Kein Klos im Hals

Dynamo Dresden schlägt Bielefeld zum Auftakt zu niedrig

Wenn ich etwas nicht leiden kann, dann unter anderem, wenn Dynamo Dresden und die Dresden Monarchs am selben Nachmittag spielen. Den Footballern kann man keinen Vorwurf machen, da deren Saison komplett auf Tag und Uhrzeit geplant ist, während der DFB immer nochmal justiert, wem er nach Tabellenstand an welchem Wochentag die lukrativen Games verscherbeln kann oder nach „Gefahrenlage“ die Auswärtsfans ausbremst. Am letzten Sonnabend war ich also 15 Uhr am Platz und konnte so ein ganzes Stück American Football sehen, wobei die Königlichen aus Dresden dem Serienmeister aus Braunschweig mit 24:7 ordentlich einen einschenkten.

Dann aber live im dynamischen Kasten ein erster lautstarker Jubel, als die Keeper-Crew den Rasen zum Warm-up betritt, wenig später folgte dann der Spieltagskader. Stimmungsmäßig war hier das Ganze eigentlich schon gewonnen. Ein fettes und persönlich überbrachtes Danke gab es dann von den Zwickauer Schwänen für all den Support zur Vereinsrettung inklusive der Schachtschwein-Schlachtung durch Leatherface. Dem folgte schließlich eine schöne Choreo via klassisch gehaltener Blockfahne und dem Banner „Niemand ist größer als der Verein!“ – na hoffen wir mal, dass sich alle zu gegebener Zeit an den Spruch erinnern mögen.

Apropos Spieltagskader: Da gab es kein „Surprise, surprise“, alles wie vermutet. Mir hätte nur die Idee von Paul Will als Kapitän etwas besser gefallen, aber ich war ja nicht stimmberechtigt. So wird sich Manuel Schäffler wohl die ganze Saison über mit der Bank begnügen müssen, bis auf die Fünf-Gelbe-Karten-Lücken von Stefan Kutschke.

Die erste Halbzeit: Hauptmann mit Fuß auf Kopf

Beim Coin-Wurf stehen sich die Capitanos Aug in Aug gegenüber, die jeweiligen Schlachtrösser beider Vereine, Fabian Klos mit Gesichtsmaske (was Kutschke in der letzten Saison mit dem Ding gemacht hat, wissen wir ja). Ergebnis: Dynamo stößt an und spielt auf den K, der erste Spielzeitpass geht von Kutschke auf Will.

Es ist keine Minute rum, da gibt es die erste Ecke für die Arminen. Es sind keine zwei Minuten rum, da hat die SGD die erste Ecke. Es sind keine drei Minuten rum, da zeigen Kevin Ehlers und Jakob Lewald, dass sie wissen wie Abseitsfalle geht. Kniffliger wird es in Minute sieben bei einem Bielefelder Freistoß, der zu mittig abgewehrt wird, so dass Biankadi mit vollem Risiko von der Strafraumkante abziehen kann. Zwar deutlich drüber, aber wir kommen darauf zurück. Nur Sekunden später liegt in 29.000 Kehlen der Torschrei zum Auswurf bereit: Einen harten Schuss von Claudio Kammerknecht kann DSC-Goalie Kersken nur mit Ach und Krach wegpatschen – direkt vor die Schuhe von Tom Zimmerschmied. Aber ach, zu viel Platz, zu viel Netz, zu viele Gedanken, so geht der Schuss daneben (wenigstens nicht nach hinten los).

Es entwickelt sich nun ein zähes Ringen um die Grashalme mit schwarzgelbem Übergewicht. Im Gegensatz zu meinem eigenen Übergewicht, ist das auf dem Platz nur gespielt. Und wenn einer spielt, dann Niklas Hauptmann. Er ist Mr. Überall und agiert wie zu seinem starken Saisonschluss in der letzten Spielzeit: laufstark, ideenreich, instinktsicher, die freie Radikale im Dresdner Gefüge. Nach einer knappen Viertelstunde hat er im Mittelfeld den Ball am Fuß, spielt auf Dennis Borkowsi, der die rechte Außenbahn beackert. Etwa 15 Meter vor dem Strafraum, bekommt Hauptmann den Ball zurück und spielt ihn in den leeren Raum, den man auch Schnittstelle nennt, während Borkowski zwei Gegner überläuft, den dritten stehen lässt und auf letzter Rille das Leder von der Torauslinie kratzt und nach innen spielt. Die Männer von der Alm waren gedanklich wohl schon beim Abstoß, denn zu seiner eigenen Überraschung lenkt Abwehrboss Belkahia aus Nahdistanz in den eigenen Kasten.

