Kielgeholt

In rauer See wurde Dynamo in Kiel sang- und klanglos versenkt

Was wurde wieder vorher salbadert: Kiel kommt zur richtigen Zeit. Dreckiger Sieg reicht auch. Jetzt erst recht. Ich wünsche mir inzwischen für den Rest des Jahres, dass mal die Klappe gehalten wird. Dann muss man die Taten nicht an den Worten messen, sondern eben nur an den – genau – Taten. Und was diese betrifft, war das Match bei Holstein Kiel ein Offenbarungseid, noch schlimmer eigentlich als die 0:4-Klatsche zu Hause gegen Sandhausen.

Erste Halbzeit: Das Gefüge wackelt

Bereits nach 16 Sekunden zeigt der Referee, dass er in Sachen Bewertung von Zweikampfführung nicht immer auf der Höhe ist. Denn wie das Nordlicht Herrmann mit einem Kung-Fu-Sprung – die Stollen voraus – Fabian Müller nur knapp verfehlt, ist eigentlich Dunkelgelb. Leider ist es eine Unsitte, dass Schiedsrichter nicht so gern sehr früh eine Karte zeigen, auch dann nicht, wenn es angebracht ist. Hier wäre es zwingend gewesen.

Die ersten zehn Minuten lassen aber immerhin vermuten, dass es bei den Teams auf Augenhöhe zugeht. Haris Duljevic tankt sich zweimal ordentlich durch, vor dem Tor ist aber – wie so oft bei ihm – Schluss mit der Gefährlichkeit. Nach einer Viertelstunde haben sich die Störche auf das Spiel der Schwarzgelben eingestellt und übernehmen stetig die Partie. Drexler, Duksch und Schindler beginnen, das Dresdner Defensivgefüge auseinanderzunehmen, bleiben beim Abschluss aber noch harmlos. Auffällig ist, dass Niklas Kreuzer rechts hinten immer wieder Probleme bekommt, da Paul Seguin ins defensive Mittelfeld gerückt ist.
In Minute 23 brennt es dann ein wenig vor dem Gästetor, als Drexler ein weiteres mal Kreuzer und Seguin entwischt, nur Dukusch kommt zu spät in den Strafraum gelaufen – er wäre vollkommen frei gewesen.

Aber nur eine Minute später kommt es dann, wie es kommen musste: 1:0. Ein Abschlag von Marvin Schwäbe kommt auf Peniel Mlapa, der aber einmal mehr das Kopfball-Duell verliert. Mit dem zurückprallenden Leder narrt Duksch erst Florian Ballas, dann kann Drexler raus auf den komplett blank stehenden Lewerenz spielen, der direkt abzieht. Das Ding fischt Schwäbe jedoch mit allem, was er hat, aber das Glück ist nicht mit ihm, denn das Runde landet auf der anderen Seite des Strafraumes wieder bei Duksch, der nun leichtes Versenken im Eckigen hat.

Jetzt hat das Ostsee-Team endgültig Oberwasser, was sich – Spoiler-Alert! – nicht mehr ändern wird. Das bereits genannte Trio Drexler, Duksch und Schindler, oft im Verbund mit Lewerenz, ist für die Dynamo-Defensive nicht zu fassen, ist nervenzerrend gefährlich. Und es wird immer klarer: Wer auch immer behauptet, dass jeder Spieler ersetzbar ist, der hat nie ohne Marco Hartmann gespielt. Denn es ist überdeutlich, wie abhängig Dynamo von seinem Kapitän ist – als Leader, Lenker, Chef-Balleroberer. Da kann sich Manuel Konrad mühen, wie er will, seine Fehlerquote ist zu hoch, seine Pässe nicht gut genug, die Darmstadt-Torgefahr entschwunden, allein am Wollen mangelt es ihm nicht.

