Kai aus der Kiste

Ein Koch in permanenter Aktion

Hosterwitz, Pillnitzer Landstraße 301. Nicht unbedingt der Hotspot des gesellschaftlichen Lebens. Hier ist Bauer Robert Rüdiger Herr des Geschehens. Wer ihn auf dem Traktor über das Gelände tuckern sieht, weiß: Ein Mann in seiner Welt, Obst ist sein Gemüse. Zwischen den Feldern sofort sichtbar befindet sich der Hofladen, der mit seinem großen und gesunden Angebot nicht nur die Anwohner der umliegenden Stadtteile anzieht, nunmehr allerdings mit Maske und viele behandschuht. Aber da ist seit Mitte März noch etwas: Ein schnuckelig hergemachter Verkaufscontainer, ein paar Cases mit ausgestellter Ware und – etwas versteckt – ein Herd. Hier hat Kai Kochan, seit sieben Jahren Koch im Einzelkämpfermodus, ein neues Refugium aufgebaut, ein Ruhepol in aufgeregten Pandemie-Zeiten, ein Platz zum Entspannen, Durchatmen und gern auch für eine Quatscherei – abstandssicher natürlich.

»Das letzte Catering hatte ich am 12. März bei einer Firmenfeier, danach war einfach ein Nichts«, erzählt Kochan. »Also übernahm ich am 13. März hier beim Obstbauern Rüdiger die Mitarbeiterversorgung. Weil Ostern nahte, habe ich mir überlegt, Osterkörbe in verschiedenen Größen zum Bestellen und Liefern anzubieten.« Dann war Ostern vorbei, die Nachfrage aber blieb. »Inzwischen packe ich mehrere Körbe pro Tag.« Diese sind vollgepackt mit Semmeln und Brot von Wippler, Wein von Vinello, Koffeinhaltigem von der Dresdner Kaffeerösterei, Obst von nebenan, Kräutersalz, Quittengelee … und CDs vom Sweetwater Record Store. Das Prozedere ist denkbar einfach: anrufen oder mailen (sehe unten), Wunschpreis und Körbchengröße ansagen (ab 20 Euro), Liefertermin ausmachen (das Bringen kostet 6 Euro extra). Wer also irgendwem mit einer besonderen Aufmerksamkeit danken will, hat hiermit eine gute Möglichkeit.

Was aber macht ein Koch, wenn das Kernbusiness auf Sparflamme gart? Zum Tag meines Besuches hätte Kai Kochan eigentlich ein kleines Catering für den 28. April vorbereitet, das – wie alles andere – ausgefallen ist. »Der Kunde kam zu mir und hat die Rechnung trotzdem bezahlt. Ich habe die 150 Euro dann der Gemeinde gespendet, weil ich das ja nicht erarbeitet habe. Aber die Geste an sich ist fantastisch. Was ich jetzt hier mache, ist zwar weit entfernt von Geldverdienen, aber ich komme klar, bin vor allem beschäftigt und mir sicher, dass ich später daraus ein Geschäft machen kann«, meint Kochan.

Schon mit zwölf Jahren kannte der kleine Kai übrigens seine Berufung: Koch werden. Die Lehrjahre verbrachte er ab 1984 unweit vom heutigen Standort in der Elbterrasse Wachwitz. Als Wehrdienstverweigerer musste er als Bausoldat arbeiten, nach dieser nicht einfachen Zeit bereitete er im Café Kästner Speisen zu, wurde Küchenchef. Doch als die Mauer fiel, war Kai Kochan weg. Erst im Westen, dann in der Schweiz lernte er, ein weltläufiger Koch zu werden, der einen eigenen Stil entwickelt. Wieder in Dresden, war er Mitgründer und Beteiligter verschiedener Unternehmen – aber 2014 besann er sich auf sich selbst. Er wandte der organisierten Gastronomie den Rücken zu und wurde Privatkoch. Seitdem wird er von Gesellschaften angeheuert, ebenso wie für Abende zu zweit. Seine Person und seine Herdkunst mit den Vorstellungen der Gäste in Einklang zu bringen, ist die große Herausforderung, der sich Kochan mit größtem Vergnügen stellt. Nur nicht jetzt.

Also entstand fast über Nacht die Idee mit Kai und der Kiste. Das beständig wechselnde Angebot umfasst vor allem Regionalica, aber auch Internationales. Ein kleiner Schwerpunkt ist Portugal, da die Kochan-Mama 20 Jahre dort lebte. Seife und Bier von dort gibt es zum Beispiel, aber ebenso Buschpfeffer aus Nigeria, Produkte aus der Ukraine oder Hals-Mund-Tücher von Diamir Reisen. Außerdem veredelt der Gastronom Olivenöl von San. Michele mit eigenen Zutaten wie Obstler, Gin, Kräutern oder Grünkohl. Oder er macht eigenes Pesto. Oder kocht Eier mit Glasnudeln. Man kann aber auch die neue CD der Freunde der Italienischen Oper erwerben, ebenso wie die »Melange« von Ilse Bähnert aka Tom Pauls. Alles ist irgendwie in Bewegung. »Hier passieren Dinge, die ich mir vorher nie ausgemalt hätte«, lacht der Koch Kochan und zeigt auf das Angebot mit Huß-Eis.

Ein Renner ist das 2016 erschienene Kochbuch »Sachsen tafeln auf«, das Kochan gemeinsam mit dem Autor Peter Ufer schrieb. Die unverhoffte Renaissance wundert ihn nicht: »Die Leute haben momentan viel mehr Zeit zum Kochen – und hier wurde wir jede Menge Regionales zusammengefasst.« Die Idee für eine Fortsetzung reift gerade. Überhaupt ist das Kochans Mantra: Aus dem Jetzt für das Morgen schöpfen, nicht stehenbleiben, sich immer wieder verändern und neu erfinden. Jetzt lernt er von einem guten Freund das Klavierspielen.

Inzwischen ist Kais Platz an die Erdbeerfelder gerückt, es gibt mehr Wiese, mehr Sitzgelegenheiten und in einem großen Kremserwagen sogar eine Regenvariante. Für den Sommer sind Dinge geplant, die noch nicht verraten werden. Es ist einfach ein place in progress mit einem Koch in permanenter Aktion.

So ist »Kai aus der Kiste« viel mehr als nur ein Einkaufsort am Rande der Stadt mit Charme und Persönlichkeit, es ist ein aufblühendes Netzwerk aus Menschen, Aktionen und Ideen, das schon jetzt weit in die Zeit nach Corona reicht. Und wenn es Kai Kochan an etwas nicht mangelt, dann an Ideen. Man wird sich über diesen Platz am Hofladen noch wundern. Darauf einen Kaisini und ein Sagres. Was das ist? An der Kiste bekommt man es heraus. Saúde!
Uwe Stuhrberg

Kai aus der Kiste Montag bis Freitag von 12 bis 17 Uhr 
(bei schönem Wetter), Hoifladen Pillnitzer Landstraße 301, 
0172-3477333, kai@kochan.net, www.kaikochan.net