Juwel auf dem Grünen Hügel

In Hellerau wird eine Saison 
voller Vielfalt und Überraschungen geplant

 

Ein Satellit sei Hellerau, ein »fliegendes Raumlabor, das unser Elbtal umkreist«. Bildgewaltig hat Dresdens Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch unlängst darauf eingestimmt, was im Festspielhaus in der Spielzeit 2022/23 zu erwarten sein soll. Hellerau als Heimat für die regionale und internationale freie Szene würde den Anspruch Dresdens als Forschungs- und Wissenschaftsstadt enorm bereichern, meinte die Politikerin, und solle »die Fragen unserer Gesellschaft künstlerisch beantworten«. In der Stadt müsse dringend kommuniziert werden, »welches Juwel wir auf unserem Grünen Hügel haben«!

Ein kulturpolitischer Einstieg, den Intendantin Carena Schlewitt mit einem Rückblick auf eine intensive Saison unterlegt hat, um in der Vorschau umgehend von einem schieren Feuerwerk an Produktionen, Koproduktionen, Vernetzungen sowie von neuen und nachzuholenden Projekten inhaltlich zu werden. Bei aller erwartbaren Vielfalt mochte auch sie sich erst einmal nur auf eine Auswahl beschränken, denn das Programm ab kommenden Herbst ist prallvoll gefüllt mit Offerten in Sachen Tanz, Musik, Theater und – soweit möglich – auch mit Begegnung.

Den Auftakt setzt am 11. September pünktlich zum Tag des offenen Denkmals das Festival »Come Together«, in dem es um Fragen von Gemeinschaft, Fürsorge und Empathie gehen soll. Die schottische Künstlerin Claire Cunningham sowie der US-Amerikaner Jess Curtis wollen darin das Publikum zu einem – pandemiegemäß abstandsvollen – Tanz-Dialog einladen. Gleich darauf im Oktober analysiert die erste Biennale »Hybrid« künstlerische Positionen an den Schnittstellen zwischen analogen und digitalen sowie darstellenden und bildenden Künsten. Gemeinsam mit zahlreichen Gästen begeht die »go plastic company« ihr zehnjähriges Bestehen.

Besonders wichtig sind der Intendantin und ihrem Team sogenannte Querschnittsthemen wie Inklusion und Nachhaltigkeit. Dazu zählen Barrierefreiheit sowie spezielle Führungen für Hör- und Sehgeschädigte. Folglich soll es taktile und akus­tische Offerten geben. Anstelle von aufwendigen Exklusivgastspielen werde künftig darauf geachtet, sie in ohnehin schon bestehende Tourpläne einzubinden, um Kosten zu sparen und den ökologischen Fußabdruck zu reduzieren. Selbst hinsichtlich der Druckerzeugnisse und anderer Materialien werde umgesteuert. Der »Grüne Hügel« rückt damit ganz nah an den Puls der Zeit, um tatsächlich grüner zu werden.

Darüber hinaus stehen im Festspielhaus Premieren der freien darstellenden Künste, reichlich Musik sowie Tanz- und Performancegastspiele auf dem Programm. Um Fragen von Verständigung und Bewegung geht es der israelischen Künstlerin Yasmeen Godder, die in drei miteinander verwobenen Stücken Empathie in ihren verschiedenen Ausprägungen ausloten soll. Die ungarische Choreografin Boglárka Börcök wird sich in »Figuring Age« hautnah und authentisch mit den körperlichen Auswirkungen des Alterns beschäftigen.

Auf musikalische Schwerpunkte der neuen Saison verwies Dramaturg Moritz Lobeck, dem die Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik so sehr Herzenssache sind, dass er sie auch in diesem traditionsreichen Titel widergespiegelt sehen will. Sie sollen künftig eine engere Verbindung mit den Moderne-Zentren Frankfurt/Main und Darmstadt eingehen. Ebenso wird das erst 2018 ins Leben gerufene Festival »4:3 Kammer Musik Neu« dem Auskundschaften zeitgenössischer Klangwelten verpflichtet sein und in der kommenden Spielzeit ausgewählte Stipendiaten und Preisträger der Villa Massimo in Rom aus den Jahren 2020 bis 2022 vorstellen.

Mehr denn je ist die Zahl der Festivals im Festspielhaus kaum zu beziffern. Das »Watch out! Festival für Jung und Alt« beispielsweise wird im Zeichen von »explore dance«, dem bundesweiten Netzwerk Tanz für junges Publikum, mobile Tanzproduktionen und flexible Tanzstücke beinhalten, um sie auch abseits klassischer Theaterbühnen etwa in Schulen, Museen oder Kulturzentren umsetzen zu können. Bestehende und bestens bewährte Kooperationen etwa mit der Sächsischen Staatskapelle, den Dresdner Musikfestspielen und dem Heinrich-Schütz-Konservatorium sollen ebenso fortgesetzt werden wie die etablierten Reihen vom jazzigen »Feature-Ring« bis zum »Dienstagssalon« mit Max Rademann. Ebenso gilt der international ausgelobte Fotografie-Wettbewerb »Portraits« längst als feste Größe.

Carena Schlewitt musste zwar seit Beginn der Pandemie ebenso wie sämtliche anderen Veranstalter auch spürbare Publikumsrückgänge konstatieren, konnte nun aber feststellen, dass die nach Kultur dürstenden Menschen wieder zurückkämen, wenngleich die vorpandemischen Besucherzahlen noch längst nicht erreicht seien. Die Intendantin empfinde einen immensen Vorteil darin, dass Hellerau eine derartige künstlerische Bandbreite bieten kann. Dadurch würden sehr unterschiedliche Publikumsschichten angesprochen. Ein Vorteil, den Annekatrin Klepsch so formuliert: »Hellerau bietet das, was die Innenstadt-Tempel nicht bieten.«
Michael Ernst

www.hellerau.org