Überhaupt die Pässe. Ein weiteres Mal gilt: Je näher der gegnerische Strafraum, umso höher die Fehlpassquote. Selbst auf geringste Entfernung geht immer wieder der Ball verloren, zudem zünden weder die Flanken von Kreuzer, noch die Hereingaben von Duljevic oder Hauptmann. Im Kieler Strafraum leuchtet zu wenig Gelb, kommt dann doch mal etwas durch. Und in der Mitte schleppt sich Mlapa über den Platz. Der Mann, ein einziges Trauerspiel und so auch Symbolfigur für das anhaltende Offensivdesaster des Verins. Trotz seiner Körpergröße gewinnt er kaum ein Kopfballduell, wenn doch, geht das Spielgerät in die falsche Richtung. Wird er flach angespielt, springt ihm der Ball oft zu weit weg oder er verspielt ihn sofort wieder oder er fällt einfach hin. Seine Durchsetzungskraft geht gegen Null. Läuft er den ballführenden Gegner an, nimmt er zu zeitig das Tempo raus. Man hat das Gefühl, dass er auf dem Platz steht, weil man im Falle des Falles keinen anderen Elfmeterschützen hat.

So geht die erste Halbzeit dahin mit weiteren Chancen für Kiel und einem hübsch anzusehenden 25-Meter-Freistoß von Kreuzer, der immerhin auf das Tor kommt, aber von Kronholm ohne Probleme weggefangen wird. Aber vielleicht ist ja diesmal anders: Die erste Halbzeit Mist, die zweite dafür gut. Steht ja nur 1:0.

Zweite Halbzeit: Späte Tore reloaded

Die Hoffnung stirbt schnell. Denn die ersten 15 Minuten sind nur eine Fortsetzung der ersten Halbzeit: Kiel drückt, Dresden wehrt sich, so gut es geht. Bis jetzt geht es so. Nur Duljevic holt in der 54. Minute den Hammer raus, aber Kronholm ist eben ein guter Torwart – wie auch Schwäbe an diesem Nachmittag, der vier Minuten später einen Strich von Lewerenz aus dem Winkel kratzt.

In Minute 60 ist dann Ballas einmal mehr dabei statt mittendrin, als er vor Ducksch mit dem Außenrist klären will, aber damit scheitert. Nur kann der Storchen-Zehner nach einem Strafraumtänzchen nichts so recht mit der Chance anfangen und schießt vorbei. Direkt danach kommt Röser für Lumpi, der sich mit großem Aufwand aufgerieben hat. Aber Röser? Okay, zwei Tore ganz am Anfang. Danach hat die stets frohgemut dreinblickende 9 nur eines unter Beweis gestellt: mangelnde Zweitligatauglichkeit. Die guten Chancen, die er bei seinen Kurzeinsätzen hatte, wurden vergeben, was auch Punkte gekostet hat. Auch geht ihm die Zweikampfhärte ab, die man auf diesem Level benötigt, im Einsgegeneins scheitert er meistens. So bleibt die Frage: Warum nicht Möschel in den Sturm stellen? Oder Berko? Oder mit Markkanen einen zweiten Riesen? Natürlich hasst ein Trainer, abgesehen von Niederlagen, nichts so sehr, wie naseweise Typen, die glauben, aufstellungstechnisch alles besser zu wissen. Aber wenn sich Fragen offensichtlich und ohne langes Nachdenken ergeben, dann muss man sie stellen.

In der 64. Minute dann scheint das Spiel entschieden. Nach einem Zweikampf von Kreuzer mit Drexler im Strafraum geht letzterer zu Boden und der Mann in Rot-Schwarz zeigt auf den Punkt. Nur: Das war kein Foul. Aber: Die wissenschaftlich und statistisch wiederlegte Behauptung, dass der Gefoulte nicht selbst schießen soll, bestätigt sich diesmal, denn Drexler hämmert den Ball mittig gegen die Latte. Obwohl: Er war ja überhaupt nicht ein Gefoulter. Also alles wieder im Reinen mit der Wissenschaft. Doch spulen wir ein paar Sekunden zurück zum Ursprung des Konters, der die Kreuzer-Situation entstehen ließ: Es war ein vermeidbarer Fehlpass von Mlapa am Kieler Strafraum. Siehe oben.

Jetzt geht Hauptmann und Berko kommt. Allein: Es wird nicht besser. Auch das Elferglück bringt keinen Schub. Nur Marvin Schwäbe verhindert, dass der Rückstand nicht schon jetzt höher ausfällt. Allein, wie der Keeper in der 75. auf Herrmann zurast und den Ball außerhalb des Strafraums mit dem Rücken klärt, zeigt, dass die Kritik der letzten Tage nicht an seinem Selbstbewusstsein geknabbert hat. So ist er ist heute der beste Dynamo auf dem Platz.

