Kulturkraftwerk ohne Kulturwirtschaft

Vorfreude auf großartige Theaterbauten, aber Enttäuschung bei der Kreativwirtschaft

Intendantin und Intendant lächeln sich bereits ein. Nicht nur, weil es die Fotografen verlangen, die sie an ihren neuen Schreibtischen in den hellen Eckzimmern des Verwaltungsgebäudes Ehrlichstraße ablichten. Was am Rande des alten Kraftwerkes Mitte seit 2013 Gestalt annimmt und jetzt beim Innenausbau angekommen ist, muss jeden Theaterfreund begeistern. Umso mehr, je konkreter man die jahrzehntelang genutzten Provisorien von Staatsoperette oder Theater Junge Generation am Stadtrand mit den neuen Möglichkeiten vergleicht. Von Hinter- und Seitenbühnen beispielsweise konnte man in Leuben kaum sprechen, meint Wolfgang Schaller. Für Felicitas Loewe fällt der gefühlte Sprung zumindest im Verwaltungsgebäude nicht ganz so weit aus, denn das TJG hatte an der Meißner Landstraße schon einen kleinen Verwaltungsneubau erhalten.

 

Dresdens Mitte - leicht exzentrisch

Am 16. Dezember soll Bescherung sein, soll die Möchtegern-Kulturhauptstadt endlich über den ersten eigenen Kulturbau nach der Wende jubeln dürfen. Der Weg zu dieser Theatereröffnung war nicht nur holpriger als der Körnerweg, er beschämte auch Rat und Verwaltung, die sonst bei jeder Gelegenheit den Nimbus einer Kulturstadt preisen. Wäre es nach der Stadtverwaltung und den Finanzpolitikern gegangen, stünde das ehemalige Kraftwerk Mitte bis auf das für Events genutzte Bahnstromwerk und das Museum noch immer als Industriebrache da. Doch der Stadtrat wuchs im Oktober 2010 über sich hinaus und verabschiedete mit einer einzigen Stimme Mehrheit den Plan, Operette und TJG zu erlösen und mit einem Neubau ins Zentrum, ins alte Kraftwerk zu holen. Seit 2013 drehten sich die Kräne. Der Bauverzug durch unerwartete Probleme mit den Fundamenten sei weitgehend aufgeholt, erklärt Bauherr Axel Walther von der städtischen Tochter Kommunale Immobilien Dresden GmbH KID. Der Termin könnte gehalten werden. Das Parkplatzproblem, an dem die Betriebserlaubnis zu scheitern drohte, scheint mit dem Platz am gegenüberliegenden Gleisdreieck gelöst.

Für »Dresdens neue Mitte« wirbt seit Ende Juni auch die Dresden Marketing GmbH im deutschsprachigen Raum. Doch diese »Mitte« ist selbst nicht in der Balance und ein asymmetrisches Gebilde. Vielen ist nicht bewusst, dass das Großprojekt Kulturkraftwerk aus zwei Teilen besteht, zwei Gesichter hat und aus zwei unterschiedlichen Blickrichtungen bewertet wird. Über jede Kritik erhaben erscheint der Neubau des Doppeltheaters mit direkten städtischen Mitteln von wahrscheinlich 93 Millionen Euro. Das Kraftwerksgelände mit aufgelisteten 13 Gebäudeteilen gehört aber dem städtischen Energieversorgen DREWAG. Der saniert die Industriedenkmale bis 2020 für 30 bis 50 Millionen Euro zum Zwecke kultureller Nutzung. Bei den potenziellen Mietern hat die anfängliche Euphorie allerdings einen Dämpfer erhalten. Ein dritter, wiederum unbestritten erfreulicher Aspekt ist die Stadtentwicklungsfunktion dieser leicht exzentrischen »neuen Mitte«. Künstler und Architekten, die sich im Ringen um das Projekt engagierten, hatten diese immer wieder betont. Die Stadt endet eben nicht am Bahnhof Mitte, obschon man angesichts der beängstigenden Gentrifizierungsprozesse in Dresden andererseits froh sein muss, noch erschwingliche und »ungestylte« Stadtteile wie die Friedrichstadt vorzufinden.

 

Vier Bühnen zum Verwöhnen

Es erscheint heute als ein Anachronismus, dass nur fünf Gehminuten vom Postplatz entfernt vor 177 Jahren ein Stützpunkt der städtischen Energieversorgung errichtet wurde. Dem Gaswerk folgte 1895 das städtische Lichtwerk als Schlüsselanlage zur Elektrifizierung. Bis 1994 qualmte es aus vier Kraftwerksschloten. Die Einheimischen fühlten sich an den durch die russische Oktoberrevolution legendär gewordenen Panzerkreuzer »Aurora« erinnert. Architektonisch reizen besonders die historistischen Klinkerfassaden, während die zur Bauhauszeit errichteten Ergänzungsbauten in Stahlskelettbauweise eher neue Sachlichkeit atmen.

