Kein Erbarmen

Die SGD schickt Halle mit 7:1 fast ans Ende der Tabelle

Foto: SG Dynamo Dresden

Tja, was soll man sagen nach so einem Nachmittag und einem Ergebnis, das an Schland versus Brasilien erinnert? Zu erwarten war das so sicher nicht, aber mit der Erwartung ist es im Fußball eben so eine Sache: Mathematisch sicher ist am Ende nur das Zählen der Punkte und Tore, alles andere liegt eben „auf dem Platz“. Und da war die Devise für Dynamo „Alles geht“, während bei den Gästen Murphys Gesetz tonangebend war: „Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen.“

Dabei passierte den Gästen schon der erste Fehler bei der Ankündigung ihres Last-Minute-Neuzugangs auf der Vorab-Pressekonferenz. Denn der HFC-Pressesprecher sprach den Vornamen von Ex-Dynamo Erich Berko wie Erich aus und nicht wir Eric. Man darf ja wissen, dass die Berko-Mama ihren Sprössling seinerzeit Eric nennen wollte, und nur der Fail einer Krankenschwester das h hinzugefügt hat. Seinen Platz fand Berko vorerst auf der Bank, während der Neue im Kader der Dynamischen, Torwart Kevin Broll, war diesmal noch nicht im Kader gelistet war. Ein wenig überraschend fanden sich dafür Niklas Hauptmann und Paul Will in der Startelf, die beim Pressetermin als eher krank vermeldet wurden. Wunderheilung oder Nebelkerze? Markus Anfang wird sich was gedacht haben.

Die Frage war natürlich: Was passiert nach den zwei Auswärtssiegen, denn eine Serie ist es erst ab drei gewonnen Partien. Zudem zeigt die bisherige Heimbilanz die Harbig-Schüssel nicht gerade als Festung. Und dann wurden auch wieder Trainer entlassen, sowohl vom letzten als auch vom neuen Gegner. Viel Raum also für „Was wäre wenn?“

Wenig Raum gab es hingegen im K-Block, der mit einer wunderbaren Choreo der ewigen Nummer 3 gedachte und mit lauten Dixie-Dörner-Rufen für einen Gänsehaut-Moment sorgte samt Banner „Verdienter Meister des Sports“.

Die erste Halbzeit: Halle spielt, Dynamo führt

Zum Anstoß hat Dynamo das übergroße Libero-Bild als Rückenstärkung und der HFC hat den Ball. Jedes Team führt sich mit einem Fehlpass ein, während noch immer „Dixie“-Rufe durch das Stadion hallen. Dann zeigt wiederum jede Mannschaft, wie man eine Chance vergeigt: In Minute zwei verpasst Landgraf eine Flanke von Kreuzer, nur Sekunden später misslingt eine Dynamo-Robbery-Ecke komplett und führt zu einem Konter, dem Tim Knipping ein forsches Ende breitet. Derweil entwickelt sich zwischen dem K- und dem vollen Gästeblock ein wunderbares Gesangsduell.

Noch bevor der Minutenzähler die 10 erreicht, ist auf dem Platz mächtig was los. Ein schlampiger Pass von Knipping auf Christian Joe Conteh führt zum schnellen aber es wird schlecht gezeigt. Dann schickt Stefan Drljaca Conteh perfekt auf die Reise, doch an der Strafraumgrenze legt sich der Stürmer den Ball zu weit vor. Haareraufen! Aber keine Zeit, sich zu ärgern, denn nur Augenblicke später liegt der Ball im Tor: Dennis Borkowski lässt am Fünfer alle stehen, sein Schuss wird vom Hallenser Torwart (dessen Namen wir aus Mitleidsgründen nicht nennen) gehalten, aber Stefen Kutschke schiebt den Abpraller über die Linie. Doch der Linienrichter fuchtelt mit der Fahne, und wir nicht den 1. Mai haben, bedeutet das Abseits. Doch keine Atempause, Geschichte wird gemacht: Noch in Minute 9 wackelt das Netz wieder, denn der Kutschke macht es eben gleich noch einmal: Eine scharfe Flanke von Max Kulke schädelt das Sturmungetüm hat Richtung Goalie, der nur ungenügend an das Leder kommt und so steht es 1:0. Sehenswert ist aber hier vor allem auch die Ballbehauptung von Borkowski, der mit einem feinen Schlenker ein Rothemd austrickst und so Kulke in den freien Raum schicken kann. Was noch auffällt: Kutschkes Obertrikotage sieht schon jetzt aus wie bei anderen nach 90 Minuten.

