Leidensphase deluxe

Auch gegen die Löwen stand sich Dynamo selbst im Weg

Wieder nichts. Es ist ja schlimm genug zu erleben, wie andere die Punkte aus der eigenen Schüssel mitnehmen. Umso lächerlicher wirkt dann aber dazu noch die bedrohlich wirken wollende K-Blockfahne vom „dunklen Osten“, auf der ein Mummie mit Baseballkeule in einer Neubaukulisse posiert. Leute, Kindergarten. Sollte es ironisch gebrochene Fußballpoesie gewesen sein, dann sorry, ist das an mir vorbeigegangen. Aber wen interessiert das noch nach einer Heimniederlage. Genau: Nur die feixenden Löwen aus München. Und wenn wir schon bei den Nebensächlichkeiten sind: Wir hatten an dieser Stelle ja schon mal das Thema Einlaufmusik und angemerkt, dass die Peppers da semifunktionabel sind. Aber wer nun ist denn auf die Idee gekommen, „Can’t Stop“ gegen ein komisches Elektrogeplingel auszutauschen? Dürfen da mal Profis ran?

Erste Halbzeit: Gepresst wie Walzblech

Die frohe Botschaft auf dem Teamzettel war, dass Capitano Hartmann zurück auf dem Rasen ist. Die schlechte, dass es erwartungsgemäß keinen etatmäßigen Stürmer in der Startelf gibt. Vielleicht musste sich die heimische Mannschaft erstmal sortieren und umsehen, wer hier wo ist, denn die 1860er drückten vom Anpfiff an brachial – und bereits nach fünf Minuten hätte es gut und gern 2:0 für die Gäste stehen können. Aber hier – wie auch in den folgenden knapp 40 Minuten – zeigte sich, warum die Löwen im Abstiegskampf stecken: Sie schießen auch bei besten Gelegenheiten nicht ins Tor. (Achtung: Spoiler Alert!) Leider sollten sie diese Lektion an diesem Abend aber doch noch lernen.

Und so zeigen sich bei Dynamo ein weiteres Mal all jene Probleme, die sich aus der immer gleichen taktischen Spieleröffnung ergeben, wenn man hoch angepresst wird wie Walzblech: Das Hin-und-Her zwischen Torwart, Verteidigern und Sechsern wird immer nervöser und Fehler kommen dann zwangsläufig. So wird eine an sich gute Taktik zur Falle, wenn es keinen Plan B zur Selbstbefreiung gibt, wo Drangsal und Euphorie vor knapp 30.000 Zuschauern regieren sollten, macht sich Verunsicherung und Unzufriedenheit breit.

Bei Akaki Gogia kommt dann noch Frust hinzu. Er wird in den ersten Minuten gleich zweimal rabiat gelegt, blutet schließlich am Haupthaar und spielt mit Kopfverband weiter. Ab da ist der Mann vollkommen on fire, geht immer wieder in Diskussionen und wütet, wenn er Zweikämpfe verliert. Wechselseitig mit Erich Berko im Auge des Sturms reibt er sich dazu eher auf, als kreativ zu sein, beweist aber wenigstens Kampfeswillen.

Wie es gehen kann, zeigt dann Marco Hartmann in Minute acht, als er antlang der Außenlinie einen Steilpass auf Niklas Kreuzer spielt, der wiederum perfekt Marvin Stefaniak im Strafraum findet. Doch dieser bringt den Ball nicht unter Kontrolle; kurz darauf gelingt Niklas Hauptmann ein weitererer Pass von der Grundlinie auf den Zehner – mit dem Rücken zum Tor sucht dieser mit einem wuchtigen Hackenschuss das Eck, doch er verfehlt dieses um nur wenige Zentimeter.

Nun verfestigt sich folgendes Bild: Dynamo versucht, das gewohnte Passspiel aufzuziehen, bleibt dabei aber weitgehend uneffektiv, was den Vorwärtsdrang angeht. Die Münchner stehen hinten sicher, pressen vorn weiter und warten auf Fehler. Dabei ergeben sich für die Gäste eine Reihe von sehr guten Großchancen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, wann sie auch treffen. Torgelegenheiten auf Dresdner Seite bleiben hingegen Mangelware und bleiben in Ansätzen stecken.

Man schaut dem Treiben zu und ist froh, dass gleich die Pause kommt, denn hier müsste es eigentlich 0:3 stehen. Wenigstens. Und dann steht es doch noch 0:1. Wie schon im letzten Spiel lässt sich Gogia bei einer Ballannahme das Leder abluchsen, wieder hat das Folgen, weil der Konter diesmal sitzt. Am Ende der Unglückskette muss Jannik Müller allein im Stafraum mit Christian Gytkjaer um den Ball tanzen, lässt sich bei der zweiten Drehung foppen und drin ist das Runde im Eckigen. Das hatte sich derart angesagt, dass das Entsetzen noch im Rahmen blieb.