An beidem orientiert sich der in Hamburg ansässige Architekt Jörg Friedrich, der auch schon die Erfurter neue Oper entwarf. Das einzige und deshalb auch von auswärtigen Interessenten besuchte Operettentheater Deutschlands und die zweitälteste deutsche Jugendbühne TJG dürfen sich über ihr künftiges repräsentatives Domizil freuen – auch wenn an der technischen Ausstattung gespart werden musste und vom Land Sachsen vier Millionen Fördergelder ausfielen. Bettina Bunge, Geschäftsführerin der Dresden Marketing GmbH, will mit ihrer Kampagne nicht nur Theaterliebhaber ansprechen, sondern aus gutem Grund auch Architekturfreunde.

Noch ist der »Theaterboulevard«, über den künftige Besucher die Bühnen erreichen, mit Kratern und Pfützen gepflastert. Es geht vom Wettiner Platz aus vorbei am ehemaligen Pförtnerhäuschen, in das mittlerweile ein Café einzog. Der Architekt hat die ehemalige Generatorenhalle als Foyer in den Neubau einbezogen. Deren Flair beeinflusst das Konzept. Fundamente der riesigen Generatoren und eine Kranbrücke bleiben erhalten. Den Übergang zum Neubau bemerkt man am ehesten durch das nun dominierende Weiß der Wände. Künftig wird er von zwei geretteten Musenfiguren aus dem ehemaligen Alberttheater markiert. In den beiden großen Sälen mit 700 Plätzen für die Operetten- und Musicalfans und mit 350 Sitzen für das Kinder- und Jugendtheater fallen die guten Sichtverhältnisse durch relativ steil ansteigende Traversen auf.

 

Im Operettensaal sorgen nicht nur fliegende rote Dreiecke für eine ausgewogene Schallverteilung. Der Saal kann für elektronisch unterstützte Musicals auch akustisch »umgeschaltet« werden. Vom Förderverein finanzierte Luftkissen oberhalb der Bühne können zusätzlich dämpfen. Hinzu kommen eine Studio- und die Puppentheaterbühne für das TJG. Seiten- und Hinterbühnen und angrenzende Lagerflächen dieser Dimension war man bislang nicht gewohnt.

 

Der Aufstieg in den Probenturm ist ein Ereignis für sich. Probebühnen, ein Ballett- und ein Orchesterprobensaal wirken riesig. Besucher werden sich äußerlich an die rostige Verkleidung der Zuschauerebene aus Corten-Stahl gewöhnen müssen – auch eine Hommage an die Industriebrache. Mit der Umgebung bereits vertraut sind mehrere Bienenvölker, deren Stöcke auf einer Dachterrasse stehen. »Kraftwerkshonig«, scherzt Axel Walther von der KID.

 

Zu teuer für Künstler und junge Kreative

In der Entscheidung für den Neubau sieht Walther auch »eine Verpflichtung, beide Theater in den kommenden Jahrzehnten nicht infrage zu stellen«. Das gilt inzwischen sogar für den lange umstrittenen finanziellen Kraftakt dieser Kulturinvestition. Doch nicht von ungefähr stellt die Dresden Marketing GmbH die beiden Theater in den Mittelpunkt ihrer Kampagne. Etwas kleinlauter wird nicht nur Geschäftsführerin Bunge bei der Frage nach dem Umfeld im eigentlichen Kraftwerksgelände. Die Investitionen der DREWAG in die Halbruinen wollen trotz der hier fließenden Städtebaufördermittel refinanziert werden. Dabei ist die ursprüngliche Idee eines Kulturkraftwerks, das im Wortsinne sogar einen kulturwirtschaftlichen Output generiert, zum Teil auf der Strecke geblieben.

Dokumente aus den Jahren 2012 und 2013 rufen noch einmal in Erinnerung, mit welchen Hoffnungen der Kraftwerksbeschluss bei Künstlern und Kreativen verbunden war. Jana Betscher vom Magazin »dresdner« und der Filmemacher Ralf Kukula von Balance Film gründeten die IG Kraftwerk Mitte. Sie stellten sich vor, dass das Kraftwerk durch die breite Ansiedlung von Kultur- und Kreativwirtschaft zu einem »wirtschaftlichen Nukleus für Dresden werden kann«. Über 70 Startups und Kleinfirmen wollten auf das Gelände. Zuvor hatten bereits die bildenden Künstler ähnliche Vorstellungen entwickelt. Die freie Theaterszene nahm im September 2013 mit einem OFF-Theaterfestival das Gelände schon einmal in Beschlag.