So, und jetzt weiter, immer weiter. Denkste! Mit der SGD-Führung zieht sich Schwarz-Gelb weitestgehend den Offensiv-Stecker. Schon in der 11. verhindert Drljaca mit einer Großtat den Ausgleich. Und ab da spielen nur noch die Saalestädter mit dem Mut der Verzweiflung, das Tabellenende im Nacken. Flanken, Ecken, Freistöße segeln herein, aber es fehlt am Ende immer das gewisse Etwas, um die Dresdner Defensive auszuknocken. Nach einer reichlichen halben Stunde geht das aber schief, also fast: Obwohl allein auf weiter Flur scheitert Bolyki am Dresdner Torhüter, der eine weitere Mega-Reaktion zeigt.

Das kann so nicht lange weiter gut gehen, und um ein Einszunull über die Zeit zu bringen, ist schlichtweg noch zu viel Zeit auf der Uhr. Da ist es immer wieder Conteh, der sich zeigt. Doch ein ums andere Mal ist der läuferische Ansatz furios, der Ertrag am Ende jedoch mager. Letzter Pass ungenau, Schuss zu lahm, kein Auge für den Nebenmann. Okay, dann lasst uns wenigstens die knappe Führung mit in die Kabine nehmen. Aber weit gefehlt. Als hätte die SGD nur auf den für den Gegner „psychologisch ungünstigen Zeitpunkt“ gewartet, wird das Spiel noch vor der Pause quasi entschieden.

Ahmet Arslan, bis dahin nur bedingt auffällig, schickt einen 340-Meter-Pass in die Spitze, wo Conteh ohne Abseits alle hinter sich lässt, mit der Brust gleichzeitig annimmt und abschirmt und dem Torwart keine Chance lässt. Bämm! Was ist denn hier los, wo kam das denn her? Zwei Tore Vorsprung zur Pause! Aber das war es noch immer nicht. Als Halles Samson in der Nachspielzeit Arslan umhaut, sieht er dafür nicht nur Gelb, nein, sein ganzes Team wird mit dem 3:0 bestraft. Denn besagter Arslan jagt den Ball aus 25,45 Metern direkt links oben in den Winkel. Jetzt steht alles Kopf, das eckige Rund kriegt sich nicht ein und die Journalisten von der Saale sind noch im Pausenraum der Presse fassungslos über das, was sich da soeben abgespielt hat. Dass ein Feuerwerkskörper aus dem Gästeblock inmitten Dresdner Fans gelandet ist, habe ich deshalb nicht mitbekommen. Ich hoffe, den Verletzten geht es inzwischen wieder gut. Was für eine asoziale Aktion!

Die zweite Halbzeit: Effektive Dynamik

Die Anhaltiner kommen mit Mut aus der Kabine und bekommen schon nach zwei Minuten einen Freistoß, fast baugleich mit dem von Arslan. Nun wissen wir, dass auch Kreuzer sowas kann, aber er muss stehenbleiben und zusehen, wie Omladic das Runde in die Mauer semmelt. Und dann fällt es doch, das Gegentor. Und – mit Ansage – kommt die Gefahr über die Kulke-Seite. Schon in den letzten Spielen klafften hier immer wieder zu große Lücken. So kann Bolyki ungestört auf den Langen flanken, wo der ansonsten agile Melichenko eine Art Sicherheitsabstand zu Zimmerschmied einhält. Kopfball, 3:1, da kann Drljaca nix mehr ausrichten. Was, wenn Halle jetzt das zweite macht? Jetzt ist Spielverlagerung weg vom Tor angesagt. Hauptmann und Arslan halten da mal ein kleines Pass-Festival ab, schicken dann Borkowski, der aber in gleich vier Rote reinrennt.

Ziemlich abrupt entschwinden dann alle Halleschen Hoffnungen in weit entfernte Sphären, wo nur noch der Halleysche Komet zu finden ist. Borkowski spielt quer nach rechts, wo verlassen sein Kollege Kutschke steht, alle Zeit hat für einen langesamen, fast zeitlupenartigen Chip auf die Stirn von Arslan, der einköpft. Ja ja, Abseits, who cares? Doch es kommt noch besser: Die Halloren haben sich von dem Schrecken noch nicht erholt, da klingelt es zum 5:1. Borkowski spielt nur zwei Minuten später einen genialen Schnittstellenball in den Lauf von Conteh, der nun – befreit von der langen Torlosigkeit – sein Können und das Auge zeigt. Ein feiner Lupfer beSIEGelt die Partie.

