicht nutzen. Die Wildwest-Atmo entlädt sich in einem Trashtalk zwischen Bünning und Kania (you know, der Mann, der nicht nach DD wollte). Jetzt immer wieder Kother, Lemmer, Kother, Lemmer. Atemlos durch den Nachmittag, Oehmichen kommt für Kother, was etwas überraschend ist.
75. Minute. Ein laaaanger Pass in die Spitze, wo plötzlich Oehmichen und Kutschke zwei gegen einen laufen. Oehmichen, gerademal 174 Zentimeter groß, legt per kopf geschickt auf Kutschke ab, der jetzt am Halbkreis freie Bahn hat. Doch Lannert latscht ihm hinten rein. Klares Foul und rote Karte. Der VAR sieht das anders und Tom Bauer geht zum Fernseher und schaut es sich als Serie bei Netflix noch mal an. Alle denken jetzt, der Schiedsrichter nimmt die rote zurück. Aber nein, er bleibt dabei. Und da stelle ich mich mal gegen die Mehrzahl der Kommentatoren: Diese Entscheidung ist richtig. Kutschke wird klar am Schuss gehindert, kein anderer Verteidiger hätte das verhindern können. Und selbst wenn der Dresdner Stürmer noch zwei, drei Schritte gelaufen wäre – die sich nahenden Almser wären da nicht rangekommen, was man klar an deren Laufwegen und Geschwindigkeiten sieht. Und die Ansicht, dass es ja ein Fehler sein muss, wenn der VAR zum Gucken bittet, ist ein Treppenwitz. Bleibt noch der Freistoß: Lemmer will ihn in den Knick links oben ziehen, doch verfehlt diesen nur unweit.
Das Ganze ist jetzt erst recht eine wilde Fahrt. Kutschke mit einem Kopball am langen Pfosten vorbei, Melem kontert und vergibt aus bester Position fast frei vor Schreiber kläglichst meterweit vorbei. Nur Sekunden später der Torschrei im gelben Block. Oehmichen erhascht eine eigentlich verunglückte Flanke an der linken Strafraumseite, bedient Kutschke, der zentral aus zehn Meter einschiebt. Aber ach, aber ach. Am Ende der Nahrunsgkette steht Menzel im Abseits. Bleibt er weg, kann man es als passiv werten. Doch er geht zum Ball – kein Tor. Kutschke nimmts beim Schiri-Talk mit Humor. Herrmann kommt in der 85. Minute für Lemmer ins Spiel.
Aber das Ding wirkt jetzt wie ein Sturmsignal. Es sind noch fünf Minuten plus Nachspielzeit. Und das sind elf Minuten! Es spielt nur noch Dynamo, geschossen wir aus allen Lagen. Kutschke kontert allein mit bemerkenswertem Speed, sein Kracher fliegt nur knapp am langen Pfosten vorbei. Casar zieht gleich zweimal ab, geblockt und gehalten. Kutschke mit einem Kopfball vorbei. Der DSC hat gegen diese Brechstange nichts mehr entgegenzusetzen, es soll nur noch der Punkt über die Zeit gerettet werden. Aber auch Dynamo läuft die Zeit weg. Von den elf Minuten der Overtime sind bereits zehn verronnen. Sapina gibt raus auf rechts zu Faber, und der sieht Herrmann relativ frei mittig im Strafraum. Man möge einmal die Fußhaltung von Konrad Faber bei der nun folgenden Hereingabe beachten: fein unterschnibbelte Einstellung auf „butterweich“ und gut handlebar. Herrmann dreht sich mit dem Rücken zum Tor, hat den Ball gut im Blick und sieht nur eine Möglichkeit: Fallrückzieher. Obwohl mittlerweile ein blaues Quartett um ihn herumsteht, zirkelt der Rückkehrer im Flug und per rechtem Fuß das Runde ins Eckige. Vor Fassungslosigkeit weiß man auf dem Grün fast nicht wohin mit dem Jubel, Risch sinkt einfach nur zusammen, Herrmann selbst kann es wohl selbst nicht so recht fassen. Die Bilder von Zlatko Dedic und Patrick Schmidt tauchen in der Erinnerung auf. Ist das Kunst oder ist das Kunst? Einszuzwei, und nur noch kurze Zeit zu gehen. Ein Freistoß ist noch zu überstehen, dann ist Schluss. Auswärtssieg! Auswärtssieg! Auswärtssieg! So hat Dynamo dieses Spiel nicht einfach gezogen, sondern gar fallrückgezogen. Schalke kann kommen.
Uwe Stuhrberg
DSC Arminia Bielefeld vs SG Dynamo Dresden 1:2
24. August 2025, Anstoß: 13.30 Uhr
Tore: 0:1 Hauptmann (21.), 1:1 Grodowski (57.), 1:2 Herrmann (90.+10)
Dynamo Dresden: Schreiber, Faber, Boeder, Bünning, Risch, Sapina, Amoako (60. Casar), Fröling, Lemmer (85. Herrmann), Kother (72. Oehmichen), Hauptmann (60. Menzel), Fröling (60. Kutschke)
Ohne Einsatz: Grill, Kammerknecht, Kubatta, Marx
Schiedsrichter: Tom Bauer
Fans: 26.075 (ausverkauft)
www.dynamo-dresden.de