„Dynamo Dynamo“ schallt es nun ohrenbetäubend durch die Hütte, da hat auch Kammerknecht gleich to much Adrenalin und kassiert etwas sinnfrei Gelb wegen des Ärgerns über einen Freistoß für die Rothemden. Und da kommen wir mal auf Wolfgang Haslberger, den Schiedsrichter aus Bayern. Von Anfang an bekommt er die Zweikämpfe nicht so richtig in den Griff, zieht zu spät Gelb gegen Bielefeld und „lädt“ diese so ein, immer mal zuzulangen. Übrigens: Hatte ich schon erwähnt, dass Borkowski in dieser Saison seinen Durchbruch erleben wird? Sein Megalauf in Minute 20 lässt eine Ahnung davon zu, sein Pass nach innen – genau zwischen Kutschke und Meißner hindurch – zeigt aber auch seine bekannte Schwäche. Aber jetzt wird Bielefeld zurechtgelegt. Doch Zimmerschied hat vor der Kiste nach toller Brustannahme Probleme bei der Ballabgabe. Es muss doch längst 3:0 stehen! Da muss Stefan Drljaca auf einmal alles aus sich rausholen, um den Ausgleich zu verhindern, als Lewald ein abgefälschtes Highspeedgeschoss unter den eigenen Querbalken ballern will.

Die Szene hat für Aminia einen kleinen Hallo-wach-Effekt. Jetzt wollen sie auf einmal mitspielen. Für zehn Minuten verliert Dynamo nun den schwarzgelben Faden, ergeben sich halbgare Chancen, muss Drljaca auch mal zupacken und einmal sogar einen Hecht rausholen. Aber alles in allem haben es Ehlers und Lewald mit Will vor sich sowie Park und Kammerknecht an den Seiten im Griff. Wird eine überspielt, wird im Kollektiv alles weggeatmet. Als nach 33 Minuten Borkowski eine schöne Will-Hauptmann-Combo aus 20 Metern knapp am Tor vorbei abschließt, ist das auch das Signal, wieder zu übernehmen. Und nur Sekunden später fällt dann endlich das zweite Tor.

Elfmeter für Dynamo! Und weil kein Arslan mehr da ist, hat Kutschke den freien Zugriff. Ball hingelegt, Ball reingewuchtet, den Hulk vorm K machen. Routine as its best. Zweinull! Was aber keine Routine ist, sondern besonders, ist das, wie der Strafstoß zustande kam. Mießner spielt einen fein öffnenden Pass von links auf Hauptmann, der jetzt ein Kunststück hinlegt, das man nicht alle Tage sieht: Ballannahme mit links, kurzer Lupfer nach rechts auf die eigene Stirn und das Runde per Kopf in den Lauf von Zimmerschied gelegt, der im Strafraum deutlich von den Socken geholt wird. Was Hauptmann hier macht, ist die Schönheit des Fußballs in Vollendung. Man muss es sich in slow motion wieder und wieder ansehen. Fußnote: Natürlich war es Eigentorschütze Belkahia, der den Elfer verursacht hat. Haste Scheiße am Fuß … you know. Für das dritte Dresdner Tor fehlen Kutschke dann nur Zentimeter als er an einer Zimmerschied-Flanke vorbeirauscht.

Aber langsam stellt sich auch die Frage: Was macht eigentlich Fabian Klos? Er sorgt dafür, dass Lewald nach einem heftigen Kopf-Kopf-Aua mit Verband spielen muss. Ansonsten will Dynamo hier vor der Pause nicht mehr die Welt aus den Angels reißen, als Yildirim in der Nachspielzeit Borkowski heftigst wegcheckt, obwohl das Spiel unterbrochen war, gibt es endlich Gelb für die Gastelf. Nun sollte der Pfiff kommen, aber es kommt nicht der zur Pause, sondern der zum Anstoß für Dresden. Denn die baugleiche Szene aus Minute sieben führt zum Anschlusstreffer: Ein Freistoß wird von Ehlers mittig geklärt, wo wieder Biankadi lauert und aus 14 Metern volley versenkt. Das Ding läuft in der Kategorie „Nix zu halten“ und doch ist Drljaca fast noch dran. Jetzt ist Pause.