Nun spricht man bei solchen Toren gern vom „psychologisch ungünstigen Zeitpunkt“. Da passt es auch ins Bild, dass Marvin Schwäbe direkt im Anschluss einen kleinen Ausflug zur Strafraumgrenze wagt, ohne den Ball zu bekommen, was fast zum zweiten 60er-Treffer geführt hätte. Und auch hier wieder das Bild: Es wird noch an der Torauslinie versucht, Querpässe zu spielen, obwohl der Gegner einem überall im Nacken sitzt. Hier fehlt entweder eine taktische Variantenvielfalt oder einige Spieler sind einer solchen Situation nicht gewachsen – was nicht wundern würde, ist es ja für nicht wenige die erste Zweitliga-Saison.

Zweite Halbzeit: Der Aufschwung kommt zu spät

Wir hatten das ja eben mit dem „psychologisch ungünstigen Zeitpunkt“, also Tore direkt vor und nach dem Pausenpfiff. Marvin Schwäbe war nun offenbar der Meinung, auch den anderen „Zeitpunkt“ zu demonstrieren. Eigentlich hat er die Zeit, einen langen Ball zu spielen, legt ihn sich aber noch einmal zur Seite und spielt dann – inzwischen in Bedrängnis – einen feinen Flachpass direkt in die Füße von Lacazette, der nur noch kurz Aycicek schicken muss, damit dieser locker zum 0:2 einnetzt. Was! Für! Ein! Bock!
Die Münchner wollen nun das dritte Tor, treffen aus 20 Metern auch die Latte, während Philip Heise nach einem Superlauf nicht den freien Erich Berko anspielt, sondern durch zwei Löwen durchlaufen will, was misslingt. Niklas Kreuzer holt noch einen passablen Freistoß aus dem Fuß, aber offensiv bleibt Dresden lange Zeit fast alles schuldig – währenddessen Schwäbe zwischen den Modi „Superparade“ und „Unsicherheit“ schwankt.

Nach einer guten Stunde verlässt Stefaniak – wieder unter Pfiffen – das Grün, für ihn kommt Marcos Alvarez, fünf Minuten später darf Marcel Hilßner für Hauptmann ran. Hoffnung verbreitet schließlich kurz darauf Referee Robert Schröder: Denn der eben noch mit Gelb belastete Marnon Busch geht robust mit Gogia zu Werke, was einen zweiten gelben Karton – und damit auch den roten zur Folge hat. Und jetzt ist klar: Das Pressing kann München mit einem Mann weniger nicht mehr wie bisher spielen.

Dynamo läuft sich nun warm, immer mehr lange Bälle und Flanken fliegen den 60ern um die Ohren. Innerhalb von nur zwei Minuten hätten die Eingewechselten auf Remis stellen können, aber erst scheitert Alvarez frei vor Ortega, dann hat Hilßners Versuch aus 15 Metern nicht genug Dampf und Präzision. Gleich danach radiert Ortega einen Strich von Kreuzer.

Und dann passiert es doch noch: In der 89. Minute legt Gogia das Runde zu Heise, der vor das Tor flankt, wo sich Hartmann unnachahmlich aus einer Gegenspielertraube löst und per Kopf den Anschlusstreffer ins Netz wuchtet. Vier Minuten Nachspielzeit auf der Tafel sorgen für zusätzlichen Schwung – und fast, ja fast hätte es mit einem Punkt auch geklappt: Direkt vor dem Abpfiff wird Gogia wunderbar freigespielt, doch frei vorm Löwen-Keeper bekommt er den Ball an diesem nicht vorbei. Schluss. Aus. Vorbei.

Die Leidenszeit von fünf sieglosen Spielen in Serie (davon vier Niederlagen) geht also weiter. Aber, das soll nicht vergessen werden, es ist eine Leidenszeit deluxe. Denn dieselbe Mannschaft, die man ein weiteres Mal verzweifeln sah, hat sich schließlich in die Situation gespielt, dass man eine solche Durststrecke ohne schlimme Folgen überstehen kann. Über die Gründe will ich hier nicht schwafeln, das wird und wurde zu Genüge getan. Viel wichtiger ist es, dass der Verein für die kommende Saison die richtigen Schlüsse zieht.
Uwe Stuhrberg

Dynamo Dresden vs. TSV 1860 München 5. Mai 2017, Anstoß: 18.30 Uhr
Tore: 0:1 Gytjær (43.), 0:2 Aycicek (46.), 1:2 Hartmann (89.)
Dynamo Dresden: Schwäbe, Kreuzer, Ballas, J. Müller, Heise, Hartmann, Hauptmann (67. Hilßner), Aosman (87. Teixeira), Stefaniak (64. Alvarez), Gogia, Berko
Ohne Einsatz: Wiegers, F. Müller, Starostzik, Lumpi
Schiedsrichter: Robert Schröder
Zuschauer: 29.564
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