Da ist es nun Zeit, mal über Dennis Borkowski zu reden. Hat noch jemand die kürzliche Ansage des Trainers zur Nummer 9 im Gedächtnis? Thema Beständigkeit, Thema „Dienst an der Mannschaft“, Thema „auch ohne Torerfolg gut sein“, Thema „defensiv mehr zu arbeiten“. Als hätte Borkowski einen Muttizettel im Hosenbund zum Abarbeiten der Liste dabeigehabt, so agiert er über weite Strecken. Gemeinsam mit Hauptmann, der nicht so auffällig, aber unermüdlich die Gäste beschäftigt, kann er das ganze Mittelfeld nach vorn drücken und für die so wichtigen Überraschungsmomente sorgen. Dahinter räumt Paul Will auf, der diesmal ganz in der Defensive gefordert ist, auch weil er nach dem Gegentreffer immer wieder die Löcher auf der linken Seite stopft.

Jetzt kommt Berko und prüft aus vollem Lauf sofort Drljaca, der sich nunmehr mit seiner dritten Großtat zeigt. Jakob Lemmer kommt nun für Conteh und für Hauptmann übernimmt Michael Akoto, der sich umgehend eine Gelbe holt und in der 75. Minute das Lattenkreuz trifft – nach Zuspiel von Arslan. In der Zwischenzeit pustet das Spiel etwas durch, Kutschke macht für Schäffler Platz, der umgehend ein Tor erzielt, aber diesmal erinnert sich das Schiri-Team an die Abseitsregel.

Halle will wenigstens noch am Ergebnis schrauben, aber es zeigt sich auch in der 81., dass deren Offensive zu schwach ist, als Drljaca gleich gegen zwei Schussversuche das Ergebnis hält. Derweil steht für eine kurze Zeit schon mal 6:1 auf der digitalen Stadionanzeige.

Fünf Minuten vor Schluss kommen Kevin Ehlers und Panagiotis Vlachodimos für Borkowski und Lewald. Beim Stand von 5:1 hätte ich mir diese Wechsel etwas eher gewünscht, denn was soll man in dieser kurzen Zeit noch zeigen? Wie sich vor allem bei der 7 zeigen wird, eine Menge! In der 87. überrascht Vlachodimos mit einem Hackenpass aus der eigenen Defensive. Drei Minuten später wird er auf links von Akoto tief in den Strafraum geschickt, wo er sein bedauernswertes Gegenüber zu Schwindelanfällen übersteigt, scharf nach innen passt, wo direkt vor der Torlinie Vollert und Lemmer zum Ball gehen und ihn über die Linie drücken. Doch damit nicht genug. Denn die kurze Spielpraxis nutzt Vlachodimos noch für einen zweiten Assist. Die letzten Sekunden der Nachspielzeit laufen, da tanzt er schon wieder, spielt einen genauen Pass auf die andere Seite des Sechzehners, wo Arslan freie Bahn hat und volley das siebente Tor eindrischt. Der Rest ist Jubel.

Fazit

Der HFC hat 35 Minuten in der ersten und auch zum Anfang der zweiten Halbzeit nicht schlecht gespielt, scheitert aber auf drastische Weise an einer an diesem Tag erbarmungslos effektiven dynamischen Offensive. Im Prinzip landeten fast alle Chancen (inklusive der nicht gegebenen Abseitstore) im Netz. Da Freiburg nicht aufsteigen darf, sind es nun nur noch drei Punkte bis zur Relegation. Die Kirsche auf der Sahnetorte war dann am Folgetag das Versagen der Münchner Löwen in Oldenburg. Was bei allem Überschwang bleibt: Auch diesmal war die erste Halbzeit zwischen dem ersten und dem zweiten Tor über weite Strecken unterdurchschnittlich. Das Problem der fehlenden Spiel-Kontinuität ist noch nicht behoben, aber es gibt Verbesserung. Und das ist die Hoffnung.
Uwe Stuhrberg

SG Dynamo Dresden vs. Hallescher FC
4. Januar 2023, Anstoß: 14 Uhr
Tore: 1:0 Kutschke (9.), 2:0 Conteh (42.), 3:0 Arslan (45.+1), 3:1 Zimmerschmied (49.), 4:1 Arslan (55.), 5:1 Conteh (57.), 6:1 Vollert (90. ET), 7:1 Arslan (90.+2)
Dynamo Dresden: Drljaca, Melichenko, Lewald (85. Vlachodimos), Knipping, Kulke, Will, Hauptmann (62. Akoto), Borkowski (85. Ehlers), Arslan, Conteh (62. Lemmer), Kutschke (71. Schäffler)
Ohne Einsatz: Müller, Gogia, Meier
Fans: 25.836
Schiedsrichter: Mitja Stegemann
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