Die zweite Halbzeit: Hauptmann trifft – schon wieder

Etwas büffelherdig kommt Dresden aus der Kabine: Gleich wird zum Tor gestürmt, aber zwei gute Schussversuche werden geblockt. Dann beruhigt sich die Szenerie etwas, der DSC wechselt zeitig doppelt und der K verabschiedet einen Geschäftsführer mit dem Banner „Hurra, das Wehlend hat ein Ende“. Nach einer reichlichen Stunde holt sich dann Hauptmann die „obligatorische“ Gelbe für ein Foul an – schon wieder der – Belkahia. Dabei wollte die 27 doch weniger Karten kassieren. Aber das ist alles nur 120 Sekunden später vergessen. Denn in Minute 65 wird Zimmerschied auf Links in einen sehr freien Raum geschickt, keiner hat mehr Zugriff auf den flinken Außenbahner, der im Laufen sieht, wie Hauptmann Richtung Elfmeterpunkt rast. Ein genauer Pass, ein Innenrist mit Auge, flach unten rechts zum 3:1. Wie zum Ende der letzten Spielzeit trifft Hauptmann auch in der ersten Partie der neuen – wenn das so weitergeht, muss niemand Arslan vermissen (na gut, ein bisschen schon).

Kaum geht das Spiel weiter, fliegen die Karten. Erst sieht Gohlke nach einem Foul an Zimmerschied, das schwer nach Frust roch, Gelb. Dann sieht Mizuta glatt Rot. Ohne Absicht, aber auch ebenso ohne Geschick und Körperkontrolle tritt der Japaner von hinten und mit Stollen voran in eine von Kutschkes Achillessehnen. Ohne Frage gehört der Sünder nicht zur Treter-Fraktion, aber vom Feld muss er dennoch. Mit der Karte endet aber auch die Hackerei auf dem Feld. Im Prinzip ist das Spiel jetzt auch durch, eine Vierstunde vor Schluss beginnt auch Markus Anfang mit den klassischen Wechseln: Schäffler für Kutschke, Herrmann für Zimmerschied, später Oehmichen für Hauptmann und Meier für Borkowski.

Und all die Eingewechselten zeigen sich, drücken Bielefeld immer wieder nach hinten, aber Ungenauigkeiten auf den letzten Metern oder geblockte Schüsse beenden die Bemühungen um ein viertes Tor. Eine Miniaufregung verursacht dann Drljaca mit seinem einzigen kleinen Patzer im Spiel, als er vor dem Tor einen Gegner anschießt – sowas ging ja auch schon mal rein. Zur Nachspielzeit darf dann auch Panagiotis Vlachodimos noch etwas ins Spiel schnuppern, dem ich von ganzen Herzen – wie auch Herrmann – eine gute Saison wünsche. Dann ist Schluss. Grenzenloser Jubel, die Mannschaft erst vor dem K, dann mittendrin. Kapitän Kutschke verlässt will auch mittendrin sein statt nur dabei und cancelt einen TV-Talk, als er seinen Namen aus dem Block hört. Auch so wird man zur Legende. Und wir singen derweil: „Don't be fooled by the rocks that I got/I'm still, I'm still Stefan from the block.” Jennifer mag mir den Textklau vergeben.

Und sonst so

Jetzt ist Pokal ohne Dynamo. Das tut nicht nur der Fußballseele weh, sondern auch der Vereinskasse. Statt Knockout-Game gegen Bundesligateams kommt ein Test am Mittwoch gegen die Hertha-Bubis. Und was haben wir aus der vergangenen Saison gelernt? Die Tordifferenz könnte am Ende einiges bedeuten. Und da waren das heute mindestens zwei, drei Treffer zu wenig. Ist das Heulen auf hohem Niveau? Pfff. In Dresden kann das Tränen-Level nicht weit oben genug sein. Aber: Wenn Ahmet Arslan weiterhin an der Börde nur 15 Minuten bis überhaupt nicht spielt, kommt er im Winter sowieso als Leihe zurück. Aber wichtiger ist, was wir haben: Eine Mannschaft, in der es keine Ausfälle gab, die Neuen gut integiert sind und bewährte Recken wie Will oder Park hinten aufräumen. Und sieht man mal von der Szene vor dem Gästetor ab, hat auch Ehlers eine starke Partie mit Lewald gezeigt. Von der vorab viel beachteten Bielefelder Vereinslegende war dagegen fast nichts zu sehen, dieser Klos steckte uns diesmal nicht im Hals. Jetzt Sandhausen wegmachen und gut is …
JH

SG Dynamo Dresden vs. DSC Arminia Bielefeld
5. August 2023, Anstoß 16.15 Uhr
Tore: 1:0 Belkahia (14. Eigentor), 2:0 Kutschke (36. Elfemter), 2:1 Biankadi, 3:1 Hauptmann (65.)
Dynamo Dresden: Drljaca, Kammerknecht, Ehlers, Lewald, Park, Will, Zimmerschied (74. Herrmann), Hauptmann (79. Oehmichen), Borkowski (80. Meier), Kutschke (73. Schäffler), Meißner (89. Vlachodimos)
Ohne Einsatz: Broll, Kraulich, Lehmann, Menzel
Schiedsrichter: Wolfgang Haslberger
Fans: 29.589
www.dynamo-dresden.de