Doch dann, in der 78. Minute, ist sie da, die Chance zum Ausgleich, denn noch immer steht es ja nur 1:0. Röser kann einen langen Ball an der Grundlinie erlaufen, weil sein Gegenspieler umfällt, in der Mitte steht Mlapa richtig gut im Fünfer, schafft es dann aber, aus drei Metern den Pass nach innen nicht zu verwerten. Vorbei, vorbei.

Nun nahen die letzten zehn Minuten. Und kaum ist die 80. Minute überschritten, bleibt sich die SGD auch heute einer unliebsamen „Tradition“ treu: das Fressen von Toren in der Schlussphase. Los geht es in der 83. An der Seitenlinie macht sich Markkanen zur Einwechslung bereit, aber seine Mitspieler verderben ihm die Vorfreude auf ein paar Minuten hoffnungsfrohe Einsatzzeit, weil sie es nicht schaffen, die immer wieder vor das Tor fliegenden Bälle konsequent zu klären. So ist es das Triangel aus Drexler, Duksch und Lewerenz, das die Defensive der SGD kaltstellt und auf 2:0 erhöht. Armer Eero, der nun für Mlapa das Feld betritt. Von Hoffnung gibt es nunmehr kein Schimmer nirgends im Kieler Dauerregen.

Aber schlimmer geht es immer, sagt der Volksmund, denn mit dem 3:0 wird Dynamo 120 Sekunden vor Schluss endgültig kielgeholt. Das Zustandekommen allerdings ist so symptomatisch für den Ist-Zustand der Sportgemeinschaft, dass man sich das Video davon einrahmen müsste, wenn es denn ginge – als Mahnung an schlimme Zeiten, wenn es irgendwann mal besser läuft. Fabian Müller, schon bis dahin ein Nahezuausfall, spielt einen Ein-Meter-Kurzpass – ähm – zu kurz. Kinsombi funkt dazwischen, spielt auf Schindler, der aus Nahdistanz einkullert. Deckel drauf, Affe tot. Oder so. Wenigstens sammelt Florian Ballas seine Mitspieler ein, um sich der im Schlechtwetter ausharrenden Fangemeinde zu stellen.

Fazit: Die Systemfrage wird nun noch größere Wucht entwickeln, denn auch Uwe Neuhaus kann nicht übersehen, dass sein an sich guter Plan momentan nicht nicht zum verfügbaren Kader passt. Zudem ist das System auch vom Gegner ausgelesen und die Mannschaft hat zum jetzigen Zeitpunkt weder die Qualität noch die mentale Power, sich trotzdem duchzusetzen. Es muss ein Plan B her, der den Schaden bis zur Winterpause in Grenzen hält, um bis dahin wenigstens über dem Strich zu bleiben. Wunder darf man bis dahin nicht mehr erwarten, obwohl Katja Ebstein einst sang, dass es sie immer wieder gibt. Und: Es muss auf dem Rasen zu sehen sein, dass nach Leistung aufgestellt wird, wobei ich natürlich einräume, das Trainingsverhalten nicht einschätzen zu können. Aber wie schlecht muss sich dort ein Eero Markkanen präsentieren, um bei der bisherigen Sturmmisere nicht einmal die Startelf-Chance zu bekommen? Kann ich mir nicht vorstellen.

Am 20. November kommt dann das gebeutelte Kaiserslautern. Die werden vermutlich kratzen, spucken, beißen und vielleicht auch mit Sand schmeißen. Dem zu begegnen, kann saisonentscheidend sein. Ein Montag, Flutlicht. Europacup-Atmo. Hui!
Uwe Stuhrberg

Holstein Kiel vs. SG Dynamo Dresden: 3:0
5. November 2017, Anstoß: 13.30 Uhr

Tore: 1:0 Duksch (24.), 2:0 Lewerenz (83.), 3:0 Schindler (88.)
Dynamo Dresden: Schwäbe, Seguin, J. Müller, Ballas, F. Müller, Kreuzer, Konrad, Lumpi (60. Röser), Hauptmann (68. Berko), Duljevic, Mlapa (84. Markkanen)
Ohne Einsatz: Schubert, Benatelli, Horvath, Möschl
Schiedsrichter: René Rohde
Zuschauer: 10.487
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