Diese Träume sind weitgehend ausgeträumt. »Wenn am 16. Dezember beide Theater mit großem Bahnhof eröffnet werden sollen, wird es rundherum nur Potemkinsche Dörfer geben«, schimpft Ralf Kukula. Fast alle IG-Mitglieder sind inzwischen abgesprungen, als sie von den zu erwartenden Mieten erfuhren. Eine Umfrage unter Künstlern und Interessenten der Film-, Werbe- oder Spielebranche ergab damals eine zumutbare Obergrenze von 6,50 Euro pro Quadratmeter. Kukula selbst resignierte bei einem Angebot von 12,70 Euro. »Wir wollten keinen Alibi-Streichelzoo für Kreative, sondern ein Gesamtkonzept für das Gelände«, erinnert er. Nicht eine einzige Firma habe sich bislang angesiedelt.

DREWAG-Prokurist Frank Neuber hält dagegen. Der unterschiedliche, größtenteils aber hohe Sanierungsaufwand bedinge nun einmal höhere Mieten. Es gebe genügend kommerzielle Interessenten oder Rechtsanwälte, die Marktmieten bis zu 20 Euro zahlen würden. »Wir aber wollen die Kultur- und Kreativwirtschaft hier haben«, bekräftigt Neuber und verweist auf ein gemeinsames Vorhaben mit dem Dresdner Verband der Kultur- und Kreativwirtschaft »Wir gestalten Dresden«. Der soll in der ehemaligen Heizzentrale als Generalmieter für einen Co-Working-Space auftreten. Bei der Untervermietung könnten auch Quadratmetermieten von 7 Euro möglich sein, meint Neuber. Fertig wird das Heizhaus erst im kommenden Jahr. Auf das daneben liegende so genannte Reaktanzenhaus hatte die IG Kraftwerk ein besonderes Auge geworfen. Vor drei Jahren wollte sie erreichen, dass die Stadtentwicklungsgesellschaft STESAD und nicht der darin unerfahrene Energieversorger DREWAG das gesamte Gelände entwickelt. Die damalige Oberbürgermeisterin Helma Orosz verhinderte das. Exemplarisch wurde aber zur Zeit des OB-Wahlkampfes 2015 das Reaktanzenhaus für 25.000 Euro von der STESAD schon einmal geplant. Theatermann Peter Förster, derzeit im Bärenzwinger spielend, wäre dabei gewesen. Über einen Erbbaupachtvertrag wurde bereits verhandelt, aber die DREWAG zog sich zurück. Jetzt hoffen die Kreativen noch ein bisschen auf OB Dirk Hilbert, aber der schweigt.

Subvemtionierte Nutzer und Mieten aus öffentlichen Mitteln

Den größten Teil der bereits sanierten Altbauten nutzen nun öffentlich geförderte Träger. Die gegenüber am Wettiner Platz beheimatete Musikhochschule sitzt seit längerem in einem ehemaligen Schalthaus. Das Schütz-Konservatorium bezieht derzeit gewissermaßen seine zentrale Außenstelle, was wegen verlängerter Wege nicht bei allen Eltern Freude auslöst. Über den lichtdurchfluteten ersten Tanzsaal können sie sich indessen nicht beklagen. Die unter Denkmalschutz stehende Schaltzentrale, also der Regiestand, könnte zum Orchesterprobenraum umgestaltet werden, meint DREWAG-Prokurist Neuber, Als Mieter steht auch »Weiterdenken« der Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen fest. Laut Neuber liebäugelt auch das bislang im ehemaligen Pentacon sitzende Medien- und Kulturzentrum mit einem Umzug. Und Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Linke) wirbt bei den Staatlichen Kunstsammlungen dafür, in einem der ehemaligen Schalthäuser die Puppentheatersammlung zu platzieren. Schließlich läge die TJG-Puppenbühne gleich nebenan.

Die Kulturbürgermeisterin könnte sich auch vorstellen, in der Villa auf dem Gelände ein Haus interkultureller Zusammenarbeit einzurichten. Also etwas Ähnliches, wie es mit dem »Elixir«-Projekt auf der Königsbrücker gerade zu scheitern droht. Ansonsten ist sie auch nicht nur glücklich mit dem Kraftwerk, das eben kein »Allheilmittel« sei. »Es ist kulturpolitisch schwierig, Akteure, die dauerhaft einen Mietzuschuss brauchen, hier anzusiedeln«, sagt sie. Reizwort Miete. Der Etat des Geschäftsbereiches Kultur wird zwar aufgestockt, aber diese Erhöhung wird aufgezehrt von den jährlich fünf Millionen Euro Miete, die die Stadt künftig für die Theater und weitere Einrichtungen bei den eigenen Töchtern zahlen muss.

»In Berlin oder in der Leipziger Baumwollspinnerei ist man viel mehr auf die Interessen und Möglichkeiten der Nutzer eingegangen«, vergleicht Ralf Kukula resigniert. Der Traum der jungen Kreativen, mit diesem Kraftwerkszentrum Gentrifizierungsprozessen entgegenzuwirken, hat sich leider zerschlagen. Was bleibt, ist die ungeteilte Freude von Theatermachern und Theaterfreunden über zwei vorbildliche neue Spielstätten.
Michael Bartsch

www.kraftwerk-mitte-dresden.de