MÄCHTIG GEWALTIG

Review: Marc O’Reilly im Beatpol

Fast wirkt er ein bisschen linkisch, schickt zwei SMS und ruft sicherheitshalber noch an, weil der Journalist, mit dem er vorm Konzert verabredet ist, nicht auf die Minute genau eintrifft. Lädt im Anschluss ans Interview zum gemeinsamen Abendessen mit der Band ein, was selbstredend freundlich ausgeschlagen wird, das Catering ist den Musikern zugedacht. Für einen kurzen Moment huscht einem Hugh Grants zottelbärtiger WG-Mitbewohner aus „Notting Hill“ durch den Hinterkopf, der zwar Waliser war, dennoch von überheblichen Engländern mit zweifelhaftem Humor in Sachen ethnische Minderheiten ins Drehbuch geschrieben worden sein dürfte. Aber sobald Marc O’Reilly und seine dreiköpfige Begleitformation die Bühne betreten und loslegen, verschmelzen sie buchstäblich mit ihrem Instrument, und alles ist nur noch Musik. Grandiose Musik wohlgemerkt. Der Sound, den das Quartett entfesselt, hat einen schweren Groove und steht stellenweise mehr wie eine Wand im Raum. Mächtig gewaltig, hätte Benny von der Olsenbande gejubelt. Wer will, kann sich an Led Zeppelin erinnert fühlen. Oder Robert Plant, als er mit seinen Solotruppen vergangenes Jahr die Junge Garde bespielt hat. So ähnlich klang das und war doch nicht dasselbe.

Sowohl Gitarre und Bass also auch Schlagzeug bringen sich mit bemerkenswertem Facettenreichtum ein, und der Wechsel zwischen leisen und lauten Passagen ist in der Tat ein dramaturgisches Gestaltungsmittel. Marc O’Reilly will Ausrufezeichen setzen, erzählt er. Mag sein, dass gelegentlich treulosen Lebensgefährtinnen hinterhergegrummelt werden muss. Darüber hinaus geht es ihm um andere wichtige Dinge. George W Bush und sein beknackter War On Terror, Bankenkrisen, Wirtschaftsturbulenzen, Geiz, grenzenlose Gier und der ganze alltägliche Irrsinn, der seit Jahren die Lebensumstände breiter Bevölkerungsschichten verschärft, bei Marc O‘Reilly kommt es zur Sprache.

Seine Songs sind kein belangloses Geschwafel. Etwas anderes hätte bei seiner familiären Prägung sowieso verwundert. Nicht nur, dass sein Vater Mitglied einer namhaften Folkrockband war, zu Hause im Irischen Waterford ist es normal gewesen, dass über Politik und Gesellschaft debattiert wurde. Weshalb? Na wieso denn nicht, gab Marc O’Reilly regelrecht verdutzt auf eine entsprechende Interviewnachfrage zurück. Er weiß, Mitglieder einer wehrhaften Zivilgesellschaft tun sowas, machen sich schlau, überlassen das Denken nicht den anderen, mischen sich ein nach ihren Möglichkeiten. Damit die Zeiten eine Spur erträglicher werden, für die Mitmenschen, und für einen selbst.

Dass der Gesang auf seinen Tonträgern so tief in die Musik gemischt ist, dass keine einzige Textzeile seiner so wichtigen Songlyrics selbst bei wiederholtem Hören hängen bleibt, geschieht ebenfalls in voller Absicht. Die Stimme soll das musikalische Geschehen nicht beherrschen und keinesfalls vom zweifellos überragenden Gitarrenspiel ablenken. Die Texte kann man nachlesen, in den Booklets seiner bislang drei und jeweils geschmackvoll gestalteten CD-Veröffentlichungen, die da wären: „My Friend Marx“, das dylanesk folkhafte Debüt, der elektrisch rockige Nachfolger „Human Herdings“, sowie das soeben veröffentlichte und kompaktere „Morality Mortality“. Der Unterschied zwischen letzten beiden ist ungefähr derselbe wie zwischen „Houses Of The Holy“ oder „Physical Graffiti“ und „Presence“.
Bernd Gürtler

Marc O’Reilly 15. November 2016, Beatpol